Deutliche Kritik an Steinmeier-Ausladung: Scholz geht in die Offensive – und will erstmal nicht nach Kiew
Die Kommunikationskrise des Kanzlers führt zu einer Reaktion: Scholz erklärt sich mehr, wird laut – und sein Sprecher erklärt das „Ricola-Prinzip“.
Einer, der die Macht kennt, sagt über das Leben eines Kanzlers: Wenn Du da oben im Kanzleramt sitzt, bist Du ganz allein. Druck und Kritik von Tag eins an. Kaum Schlaf. Worauf reagiert man, was wird nicht kommuniziert? Hunderte Entscheidungen, jeden Tag. Olaf Scholz wägt gerne Entscheidungen gut ab, doch in Kriegszeiten mit einer aufgeheizten Stimmung gibt es diese Zeit meist nicht. Und der Kanzler bekommt seinen Kurs nicht immer richtig kommuniziert.
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Um zwölf Punkte sind die Sympathiewerte des Kanzlers im ARD-Deutschlandtrend eingebrochen, nur 39 Prozent der Befragten sind mit seiner Arbeit noch zufrieden.
Neben dem Lösen all der sich überlappenden Krisen und dem Zusammenhalten der Ampel, gibt es daher nun noch die Operation „Olaf Scholz und seinen Kurs erklären“.
Er selbst gibt reihenweise Interviews, schreibt Gastbeiträge - und stellt sich im ZDF den Fragen von „Was nun, Herr Scholz?“. Auch weil die SPD-Wahlkämpfer in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nervös werden.
„Habe immer schnell entschieden“
Eines macht er im ZDF besonders deutlich: Sein Kurs ist richtig, und von einem Friedrich Merz lässt er sich nicht treiben. „Ich habe immer schnell entschieden, zusammen mit allen anderen, mich mit den Verbündeten abgestimmt“, betont Scholz mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen, auch schwere Waffen der Ukraine zu liefern.
Er will hier aber auch keine deutsche Sonderrolle. „Mein Kurs ist schon, dass wir besonnen und mit klarem Verstand handeln.“ Die Regierung treffe keine Entscheidung im Stil einer PR-Abteilung - „immer noch was drauf oder niemals etwas“.
Auch dem Kanzleramt entgeht in diesen aufgewühlten Tagen nicht, wie nach der Flüchtlings- und Corona-, nun die Ukrainepolitik immer emotionaler diskutiert wird, wie sich polemische Diskurse zu verschärfen drohen. Da müssen sie nur in die Bürgerpost schauen.
Gerade die ältere Generation, die den Krieg noch erlebt hat, hat große Bauchschmerzen bei immer massiveren Waffenlieferungen. Die geleistete finanzielle und militärische Hilfe Deutschlands und anderer Staaten habe dazu beigetragen, „dass die ukrainische Armee, die wirklich sehr erfolgreich agiert, jetzt so lange durchhalten kann gegen einen so übermächtigen Gegner“, betont Scholz im ZDF jedoch.
Kritik an Kiew
Ob er denn nun auch nach Kiew reisen will, um Präsident Wolodymyr Selenskyj zu treffen, wird er gefragt. Und hier kritisiert er diesen dann auch deutlich. Die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die ukrainische Regierung sei „ein bemerkenswerter Vorgang“ gewesen.
Dass der Bundespräsident, der gerade von der Bundesversammlung mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden sei, zur unerwünschten Person erklärt worden sei, „das kann man nicht machen“. Deutschland habe viel für die Ukraine getan. Da könne es nicht sein, dass man dann sage, „der Präsident kann aber nicht kommen“.
Dass Merz, dessen Union auch Steinmeier gewählt hat, nun selbst dort ihn reist, ist für ihn okay, Merz hat ihn am Samstag über seinen Plan informiert. Die Reise könnte per Nachtzug von Polen nach Kiew in der Nacht zu Dienstag erfolgen, der braucht 13 Stunden und ist Vormittags in Kiew. Nachdem die Reiseabsicht vorab bekanntgeworden ist, war aber zunächst unklar, ob Merz nicht doch noch etwas abwartet.
