zum Hauptinhalt
Um Allahs Beistand bitten. Ein Kämpfer der libyschen Truppen betet in den umkämpften Straßen von Sirte.
© Ismail Zitouny/Reuters

Libyen: Schlacht um Sirte - die nächste Niederlage des IS

Libysche Einheiten haben den "Islamischen Staat" aus seiner Hochburg Sirte fast vollständig vertrieben – doch die Dschihadisten bleiben eine Gefahr.

Wenn die libyschen Militärs Recht behalten, dann steht der „Islamische Staat“ unmittelbar vor dem Verlust einer seiner wichtigsten Bastionen. „Die letzte Schlacht um Sirte hat begonnen“, erklärte ein Sprecher der Regierungstruppen vor wenigen Tagen. Etwa 1000 Kämpfer sollen in das letzte Viertel der Küstenstadt eingedrungen sein, das von der Terrorgruppe noch gehalten wird. Der endgültige Sieg über die Dschihadisten und damit Sirtes Befreiung stünde unmittelbar bevor, heißt es siegesgewiss.

Doch die vergangenen Wochen haben gezeigt: Der Widerstand ist nach wie vor groß, IS-Anhänger – schätzungsweise sind es wenigstens mehrere Hundert – wehren sich mit den Mitteln. Dazu gehören unter anderem Sprengfallen, Heckenschützen und Selbstmordattentate. Immer wieder wird der Vormarsch zum Beispiel durch Anschläge mit bombenbeladenen Autos verzögert. Aber sogar diese Kriegstaktiken dürften nichts am Ausgang der Gefechte ändern. Der IS verliert seine Hochburg, die Europa am Nächsten liegt. „Das ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat“, sagte der UN-Beauftragte für Libyen, Martin Kobler, dem Tagesspiegel. Nun komme es darauf an, die Stadt von Minen zu befreien. Und es müsse geklärt werden, wie der Wiederaufbau und die Rückkehr der Einwohner zu organisieren ist.

Hundert US-Luftangriffe in vier Wochen

Dass die sunnitischen Fanatiker nach einem Jahr grausamer Herrschaft die Kontrolle über Sirte einbüßen, ist wohl dem Einsatz der USA zu verdanken. Während lokale Brigaden – vor allem als schlagkräftig geltende Gruppen aus der Stadt Misrata – am Boden auf die Geburtsstadt des 2011 getöteten Langzeit-Diktators Muhammad al Gaddafi marschierten, attackierten amerikanische Kampfjets IS-Stellungen. Nach US-Angaben wurden allein im August fast 100 Luftangriffe geflogen.

Amerikanische und britische Spezialkräfte haben außerdem den libyschen Verbündeten Geheimdienstmaterial geliefert. Als Informanten sind die US-Teams unentbehrlich, aber auch umstritten. Denn die von den UN unterstützte, aber keineswegs von allen libyschen Gruppen anerkannte Einheitsregierung will auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, ausländische Soldaten seien im Land aktiv. Der prestigereiche Erfolg über den IS soll ganz allein auf das Konto der neuen Führung unter Ministerpräsident Fajes al Sarradsch gehen.

Sirte war Mitte 2015 in die Hände der Islamisten gefallen. Seitdem führten sie ein Schreckensregiment, das auf extremer Brutalität und Unterdrückung gründete. Die Einwohner wurden wie in anderen eroberten Orten drangsaliert und zu Abgaben gezwungen. Wer sich weigerte, musste um sein Leben fürchten. Viele Menschen sollen wegen Ungehorsams und angeblicher Gotteslästerung geschlagen, gefoltert und geköpft worden sein. Zweimal wagten die Bewohner einen Aufstand, beide Revolten wurden blutig niedergeschlagen. Nachdem vor einigen Tagen das Kommandozentrum des IS von libyschen Einheiten eingenommen werde konnte, feierten die Leute die wiedergewonnene Freiheit lautstark.

Ein Stützpunkt vor Europas Grenzen

Der sich jetzt anbahnende Verlust Sirtes ist ein weiterer schwerer Rückschlag für den „Islamischen Staat“ und sein Projekt eines „Kalifats“. Von ihrem libyschen Stützpunkt mit Zugang zum Mittelmeer wollten die „Gotteskrieger“ Westeuropa bedrohen. Die Stadt liegt zudem in der Nähe großer Ölfelder. Und sie bot sich als Rückzugsgebiet an, weil die Dschihadisten-Miliz in Syrien und im Irak seit Monaten in großer Bedrängnis ist. Denn Libyen ist ein Staat, der als solcher nur noch auf dem Papier existiert. Seit Gaddafis Ende vor fünf Jahren streiten zig Gruppen, Clans und Stämme um Macht, Einfluss und Geld. Jeder misstraut jedem. Die Anarchie machte sich der IS zu Nutze und weitete nach und nach seine Herrschaft über ein 300 Quadratkilometer großes Territorium aus.

Die Niederlage in Sirte bedeutet allerdings kaum das Ende des „Islamischen Staats“ auf libyschem Boden. Beobachter gehen davon aus, dass die Extremisten- Gruppe dort auf 5000 bis 6000 Kämpfer kommt. Jene, die die Schlacht um Sirte überleben, werden versuchen zu fliehen und könnten sich anderen im Land operierenden Islamisten-Einheiten anschließen.

Diese Gefahr sieht auch UN-Diplomat Kobler. Er verweist darauf, dass bis zu 70 Prozent der IS-Kämpfer aus dem Ausland stammen. Nach einer Flucht könnten sie in Libyen aktiv bleiben.
Zum Beispiel im Westen. An der Grenze zu Tunesien gibt es ein großes IS-Trainingslager. Von dort aus ließen sich weitere Anschläge vorbereiten. Das heißt: Der IS kehrte wie in Syrien und im Irak zu seinen Ursprüngen zurück: Terrorismus. Für das ohnehin fragile Gebilde namens Libyen verheißt das nichts Gutes. Auch Nachbarstaaten wie Tunesien und Ägypten könnten das auf fatale Weise zu spüren bekommen. Mit Gewalt.

Zur Startseite