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Erstmals seit 23 Jahren zog die Parade zum 1. Mai wieder direkt am Kreml vorbei.
© dpa

Abgeschaltet von den USA: Russland droht Boykott der IT-Branche

Den Russen geht es in Folge der Ukraine-Krise wirtschaftlich immer schlechter. Nun wird die US-amerikanische IT-Branche sich wohl zurückziehen aus dem Land. Ganze Sektoren könnten so lahmgelegt werden.

An Unterstützern mangelt es Wladimir Putin nicht. Rekordverdächtige 82 Prozent vertrauen ihm. Das ist das Ergebnis repräsentativer Umfragen des Lewada-Zentrums, Russlands letztem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut. Vor allem in der Ukraine macht er aus Sicht der Russen alles richtig. Doch die Umfragen ergaben ebenfalls, dass sich fast genauso viele Menschen um die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes sorgen. Ängste, die begründet sind.

Putin kündigte am Rande der Feierlichkeiten zum 1. Mai zwar an, die Produktivität zu erhöhen, um die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Bei der traditionellen Parade der Gewerkschaften marschierten erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 100 000 Menschen über den Roten Platz. Zuletzt hatte die Parade vor 23 Jahren am Kreml vorbei geführt.

Doch wie Antonio Spilimbergo von der Europa-Abteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) warnen viele, dass Russland geradewegs in die Rezession schlittere. Hauptgrund sei die Krise in der Ukraine. Während die Ukraine mit Geldern unterstützt wird, geht es den Russen immer schlechter. Ratingagenturen hatten Russlands internationale Kreditwürdigkeit zuvor schon zurückgestuft. Und ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar: Das russische Finanzministerium rechnet für 2014 mit einem Kapitalabfluss von weiteren 100 Milliarden US-Dollar. Auch das sei „eine Variante indirekter Sanktionen“, sagte Wirtschaftsexperte Michail Chasin. Die Kapitalflucht habe in den vergangenen zwei Monaten rasant an Tempo gewonnen. Geschäftszentren suchten dringend nach Nachmietern für leer stehende Büros ausländischer Repräsentanzen.

Die Preise steigen und steigen

Auch das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg Ende Mai – gedacht als Russlands Gegenentwurf zum alljährlichen Showdown von Weltwirtschaft und Politik in Davos – findet diesmal ohne nennenswerte internationale Beteiligung statt. Westliche Spitzenpolitiker, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben abgesagt.

Die Verbraucherpreise hätten im ersten Quartal 2014 stärker angezogen als im ganzen Vorjahr, sagt der wissenschaftliche Direktor der kritischen Moskauer Hochschule für Ökonomie, Jewgeni Jassin. Hersteller würden sich schon jetzt gegen mögliche Ausfälle oder eine massive Verteuerung von Importen als Ergebnis verschärfter Sanktionen rückversichern. Und die Regierung habe keinen Plan, um gegenzusteuern zu können.

Erste Firmen haben sich bereits zurückgezogen

Vor allem fehlt dem Kreml ein Plan B für den drohenden Rückzug der IT-Branche aus Russland, von dem die Online-Zeitung „Gazeta.ru“ unter Berufung auf informierte Quellen berichtet. Mehr als 90 Prozent der Software, die auf russischen PCs und mobilen Geräten läuft, darunter sämtliche Betriebssysteme, stammen aus dem Westen. Ein Embargo könnte ganze Branchen lahmlegen, vor allem den Bankensektor. Die Abschaltung der technischen Unterstützung sei nur noch eine Frage von Tagen, zitierte „Gazeta.ru“ einen Manager der Bank Rossija, die Freunden Putins gehört und sehr weit oben auf Washingtons Schwarzer Liste steht. Probleme drohen demnach auch bei der Hardware. Branchenführer wie Hewlett Packard hätten Lieferungen an russische Banken bereits eingestellt.

Zwar gab sich Matwej Alexejew vom Verband für elektronische Kommunikation zuversichtlich, dass Russland die drohende Blockade dazu nutzen werde, eigene Ressourcen zu mobilisieren und das digitale Monopol des Westens zu brechen. Doch Garegin Tossunjan, Chef der Assoziation russischer Banken, ist skeptisch. Sanktionen der US-amerikanischen IT-Branche, sagte er Radio Echo Moskwy, wären „ein sehr schmerzhafter Schlag“, die Kreditinstitute müssten dann auf Raubkopien aus China ausweichen. Dass Russland die Lücke mit eigenen Entwicklungen füllen kann, hält der Banker für „wenig wahrscheinlich“.

Elke Windisch

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