Deutsch-mexikanische Beziehungen: Rückenstärkung für die Diplomatie
Mexiko und Deutschland verbindet viel. Ein intensiver gesellschaftlicher Austausch erinnert die Politik von Zeit zu Zeit daran.
Seit Javier Hernández, besser bekannt als „Chicharito“, den Sturm des Fußballvereins Bayer Leverkusen belebt, ist der mexikanische Fußball endgültig in Deutschland angekommen, umgekehrt gilt das schon viel länger. Mit mehr als 220 000 deutschen Touristen, die im vergangenen Jahr Mexiko besucht haben, belegt Deutschland im weltweiten Vergleich den neunten Platz aller Besucher. Nicht zuletzt war der VW-Käfer bis vor wenigen Jahren noch das Standardmodell für die Taxis in der mexikanischen Hauptstadt, heute betreibt Volkswagen mehrere Produktionsstätten und ist trotz der gegenwärtigen Krise einer der maßgeblichen Exporteure der bedeutenden Autoindustrie des Landes. Diese Vielgestaltigkeit des Beziehungsgeflechts zwischen beiden Ländern hat Tradition und birgt zudem großes Zukunftspotential, wenn die entsprechenden politischen Anreize gesetzt werden.
„Lebendige Beziehungen, enge Verbindungen und gemeinsames Engagement“ nennt man das in der Diplomatensprache, wie auch jüngst beim Besuch der mexikanischen Außenministerin Claudia Ruiz Massieu Mitte März in Berlin. Dass bei solchen hochrangigen Treffen nicht die Differenzen oder Defizite in den Vordergrund gerückt werden, versteht sich von selbst; aber die deutsch-mexikanischen Beziehungen haben tatsächlich eine Breite und Tiefe erreicht, die wenig Vergleichbares findet in der internationalen Politik.
Dies wird meist unter Bezug auf Alexander von Humboldt beschrieben, der gerne als Urvater der beiderseitigen Beziehungen angeführt wird. Seine Reise durch Mexiko in den Jahren 1803/04 und der anschließend veröffentliche Bericht „Politischer Essay über Neu-Spanien (Mexiko)“ eröffneten den Weg zu einer wissenschaftlichen, aber auch politischen Beschäftigung mit einem geografischen Raum, der für die deutsche Wissenschaftsgeschichte nachhaltige Impulse setzte. Doch das Humboldt’sche Erbe hatte im 19. Jahrhundert vor allem ein Bild Mexikos in Deutschland geprägt: der Reichtum eines zur Unabhängigkeit strebenden Landes, sodass Wirtschaft und Handel zu den treibenden Kräften einer Beziehung wurden, die bis heute durch diese zentrale Komponente geprägt ist.
Dafür stehen deutsche Handelshäuser und Investitionen im Bergbausektor des 19. Jahrhunderts, die auch die ersten Quellen für den Ausbau einer deutschen Gemeinde in Mexiko darstellten, die während des Nationalsozialismus durch Flüchtlinge wie Anna Seghers oder Egon Erwin Kisch neuen Zustrom erhielt. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahre 1952 bis heute ist die Präsenz der deutschen Automobil- und Chemieindustrie in Mexiko oder mexikanischer Investitionen im Bereich der Bau- und Konsumindustrie Deutschlands in der vergangenen Dekade zu verzeichnen.
An Optionen für eine Vertiefung der Beziehungen mangelt es nicht
Einzigartig ist bis heute das Wirken der „Kulturstiftung der Deutschen Wirtschaft“ in Mexiko-Stadt, die sich als Träger und Förderer einer Fülle von Austauschbeziehungen bewährt und auch jenseits des Wirtschaftslebens das dichte Netz an Kontakten verstärkt hat. Die Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Mexiko-Stadt hat eigene kulturelle Höhepunkte gesetzt, wie dies auch für die Beziehungen zwischen den Bundesländern Bayern und Jalisco oder Rheinland-Pfalz und Aguascalientes in wirtschaftlicher Hinsicht gilt.