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In der Bürgerpost im Bundespräsidialamt trudeln ebenfalls zunehmend kritische Zuschriften ein, die der ukrainischen Regierung fehlende Dankbarkeit attestieren - und vor allem das kompromisslose Auftreten ihres Botschafters Andrij Melnyk teils harsch kritisieren.
Dazu die Debatte um den von Alice Schwarzer initiierten Offenen Brief, der von Scholz eine Abkehr vom eingeschlagenen Waffenlieferungs-Kurs und eine diplomatische Lösung einfordert. Es wird zunehmend ein Kippen der Stimmung und eine Polarisierung befürchtet - wie es schon bei den Themen Flüchtlinge und auch bei Corona zu sehen war.
Kein Diktatfrieden
Scholz aber will hier gar keine Zweifel aufkommen, dass man weiter fest an der Seite der Ukraine stehe und man einen russischen Diktatfrieden nicht akzeptieren werde. Putin unterliege einem „Fehler in seinem Kalkül“, wenn er glaube, dass Gebietsgewinne seines Angriffs auf die Ukraine einfach akzeptiert würden.
Ziel seiner Politik sei es, dass es „sofort zum Ende der Kampfhandlungen kommt“ und „dass Russland den Krieg beendet und seine Soldaten aus der Ukraine wieder zurückzieht“, so Scholz. „Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine darf nicht verlieren.“
In der SPD gibt es ein kollektives Aufatmen, dass Scholz versucht, aus der Defensive zu kommen, mit Druck kann er gut umgehen. Zum Tag der Arbeit hat Deutschland dann einen Olaf Scholz erleben können, wie er auch sein kann: Klare Kante gegen Kriegstreiber-Krakeler vom Kanzler, bei einer Kundgebung in Düsseldorf. Immer wieder riefen ihm die Protestler entgehen: „Frieden schaffen ohne Waffen“.
Scholz schrie gegen die Rufe und Trillerpfeifen an. Er respektiere ja jeden Pazifismus. „Aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen.“ Eine solche Haltung sei schlicht "aus der Zeit gefallen".
Lob von der scharfen Kritikerin
Selbst seine zuletzt schärfste innerkoalitionäre Kritikerin, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack- Zimmermann (FDP), lobt Scholz nun für seine klaren Worte. Sie sei dem Bundeskanzler „sehr dankbar für diese klaren Worte“, twitterte sie. „Dringend notwendig und absolut richtig.“
FDP-Chef Christian Lindner attestiert dem Kanzler imm er wieder ein stabiles „inneres Geländer“, eine feste Haltung – das führte auch zu seinem Entschluss für eine Zeitenwenden-Politik. Aber bei der Umsetzung und der Kommunikation hapert es immer wieder.
Und beim Thema Waffen gibt es gerade in der SPD viele Bedenken, ebenso wie bei vielen Bürgern, auch die CDU erfährt das gerade bei ihren Wahlkampfveranstaltungen etwa in Nordrhein-Westfalen, wo es wie bei Scholz viel Protest gibt.
Der Geist von Meseberg - und das Ausbuchstabieren der Zeitenwende
Für den Kanzler steht ab diesem Dienstag eine zweitägige Klausurtagung in Schloss Meseberg bevor, die erste der Ampelkoalition. Sie soll einen Aufbruch nach schwierigen Wochen markieren und den weiteren Kurs abstecken, sofern das in dieser Zeit möglich ist.
Dort soll auch erörtert werden, was die Zeitenwende mit dem Abschneiden des russischen Marktes und hoher Inflation für die Wirtschaft bedeutet, die Ökonomen Michael Hüther und Sebastian Dullien sind zu Gast.
