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Flüchtlingslager in Khan Sheikhoun, Syrien
© Photo by Rami al SAYED / AFP

Dreier-Treffen zur Lage in Idlib: Scheitert der Syrien-Gipfel, dann droht eine neue Flüchtlingskrise

Russland, Türkei und Iran beraten ab Montag über die neue Eskalation in Syrien. Die Gefechte in Idlib könnten viele Menschen in die Türkei treiben.

Wenn sich die Präsidenten von Türkei, Russland und Iran an diesem Montag in Ankara zusammensetzen, um über die Lage in Syrien zu beraten, wird Europa aufmerksam zuschauen. Die Kämpfe in der nordwestsyrischen Rebellenhochburg Idlib sind das Hauptthema bei dem fünften Syrien-Gipfeltreffen der drei Länder. Die Gefechte in Idlib könnten bis zu eine Million Flüchtlinge in die benachbarte Türkei treiben – und in Europa möglicherweise eine neue Flüchtlingskrise auslösen. Dass der Gipfel eine dauerhafte Lösung für Idlib finden wird, ist unwahrscheinlich, denn die drei Staaten verfolgen gegensätzliche Interessen.

Vor zwei Jahren hatten sich Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Hassan Ruhani erstmals an einen Tisch gesetzt. Im „Astana-Prozess“ – nach dem früheren Namen der kasachischen Hauptstadt Nursultan, in der regelmäßig verhandelt wird – versuchen Türkei, Russland und Iran, Wege zur Beendigung des Syrien-Krieges zu finden. Kernstück der Initiative ist die geplante Einrichtung einer syrischen Verfassungskommission, die ein neues Grundgesetz für die Nachkr iegsordnung ausarbeiten soll.

Mächtigster Gipfelteilnehmer ist Russlands Staatschef Putin, der mit seinem Kriegseintritt 2015 den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor der damals bevorstehenden Niederlage gegen die Rebellen rettete. Auch der Iran unterstützt das syrische Regime – dagegen hilft die Türkei diversen Rebellengruppen, auch in Idlib. Das Trio hat es bisher geschafft, die grundverschiedenen Interessen auszublenden. Das wird nun immer schwerer: Idlib ist die letzte Rebellenbastion nach mehr als acht Jahren Krieg. Dort rücken Assads Truppen seit April mit russischer Hilfe vor. Die Türkei stemmt sich gegen diese Offensive, weil sie die Niederlage ihrer Verbündeten in Syrien und eine neue Flüchtlingswelle fürchtet.

Mehrmals hatte Erdogan in jüngster Zeit betont, sein Land könne nach der Aufnahme von 3,6 Millionen Syrern keine weiteren Flüchtlinge versorgen. Der türkische Präsident fordert mehr Unterstützung aus Europa und hat deshalb die Möglichkeit angedeutet, Syrer nach Europa durchreisen zu lassen.

In der Türkei wächst der Unmut

Die steigende Zahl von Flüchtlingen in Griechenland macht die Europäer nervös. Im August zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk in Griechenland rund 9300 Neuankömmlinge, die über die Türkei ins Land kamen. Das war die höchste Zahl seit dem Inkrafttreten des europäisch-türkischen Flüchtlingsabkommens im März 2016.

Zum Teil spiegeln Erdogans Äußerungen die innenpolitischen Probleme des türkischen Präsidenten. In der Türkei wächst der Unmut über die vielen Flüchtlinge. Zum Teil geht es Ankara auch um eine Anschlussregelung an das Abkommen mit der EU: Rund 5,6 Milliarden der insgesamt sechs Milliarden Euro an EU-Hilfe sind inzwischen in Projekte in der Türkei geflossen.

Dass Putin dem Gastgeber Erdogan handfeste Zugeständnisse zur Zukunft von Idlib machen wird, ist unwahrscheinlich. Russlands Priorität sei ein militärischer Sieg von Assad im Syrien-Krieg, und nicht türkische Befindlichkeiten, sagte der Nahost-Experte Simon Waldman in Istanbul. Zusagen habe Erdogan von Putin schon häufiger erhalten, sagte Waldman, der bei der britischen Denkfabrik Henry Jackson Society am King's College in London arbeitet. Doch entscheidend sei, was auf dem Schlachtfeld in Syrien geschehe – und da gebe es für Putin Wichtigeres als die türkischen Wünsche.

Kurdenmiliz als wertvoller Partner

Den langfristigen Erfolg seines Schützlings Assad hat Putin auch bei der Entwicklung im Nordosten Syriens im Auge. Das Gebiet steht unter der Kontrolle der USA und der mit Washington verbündeten Kurdenmiliz YPG sowie deren Partei PYD. Erdogan will dort eine militärisch gesicherte „Schutzzone“ einrichten, um die als Terrorgruppe betrachtete PYD/YPG von der türkischen Grenze fernhalten und syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln zu können.

Anders als die Türkei sehen die USA die Kurdenmiliz als wertvollen Partner, der möglicherweise künftig zur Bekämpfung eines Comeback-Versuches des Islamischen Staates gebraucht wird. Washington will deshalb die YPG mit der „Sicherheitszone“ vor den Türken schützen.

Putin hat keine Eile

Zwar hat sich Erdogan mit den USA offiziell auf ein gemeinsames Vorgehen im YPG-Gebiet verständigt. Doch der türkische Präsident hat den Verdacht, dass die Amerikaner mit der Umsetzung zögern, um einen Angriff der Türkei auf die YPG zu verhindern. Ankara hat Washington deshalb eine Frist bis Ende des Monats gesetzt: Wenn die „Sicherheitszone“ bis dahin nicht nach türkischen Wünschen eingerichtet ist, will Erdogan ohne Absprache mit den USA seine Truppen ins Nachbarland schicken.

Russland und der Iran verlangen von der Türkei, sie solle die „Sicherheitszone“ mit Assad einrichten, nicht mit den USA. Damit wollen sie nicht nur den syrischen Präsidenten stärken, sondern auch die Amerikaner aus Syrien hinausdrängen. Zudem wollen sie einen Keil zwischen die Türkei und die USA treiben.

Putin hat dabei keine Eile, meint Nahost-Fachmann Waldman. Der Kreml-Chef wisse sehr gut, dass die Türkei den USA nicht über den Weg traue. Die Spannungen zwischen den Nato-Partnern, deren Beziehungen auch wegen der Anschaffung eines russischen Luftabwehrsystems durch die Türkei belastet sind, könnten noch zunehmen. Dem Kreml wäre das nur recht. „Russland kann sich zurücklehnen, bei der Verschlechterung der türkisch-amerikanischen Beziehungen zuschauen und anschließend seinen Nutzen daraus ziehen.“

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