Doch auch die politischen Beziehungen haben über die Jahrzehnte an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt wegen der Bemühungen beider Länder, weltweit größeren Handlungsspielraum zu gewinnen und die eigenen außenpolitischen Möglichkeiten zu erweitern. Mexiko möchte sich Alternativen angesichts der Abhängigkeit von den USA eröffnen, Deutschland sucht Partner für die Stärkung seines globalen Gewichts.
An Optionen für eine Vertiefung der Beziehungen in Themen der aktuellen internationalen Politik mangelt es nicht, sei es zu Fragen der künftigen Drogenpolitik, einer möglichen deutsch-mexikanischen Vorreiterrolle bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 oder ein gemeinsames Handeln im Rahmen der G-20-Gruppe von Industrieländern und neuen aufsteigenden Mächten.
Doch vieles scheitert an der Distanz zwischen politischem Willen und tatsächlicher Umsetzung. Hinzu kommen die Interessen anderer Staaten wie etwa die privilegierten Beziehungen Deutschlands zu Brasilien. Die deutsche Außenpolitik hat seit Jahren erfolgreich der Versuchung widerstanden, angesichts der brasilianisch-mexikanischen Rivalität „über die Bande“ zu spielen. Vielmehr hat man versucht, durch eine ausgleichende Behandlung beider Länder die Rivalitäten nicht noch von außen zu schüren. Erkennbar ist jedoch eine besondere Nähe zum außenpolitischen Aktivismus Brasiliens der vergangenen Jahre, während die mexikanischen Erwartungen an eine formale Gleichstellung angesichts begrenzter Gegenleistungen eher mit beschränkter Sympathie aufgenommen wurden.
Auch formell bewegen sich die Länder auf einem unterschiedlichen Aufmerksamkeitsniveau: Während mit Brasilien 2008 eine strategische Partnerschaft begründet wurde, unterzeichneten Deutschland und Mexiko 2007 ein „Abkommen über eine vertiefte Zusammenarbeit“, die in Mexiko-Stadt, aber nicht in Berlin, als gleichwertig eingestuft wird. 2015 tagte erstmals eine binationale Kommission zwischen Deutschland und Mexiko, während die Bundeskanzlerin in Begleitung mehrerer Minister und Staatssekretäre zu Kabinettskonsultationen nach Brasilien reiste.
Doch jenseits solcher Statusfragen eint Mexiko und Deutschland ein gemeinsames Verständnis ihrer Rolle in der internationalen Politik. Dabei verstehen sich Mexiko und Deutschland als Verbündete, nicht im Sinne einer militärischen Partnerschaft, sondern mit Blick auf eine enge Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Probleme.
Eine besondere Tiefe hat diese Zusammenarbeit in zwei Themenbereichen erreicht: Zum einen erkannten beide Regierungen – unabhängig von der jeweiligen parteipolitischen Orientierung – eine Basis gemeinsamen Handelns in der Klimapolitik, insbesondere in einem globale Verpflichtungen beinhaltenden Abkommen, wie es schließlich in Paris im Dezember 2015 verabschiedet wurde. Das maßgebliche Element bestand in der Absicht, die vorherrschende Spaltung zwischen den Ländern des Nordens und des Südens zu überwinden und die gemeinsame Verantwortung in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen.
Mexiko konnte dabei sein Image als Vermittler zwischen den politischen Fronten stärken, ein Handlungsmuster, das auch für den zweiten Bereich der engen Kooperation gilt: die Abrüstungspolitik. Mexikos traditionelle Bemühungen um die Atomwaffenfreiheit Lateinamerikas und die Verabschiedung bzw. Anwendung des Vertrags über den Waffenhandel decken sich mit Positionen Deutschlands und haben gemeinsames Handeln auf internationaler Ebene ermöglicht. Hinzu kommt die Bereitschaft beider Länder, sich an internationalen Friedensmissionen zu beteiligen, ein internationales Handlungsfeld, für das sich Mexiko erst im vergangenen Jahr geöffnet hat.
