Die Ruta Maya: Auf den Spuren der Maya in Yucatán
Auf Mexikos Halbinsel Yucatán und im Hochland von Chiapas erwecken Archäologen die Welt der Maya zu neuem Leben.
Ek Balam, der „schwarze Jaguar“, galt als echter Geheimtipp. Die archäologische Stätte im Nordosten der Halbinsel Yucatán, verborgen im dichten Buschwald, stellte sich als überschaubar heraus: ein paar Gebäudestrukturen und verwitterte Stelen. Fern vom Trubel der viel besuchten Maya-Stadt Chichén Itzá genossen wir die Ruhe, freuten uns über Kolibris und bunte Schmetterlinge und kletterten auf eine nicht allzu hohe Pyramide. Zu unseren Füßen machten sich Arbeiter an einem Haufen Steine zu schaffen, die sie Stück für Stück nummerierten. Den weiten Platz rahmten auf drei Seiten dicht bewachsene Hügel. Ein Junge bot sich als Führer an, deutete auf Steine zwischen dem Grün der Hügel und sprach von geheimnisvollen Palästen, die darunter verborgen seien.
Drei Jahre später kamen wir wieder nach Ek Balam – und aus dem Staunen nicht heraus. Aus dem Haufen Steine war ein Torgebäude mit Maya-Gewölbe und Durchgängen in vier Richtungen entstanden. Und aus dem lang gestreckten Hügel am Nordrand schälte sich die Fassade eines monumentalen Palasts. Eine breite Außentreppe, gesäumt von Stuckmasken und gemeißelten Schriftzeichen unter Schutzdächern, führt zu einer Terrasse auf halber Höhe und zu einem fantastischen Stuckfries mit Masken und rundplastischen Figuren. Steinerne Ornamente bilden den Rachen einer Schlange, des Erdungeheuers, und symbolisieren den Eingang zur Unterwelt, der Inframundo.
Unberührt seit mehr als 1000 Jahren hatten Archäologen das riesige Relief Ende der 1990er Jahre hinter einer Mauer aus Lehm entdeckt – eine Sensation, die nun auch immer mehr Touristen anlockt. Funde von Wandmalerei-Fragmenten und Hieroglyphen weisen, so die Forscher des Projekts, Ek Balam als eine Schule für Maler und Schreiber aus.
In den 1990er Jahren – 500 Jahre nach Kolumbus und der ersten „Begegnung zweier Welten“ – begann in Mexiko eine intensive und erfolgreiche Phase für die Archäologie. Gleichzeitig wurde die „Mundo Maya“ als touristisches Produkt entdeckt: Die Welt der Maya ist auf der „Ruta Maya“ – einer Route mit vielen Abzweigungen – zu erkunden.
Die Welt der Maya begann vor rund 3000 Jahren. In ihrer Blütezeit um 600–900 n. Chr. (aus dieser Epoche stammen die meisten Exponate der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau) beherrschten verschiedene Maya-Staaten ein Gebiet fast von der Größe Spaniens. Die heutigen mittelamerikanischen Staaten Guatemala, Belize, Honduras und El Salvador bilden die eine Hälfte. Die andere liegt in Mexiko und umfasst die Bundesstaaten Campeche, Yucatán und Quintana Roo auf der Halbinsel Yucatán sowie Tabasco und Chiapas. Überall haben die Maya ihre architektonischen Spuren und ihr künstlerisches Erbe hinterlassen, das in zahlreichen Museen bewahrt wird. Allein auf mexikanischem Maya-Gebiet sind zehntausende Siedlungsstrukturen registriert. 65 archäologische Stätten, ein Drittel der von INAH (Instituto Nacional de Antropología e Historia) betreuten vorspanischen Anlagen in Mexiko, sind zugänglich.
