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Kein Grund für Jubel: Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa (im Bild 2012 in Istanbul) will wegen „politischer Diskriminierung“ gegen die Olympia-Sperren wegen Dopings klagen.
© Christian Charisius/dpa

IOC berät über Dopingskandal: Russland will die Flagge zeigen

Internationaler Sport und Politik sind schwer zu trennen. Ob Fangewalt oder Doping – die Konsequenzen treffen vor allem Sportler. Wie reagiert Russland auf den Ausschluss seiner Leichtathleten für die Olympischen Spiele?

Sportminister Witali Mutko gab sich kämpferisch und entschlossen: Russland werde auf der Olympic Summit an diesem Dienstag in Lausanne am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) „bis zum letzten Atemzug“ für seine Sportler kämpfen. Jedenfalls für die sauberen. – Nur kurz zuvor hatte allerdings sein eigener Sprecher in einem Interview für die Nachrichtenagentur r-spott diese Schlacht bereits für verloren erklärt: Die Position des IOC-Exekutivkomitees lasse „keinen Raum für Hoffnungen“ russischer Leichtathleten auf Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen im August in Rio de Janeiro.

Am Montag kündigte die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA an, nun auch Dopingvergehen in Russlands und Chinas Schwimmsport nachzugehen. Am Samstag hatte das IOC-Exekutivkomitee die vom Weltleichtathletik IAAF im November beschlossene Sperrung russischer Leichtathleten für alle Wettkämpfe bestätigt.

Es könnte noch schlimmer kommen, fürchten russische Medien: Es drohe auch der Ausschluss aller russischen Sportler von den Spielen. Zwar gilt IOC-Präsident Thomas Bach als Freund Russlands im Allgemeinen und besonders von Wladimir Putin, der die Wahl des Deutschen unterstützt haben soll. Ob Bach sich aber gegen die anderen Herren der Ringe durchsetzen kann – und will –, das halten selbst Optimisten für eher unwahrscheinlich. Zumal Kremlsprecher Dmitri Peskow Gerüchte über ein Treffen Putins mit Bach dementierte. Moskaus Interessen werde in Lausanne Alexander Schukow, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees, vertreten. Präsident Putin habe zum Thema gesagt, was zu sagen war.

Putin hatte am Samstag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg die Sperrung der russischen Leichtathleten scharf kritisiert: Die Bestrafung sei „ungerecht“ und sprenge „alle zivilisierten Verhaltensregeln“. Es gehe nicht an, die gesamte Mannschaft für individuelle Verstöße einzelner Sportler zur Verantwortung zu ziehen. Und Doping sei kein russisches Problem, sondern ein Problem der ganzen Welt. Eindringlich warnte der Kremlchef daher vor Versuchen, Sport und Kultur zu politisieren.

Auch russische Fußballfans, hier der bei der Fußball-WM in Frankreich ausgewiesene Alexander Shprygin, zeigen gern Flagge - und geben sich durchaus politisch.
Auch russische Fußballfans, hier der bei der Fußball-WM in Frankreich ausgewiesene Alexander Shprygin, zeigen gern Flagge - und geben sich durchaus politisch.
© Vasily Maximov/AFP

Auch NOK-Chef Schukow rügte die IAAF-Entscheidung als gefährlichen Präzedenzfall: der Sport werde vom Stadion in Gerichtssäle verlegt – das stehe im Widerspruch zum olympischen Geist. Zuvor hatte die zweifache Olympiasiegerin im Stabhochsprung, Jelena Issinbajewa, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angedroht. Die kollektive Sperre sei eine „politisch motivierte Diskriminierung“ und ein direkter Verstoß gegen die Menschenrechte.

Lieber gar nicht antreten als ohne russische Flagge?

Zwar will das IOC russischen Sportlern, deren Proben bei unabhängigen Tests negativ ausfallen, die Teilnahme an den Spielen unter neutraler olympischer Flagge ermöglichen. Für die stolze Nation, die in der Weltpolitik ja wieder in der Champions-League mitspielt, wäre das eine noch schlimmere Demütigung als ein kollektives Startverbot. Das IOC kämpfe nicht gegen Doping, sondern gegen die russische Flagge, erklärte das Staatsfernsehen seinen Zuschauern; Putins Chefpropagandist Dmitri Kisseljow zog schon Parallelen zur Kollektivschuld im Dritten Reich.

Unverständnis äußerten jetzt aber auch regierungskritische Journalisten: Die Sperre sei Wasser auf die Mühlen jener, die Russland als von Feinden belagerte Festung wahrnehmen oder darstellen. Trotz Rezession und anderen Begleiterscheinungen von Wirtschaftssanktionen und Gegensanktionen könnte sie der Kremlpartei bei den Parlamentswahlen im September sogar helfen.

Der Druck des Westens, warnen Experten wie Juri Tawrowski von der Moskauer Universität für Völkerfreundschaft, wachse nicht nur auf Russland sondern auch auf China. Am Donnerstag feiert die von beiden getragene Schanghai-Organisation für regionale Zusammenarbeit in Zentralasien im usbekischen Taschkent ihr 15-jähriges Bestehen. Sie könne sich gezwungen sehen, interne Rivalitäten zurückzustellen und sich zu einem Bündnis mit militärischen Strukturen umzuformatieren. Westliche Alpträume von einem Gegengewicht zur NATO und einer Neuauflage der Blockkonfrontation würden dann wahr

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