Deutsch-mexikanische Wirtschaftsbeziehungen: „¡Arriba! ¡Arriba! ¡Ándale! ¡Ándale!“
Man kennt sich, man schätzt sich: Die deutsch-mexikanischen Wirtschaftsbeziehungen sind gut – und sollen noch weiter ausgebaut werden.
Wer an Mexiko denkt, dem kommen vielleicht die Fotos vom jüngsten Urlaub in Acapulco, der einstigen „Perle des Pazifiks“, in den Sinn; den packt beim Gedanken an Tortillas, Burritos und Enchilladas der Appetit und die Lust auf eine zitronigsaure Tequila-Party; der denkt an Fiestas, Tanz und ausgelassene Lebensfreude in glühender Hitze. Dem einen oder anderen aber zaubert sich auch das nach Erinnerung schmeckende und Erinnerungen weckende Bild des VW-Käfers vors geistige Auge. Das von Ferdinand Porsche – einem Wunsch Adolf Hitlers folgend – in den 30er Jahren entwickelte Automobil stand schon immer für mehr als nur ein Fortbewegungsmittel: Der Käfer ist Mythos, Legende, Symbol. In Mexiko nicht weniger als hierzulande.
Die Beziehung des Wolfsburger Unternehmens zu Mexiko ist eine besondere – und zugleich symptomatische. „Das Geschäftsmodell von VW in Mexiko hat sich in den 50 Jahren seit der Unternehmensgründung mehrmals verändert“, sagt Thomas Karig, Leiter der Unternehmenskommunikation von Volkswagen de México: „Anfangs ging es um die Versorgung des mexikanischen Markts. Seit den 80er Jahren exportiert VW von Mexiko in die USA, und seit den 90ern in die ganze Welt. Heute ist das VW-Werk in Puebla eine der größten Automobilfabriken Nordamerikas.“
Der Kontakt zwischen Deutschland und Mexiko reicht zurück bis in die Kolonialzeit, als deutsche Kirchenvertreter und Handwerker ins Land kamen und sich niederließen. Wie immer, wenn es um deutsch-lateinamerikanische Beziehungen geht, kommt dem Berliner Alexander von Humboldt beim Ausbau der Beziehungsbande besondere Bedeutung zu. Der Naturforscher betrieb hier Studien in den Bereichen Botanik, Bergbau, Geografie und Wirtschaft. Über Mexiko schrieb er: „Wenn man nur einen Flecken dieser Erde als Paradies bezeichnen dürfte, müsste es Mexiko sein.“
Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland der wichtigste Partner
Wie es Superlative so an sich haben – sie sind relativ. Und ob Humboldt das heute angesichts von Gewalt, Drogenhandel, politischer Instabilität und Armut in Mexiko noch genauso sagen würde, ist fraglich. Nach wie vor aber fühlen sich die Regierungen beider Länder dem Ausbau guter politischer und wirtschaftlicher Beziehungen verpflichtet. Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland für Mexiko der wichtigste Partner: Die Wirtschaftsbeziehungen sind dynamisch und von wachsenden deutschen Investitionen geprägt. „Mexiko ist – gefolgt mit Abstand von Brasilien – der wichtigste Zielmarkt für deutsche Exporte in Lateinamerika“, sagt Björn Lisker, Sprecher der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (Camexa) in Mexiko-Stadt. „Das Volumen der deutschen Exporte nach Mexiko hatte 2015 ein Volumen von 11,1 Milliarden Euro.“
Insbesondere für Pharma-, Chemie- und Elektronikindustrie, Maschinenhersteller und Dienstleister sei das 120-Millionen-Einwohnerland attraktiv. Mexiko steht an 15. Stelle der größten Volkswirtschaften, ist die Nummer zehn unter den ölexportierenden Staaten. Von größter Bedeutung ist die Automobilindustrie. „Mexiko ist weltweit der siebtgrößte Automobilproduzent und der größte in Lateinamerika“, sagt Lisker. Audi, BMW und Mercedes-Benz bauen derzeit Fertigungswerke. VW unterhält in Puebla eines, das heute das nach dem Stammwerk in Wolfsburg zweitgrößte Werk weltweit ist. 2003 ging hier der letzte von 1,7 Millionen Käfern vom Band. Jetzt produziert das Werk verschiedene Modelle für den Weltmarkt – darunter, natürlich, der neue Käfer, der New Beetle. Etwas geht zu Ende, etwas Neues beginnt, die Kontinuität bleibt gewahrt. Es geht immer weiter. Ein wiederkehrendes Muster – bei VW wie im deutsch-mexikanischen Verhältnis.