Touristenattraktionen seit Langem sind die Maya-Städte Chichén Itzá, Tulum, Palenque und Uxmal. Andere wurden in den letzten Jahrzehnten buchstäblich dem Urwald entrissen. Die größte, Calakmul in Campeche, liegt ganz im Süden der flachen Halbinsel Yucatán an der Grenze zu Guatemala. Von ihrer Existenz wussten Forscher seit 1931. Auch der Maya-Name – Calakmul bedeutet „Zwillingstürme“ und bezieht sich auf zwei 50 und 55 Meter hoch aufragende Pyramiden – stammt aus jener Zeit. Doch erst nachdem 1987 ein Herrschergrab mit reichen Grabbeigaben, darunter eine kostbare Jademaske, gefunden wurde, begannen systematische Ausgrabungen mit sensationellen Funden. Und mit jedem Fundstück wurde auch ein Stück Geschichte der Maya, ihrer Kenntnisse der Astronomie und der Mathematik, ihrer Religion und ihres Weltbilds freigelegt. Die Entzifferung der Maya-Hieroglyphen war so weit fortgeschritten – bis heute sind etwa 80 Prozent der Schriftzeichen „übersetzt“ –, dass Experten wie der Bonner Wissenschaftler Nikolai Grube die steinernen Geschichtsbücher lesen können. 120 Stelen mit Zeitangaben, Inschriften und Porträts von Herrschern, Priestern und Kriegern wurden in Calakmul geborgen. Auch wenn nicht alle lesbar waren, so erfuhr man doch, dass Calakmul mit dem benachbarten Tikal (Guatemala) in ständigen Kriegen um die Vorherrschaft stand. Mal siegte die eine Seite, mal die andere. Am Ende des 7. Jahrhunderts unterlag Calakmul. Damit zerfielen die beiden Machtblöcke, die „eine richtige Supermachtpolitik betrieben, nicht unähnlich der Weltpolitik vor 1989“, wie es Grube beschreibt. Ihre „Vasallenstaaten“ versuchten als Kleinfürstentümer zu überleben.
Die Magie der Maya-Stätten ist in Calakmul auf besondere Weise zu erleben. 60 Kilometer entfernt von der nächsten Hauptstraße begegnet man wilden Truthähnen mit schillerndem Federkleid, kreuzen Wildschweine und Nasenbären den Weg und in den Baumkronen verteidigen Brüllaffen lautstark ihr Revier. Tapir und Jaguar jedoch machen sich rar. Von der Spitze der Pyramiden überblickt man das endlose grüne Meer des tropischen Urwalds. Die archäologische Zone Calakmul ist seit 2002 Unesco-Welterbe; 2014 wurde das umgebende Regenwaldreservat zusätzlich in die Unesco-Liste aufgenommen.
Vom Regenwald-Tiefland ins Hochland von Chiapas, wo sich frühmorgens nur langsam der Nebel verzieht: Dort lieferten sich ähnlich wie Calakmul und Tikal die Nachbarstädte Palenque und Toniná kriegerische Auseinandersetzungen. Gefangene wurden auch deshalb gemacht, um Sklaven für die aufwendigen Bauarbeiten einsetzen zu können, zum Steineschleppen ebenso wie zur künstlerischen Gestaltung. Im noch wenig besuchten Toniná, das über dem breiten Tal von Ocosingo thront, türmt sich die Akropolis mit 75 Metern Höhe zur höchsten Pyramide Mexikos auf. Die Tempel und Paläste dieses Macht- und Zeremonialzentrums sind auf sieben Terrassen errichtet, durch Treppen und teilweise unterirdische Wege miteinander verbunden. Vom Palast der Unterwelt über die Paläste der Herrscher und Priester bis zum Tempel auf der Spitze spiegelt Toniná das Weltbild und den Kosmos der Maya wider. Auch die spektakuläre Darstellung der vier Zeitalter nach dem Maya-Kalender auf einem Stuckrelief (16 Meter lang, 14 Meter hoch; 790–810 n. Chr.) ist der Dualität von Leben und Tod, von Tag und Nacht gewidmet. Der Tod erscheint leibhaftig als Knochenmann mit einem abgeschlagenen Kopf in der Hand, ein Kaninchen pflanzt Mais, das neue Leben.