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Mit dem oft beschworenen „Geist“ von Meseberg ist es traditionell aber so eine Sache. In dem preußischen Barockschloss fand Sigmar Gabriel auf der Suche nach einem gemeinsamen Geist in der streitlustigen großen Koalition nur eine Flasche „Himbeergeist“, wie er mal süffisant anmerkte. Mehrfach brachen nach Klausuren in Meseberg erst die Konflikte richtig aus.
Im Kanzleramt betonen sie, wie wichtig es sei, gerade jetzt auch mal abseits der Tagesordnung abends gemeinsam sprechen zu können. Und dass der Kitt im Kabinett zumindest bisher hält, zeige schon, dass von den jeweils zweistündigen offenen Aussprachen vor einer Kabinettssitzung bisher nie etwas nach draußen gedrungen sei.
Scholz und das „Ricola-Prinzip“
Der Regierungssprecher erklärt Scholz’ zuletzt stark kritisierten Kommunikationsstil mit dem „Ricola-Prinzip“. Der Werbeslogan für das Kräuterbonbon laute „Wer hat’s erfunden? Die Schweizer“, sagte Steffen Hebestreit der Zeitschrift „Journalist“. „Während viele Politiker oft und gerne vollmundig ankündigen, was sie vorhaben, bereitet Scholz erst abseits der Öffentlichkeit seine Entscheidungen gründlich vor und verweist im Anschluss öffentlich auf das, was geschafft worden ist.“
In diesem Kontext ist nun viel vom Geleitzug die Rede, in dem man sich auch beim Thema Waffenlieferungen einreihe: kein Vorpreschen Deutschlands, Entscheidungen in enger Nato-Abstimmung. Letztlich wären ohnehin alle gemeinsam Kriegspartei, wenn der russische Präsident Wladimir Putin sie dafür erklärt - das definiert Putin für sich.
„Der Bundeskanzler ist ein sehr erfahrener Politiker, der öffentlichen Druck gewohnt ist und sich nicht kirre machen lässt. Dafür ist er gewählt worden“, meint Hebestreit. Das versucht Scholz auch im ZDF-Auftritt noch einmal vor einem Millionenpublikum deutlich zu machen.
Scholz selbst betont, er treffe seine Entscheidungen schnell und abgestimmt mit den Verbündeten. „Übereiltes Agieren und deutsche Alleingänge sind mir suspekt“, sagte er in einem Interview der „Bild am Sonntag“. „Ich bin nicht ängstlich genug, um mich von solchen Vorwürfen beeindrucken zu lassen“, kontert er die Vorwürfe des Zauderers.
Scholz will sich gerade von einem oft impulsiven CDU-Chef Friedrich Merz nicht seine Politik diktieren lassen, dem Kanzler sind Vereinfachungen zuwider. Dazu gehört: mal eben so nach Kiew fahren zu wollen, ohne BKA-Schutz und obwohl der Bundespräsident dort nicht erwünscht war.
Die Gepard-Geschichte ist schwer zu vermitteln
Zur Methode Scholz gehört, Attacken wie von Merz einfach ins Leere laufen zu lassen, indem er nicht darauf reagiert. Doch zuletzt lieferte die Ampel vor allem hausgemachte Probleme, vom interessanten Kanzler-Interview mit dem „Spiegel“ blieb die - im Kontext des abwägenden Kurses bei der Lieferung von Panzern getätigte - Warnung vor einem Atomkrieg hängen.
Dass dann drei Tage später aber selbst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nichts davon wusste, dass der Bundessicherheitsrat plötzlich grünes Licht für die Lieferung von Gepard-Panzern durch den Krauss-Maffei-Konzern gegeben hat (wenn sie denn tauglich gemacht und Munition beschafft werden kann), ist kommunikativ schwer zu vermitteln. Die SPD versucht sie nun als eine Art Defensivpanzer darzustellen.