Daran wird auch „Dieselgate“, der VW-Abgasskandal, mittelfristig nichts ändern. Fürs Erste aber muss der Konzern wegen fehlender Umweltzertifikate allein in Mexiko eine Strafe von acht bis neun Millionen Euro zahlen.
Seit 2002 ist die Zahl der deutschstämmigen Unternehmen in Mexiko um 600 auf heute 1750 gestiegen. Sie haben zusammen weit mehr als 100 000 Beschäftigte und erwirtschaften rund sieben Prozent des Anteils der Industrie am mexikanischen Bruttoinlandsprodukt. Keine Frage: Mexiko hat sich als lukrativer Produktions- und Investitionsstandort etabliert. In jüngerer Zeit, darauf weist Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik hin, zunehmend auch – Stichwort Eurocopter – für die Luftfahrtindustrie. Das ist neu. Von 2004 bis 2013 konnte der Sektor ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 18 Prozent verzeichnen.
Die geografische Lage ist aus deutscher Sicht interessant
Mexiko ist Mitglied der G 20. Es verfügt über ein System von mehr als einem Dutzend Freihandelsabkommen mit mehr als 50 Ländern, darunter, am wichtigsten, das 1994 in Kraft getretene Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) mit dem mit Abstand bedeutendsten Handelspartner, den USA. 80 Prozent der mexikanischen Ausfuhren und knapp 50 Prozent der Importe werden mit dem nördlichen Nachbarn abgewickelt. Es sind dieses Freihandelsnetz und die geografische Lage zwischen Nord- und Südamerika, zwischen Atlantik und Pazifik, die Mexiko aus deutscher Sicht besonders interessant machen. Hinzu kommen ein im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiges Lohnniveau, eine gute Infrastruktur, zahlreiche Zulieferbetriebe vor Ort und die Produktion im Dollarraum – und somit die Unabhängigkeit vom Euro.
„¡Arriba! ¡Arriba! ¡Ándale! ¡Ándale!“ („Auf! Auf! Los! Los!“) – mit diesem Aufruf fordert sich Speedy Gonzales, die schnellste (Comic-)Maus von Mexiko, immer wieder selbst an, bevor sie losflitzt. Höher, schneller, weiter soll es nach dem Willen der Beteiligten auch mit den deutsch-mexikanischen Beziehungen gehen. „Das große Interesse deutscher Unternehmen an Mexiko ist keine Modeerscheinung, sondern eine kontinuierliche dynamische Entwicklung seit Jahren“, sagt der Camexa-Geschäftsführer Johannes Hauser und gibt sich optimistisch. Potenzial für deutsche Unternehmen sehe er bei den erneuerbaren Energien und dem Thema Energieeffizienz, im Messegeschäft und bei der Ausbildung junger Fachkräfte.
Man hat also noch einiges vor. Ein mexikanisches Sprichwort allerdings mahnt zu Nüchternheit und Realitätssin: „Der gute Vorsatz“, heißt es, „ist ein Gaul, der oft gesattelt, aber selten geritten wird.“ Den Worten guten Willens werden also, wie in der Vergangenheit, so auch in Zukunft, ein langer Atem, Geduld und Disziplin folgen müssen, damit es nicht bei bloßer Beschwörung bleibt.
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