Seit drei Jahrzehnten sorgen die Archäologen in Toniná immer wieder für Überraschungen, zuletzt 2015. Mit modernen technischen Methoden wurde der gesamte Berg, an dem die bisher ausgegrabenen Gebäude zu lehnen scheinen, vermessen. Dabei stellte sich heraus: Eine natürliche Erhebung gibt es nicht. Der „Berg“ ist komplett von Menschen gemacht. Unter der Vegetation auf der Rückseite der monumentalen Pyramide warten noch mehr Bauten auf die Freilegung. Weitere Sensationen sind durchaus wahrscheinlich.
Unter den klassischen Maya-Metropolen hielt sich Toniná am längsten. Die letzte bekannte datierte Stele trägt die Jahreszahl 909. Zu den Ursachen des Untergangs der Maya gibt es verschiedene Theorien. Wahrscheinlich scheint eine Kombination aus Dürren, Hungersnöten und Aufständen, wie es auch José Enrique Ortiz Lanz, INAH-Koordinator für Museen und Ausstellungen, erklärt: „Die Herrscher waren Mittler zwischen den Menschen und den Göttern. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben bestand darin, das Gleichgewicht des Universums zu bewahren. Als die Regierenden die Fähigkeit verloren, die Naturgewalten zu kontrollieren, verloren die Menschen das Vertrauen in die Gottkönige.“
Flüchtlingsströme führten in den Städten im Norden der Halbinsel Yucatán nach 800 zu einem Bevölkerungszuwachs. Um das Jahr 1000 war Chichén Itzá das mächtigste Zentrum der Region, bis es um 1200 vom neu gegründeten Mayapán erobert wurde. Diese architektonisch kleinere Kopie von Chichén Itzá erlebte offenbar bis 1450 glanzvolle Zeiten. Davon zeugen außergewöhnliche Weihrauchgefäße in der Ausstellung.
68 Jahre später näherten sich die spanischen Eroberer, von Osten kommend, der Küste Yucatáns. Ihre Berichte beschreiben eindrucksvolle und mächtige Bauten auf einer Klippe über dem Meer – Tulum. Mit der prunkvollen Architektur der Maya-Metropolen kann Tulum (1200–1550) nicht konkurrieren. Klein und windschief sind ihre Tempel und Pyramiden. Doch die fantastische Lage dieser Stadt ist einzigartig in der Maya-Welt. Und genau diese Verbindung von paradiesischem Karibikstrand und geheimnisvoller Kultur macht die Mundo Maya so anziehend für Touristen heute.
Mario Cruz Rodriguez, Tourismusdirektor von Tulum, ist stolz, dass die antiken Bauten vor Meereskulisse als Symbol für die gesamte Riviera Maya stehen. Das beliebteste Urlaubsziel nicht nur der deutschen Mexiko-Touristen zieht sich vom Badeort Cancún aus rund 150 Kilometer Richtung Süden an der Karibikküste von Quintana Roo entlang. Hier wechseln Ruhe und Trubel, finden sich traumhafte Strände und Freizeitparks, riesige All-inclusive-Hotelanlagen und edelste Boutique Hotels, verborgene Naturschönheiten mit Lagunen, Höhlen und Cenotes. Diese heiligen Wasserbrunnen der Maya verlocken zum Schwimmen und Tauchen. Ausflüge ins „Hinterland“ der gesamten Halbinsel Yucatán machen mit überlieferten Lebensgewohnheiten bekannt.
In den Dörfern sprechen die Menschen eine der vielen Maya-Sprachen, leben in typischen ovalen Maya-Hütten mit einem hohen Dach aus Palmblättern und betreiben traditionelle Bienenzucht und Landwirtschaft. Vor der Aussaat wird der Regengott angerufen, um eine gute Ernte zu erbitten, aber auch um die Aluxes zu besänftigen. Diese unsichtbaren zwergenhaften Wesen sind die Schutzgötter der Milpa, des Maisfelds. Mais und Bohnen sind noch immer Hauptnahrungsmittel. Schamanen und Heiler wissen genau, welche Kräuter gegen welche Krankheiten helfen. Viele ihrer Methoden und Kenntnisse sind auch in vielen Hotels gefragt. Nur Yoga, unverzichtbar in spirituell inspirierten Wellness-Einrichtungen, kannten die Maya nicht.
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