Sicher, diese Phase ist Neuland für alle. Was für andere Zaudern ist, ist für Scholz ein tägliches Abwägen. Aber er wird auch von Koalitionskollegen darauf hingewiesen, dass am Ende ohnehin Wladimir Putin für sich selbst die rote Linie definieren wird - und ob mit ihm noch Verhandlungen möglich sind, wird ebenso in Frage gestellt.
Anfangs dachten sie auch in Berlin, die Ukraine sei chancenlos, dann machten Osteuropäer und vor allem die USA Druck, mehr großes Kampfmaterial zu liefern. Ein Gipfel in Ramstein wurde sehr kurzfristig einberufen und Deutschland wollte nicht mit leeren Händen dastehen - und bot Gepard-Flugabwehrpanzer an.
Zwei Damen, die in die Nato wollen, sind in Meseberg zu Gast
Scholz und seine Minister versuchen zudem die Energieabhängigkeit von Moskau rasch weiter herunterzufahren und sich außenpolitisch auf neue Blockbildungen einzustellen.
In Meseberg werden auch die Premierministerin Schwedens, Magdalena Andersson und die Premierministerin Finnlands, Sanna Marin, erwartet. Beide Länder wollen rasch in die Nato aufgenommen werden.
Moskau hat für den Fall der Nato-Aufnahme angekündigt, Atomwaffen und Hyperschallwaffen in seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad stationieren. Die liegt 500 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt und würde auch das Bedrohungsszenario für Deutschland noch einmal sehr verändern.
Der Kanzler umgarnt Indiens Premier - der bleibt neutral
Am Montag setzt Scholz noch ein anderes Zeichen, das ihm wichtig ist. Die ersten Regierungskonsultationen finden nicht mit Frankreich oder Israel statt, er hat den indischen Premier Narendra Modi und sein Kabinett eingeladen. Indien hat sich in der UN-Generalversammlung bei der Verurteilung des russischen Überfalls auf die Ukraine enthalten.
Es geht darum, dieses Land auf die Seite der Front gegen Putin zu ziehen. Indien bringt sich schon als Ersatzabnehmer für Energie aus Russland ins Spiel und könnte so Sanktionen des Westens unterlaufen und Moskau Ersatzeinnahmen liefern.
Die deutsche Wirtschaft fürchtet, wenn sich Indien in einer mehr und mehr bipolaren Weltordnung keinem Lager zuordnen wird, dass es auch mit neuen Handelsabkommen zwischen EU und Indien sehr schwer werden könnte.
Scholz umwirbt Modi, bei dem gemeinsamen Auftritt im Kanzleramt, eine Wasserstoffpartnerschaft wird unterzeichnet. Scholz lädt Modi auch als Gast zum G7-Gipfel nach Elmau ein. Der betont, er habe seine erste Auslandsreise in diesem Jahr nach Berlin gemacht.
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Modi nennt Scholz einen „Freund“, antwortet aber nicht auf die Einladung. Und Fragen werden nicht zugelassen, darauf hat die indische Seite bestanden. Modi sagt, Dialog sei der einzige Weg zur Lösung des Ukraine-Kriegs. „Wir sind der Auffassung, dass es am Ende keinen Sieger geben wird.“
Der Lend-Lease Act und der schmale Grat
Deutschland und die Verbündeten stehen dagegen klar an der Seite der Ukraine. Zum zweiten Mal - nach 1941 - wurde vom US-Kongress ein Lend-Lease Act beschlossen, mit dem einer Kriegspartei Panzer und anderes überlassen werden darf. Damals waren die USA zehn Monate später selbst Kriegspartei.
Nun überlassen fast alle Nato-Staaten direkt oder über einen Ringtausch der Ukraine schweres Gerät, im Kampf gegen Putins Russland. Das ist der schmale Grat auf dem alle jetzt wandern, und der diese Kanzlerschaft und die dazugehörende Kommunikation äußerst komplex und kompliziert macht.