Schließlich bildet auch Mexikos Präferenz für offene Märkte einen Ansatzpunkt, um sowohl in Fragen der zukünftigen Gestaltung des Welthandels wie auch der internationalen Finanzarchitektur gemeinsame Positionen zu ermöglichen, die mit anderen Ländern Lateinamerikas nur schwer zu erzielen sind. Diese ordnungspolitische Nähe beider Länder bildet die Grundlage für das wechselseitige Interesse, das zu neuen Handlungsoptionen im multilateralen Rahmen führt. Dieses gemeinsame globale Engagement gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit, bei der Mexiko zum leistungsfähigen Partner Deutschlands bei Dreieckskooperationen geworden ist, also der Durchführung von Maßnahmen mit deutschem Kapitel und mexikanischem Know-how zugunsten eines Drittlandes.
Mit gemeinsamen Werten und einer Beziehung auf Augenhöhe sind gute Grundlagen für die Ausgestaltung des wechselseitigen Austausches gelegt worden, der sich nicht zuletzt in den wirtschaftlichen Beziehungen ausprägt. Indes gerät die Politik zwischen beiden Ländern immer wieder in die Falle politischer Konjunkturen, sei es durch den Prozess der deutschen Wiedervereinigung oder Neuorientierungen Mexikos in der internationalen Politik mit der Gründung der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta.
Heute sind es die Attraktivität des Pazifischen Raumes für den mexikanischen Außenhandel oder die Probleme Europas, die die Aufmerksamkeit der deutschen Außenpolitik binden. In solchen Momenten verlieren sich die Partner oftmals aus dem Blick und geraten in die Gefahr, ihre Beziehung in bestimmten Abständen neu „erfinden“ zu müssen. Es muss also darauf ankommen, die beiderseitigen Beziehungen so auf Dauer zu stellen, dass sie nicht den Zyklen politischer und medialer Aufmerksamkeit zum Opfer fallen. Eine solide Basis dafür ist ein lebendiger bürgerschaftlicher Austausch, der ein dauerhaftes Fundament schafft und die politischen Beziehungen anzuregen und herauszufordern weiß. Das bedeutet auch, dass vor kritischen Fragen nicht haltgemacht wird.
Schwierige Themen nicht aussparen
So enthält die bilaterale Agenda zwischen Deutschland und Mexiko auch schwierige Themen: Dies gilt vor allem für die Fragen von Sicherheit und Menschenrechten, deren Beachtung in Mexiko aus Sicht vieler Nichtregierungsorganisationen in Zweifel gezogen wird. Deutschlands vorgesehener Beitrag zur Unterstützung in Mexikos Drogenkampf durch ein ambitioniertes Sicherheitsabkommen ist zum Erliegen gekommen, nicht zuletzt aufgrund eines rechtlich und politisch fragwürdigen Waffengeschäfts und des ungeklärten Schicksals von 43 Studenten einer mexikanischen Hochschule, deren Verschwinden – wie auch das vieler anderer Bürger – einer Aufklärung harrt.
Gerade an solchen kritischen Punkten muss sich die deutsch-mexikanische Partnerschaft bewähren, wenn sie mehr als eine Schönwetterveranstaltung sein will. Dies beinhaltet auch, dass traditionelle Positionen wie jene der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, die zum Grundbestand mexikanischer Außenpolitik gehört, überwunden werden und einer offenen Debatte weichen. Dabei gilt es jene Diplomatie der Bürger einzubeziehen, die heute angesichts eines intensiven Kontakts zwischen den Gesellschaften fester Bestandteil moderner zwischenstaatlicher Beziehungen ist.
Der Autor ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.
Günther Maihold
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