Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Relevanz statt Reichweite
ARD und ZDF gefährden ihre gesellschaftliche Akzeptanz, wenn sie noch höhere Gebühren verlangen. Ein Kommentar.
Darüber kann es keinen Dissens geben. Deutschland braucht Schulen, Deutschland braucht Universitäten. Dafür werden Milliarden an Steuergeldern ausgegeben. Bildung ist ein öffentliches Gut. Der neue ARD-Vorsitzende, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, hat ein weiteres öffentliches Gut identifiziert: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dafür muss jeder Haushalt bezahlen, egal, ob er die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio nutzt oder nicht. Aktuell 17,50 Euro im Monat. Das ergibt acht Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Nun will Wilhelm für die nächste Beitragsperiode ab 2021 drei Milliarden Euro mehr pro Jahr.
Darüber muss es einen Dissens geben. Die drei Anstalten zusammen betreiben 20 Fernsehprogramme, 69 Radiowellen, mehr als 120 Desktop- und Mobile-Angebote. Dazu wurden sie von den Gebührenzahlern nicht aufgefordert. Das haben sie in ihrer Selbstgewissheit, hervorgerufen aus einer Mischung von Omnipräsenz und Omnipotenz, zum Programmauftrag erkoren und die Rechnung an die Gesellschaft weitergeleitet.
Doch die Zweifel und die Kritik wachsen. An den sichtbaren, hörbaren und lesbaren Medienleistungen der Anstalten. Es wird in erster Linie nach Reichweite und erst in zweiter Linie nach Relevanz programmiert und produziert.
Die Unterhaltung wechselt zu oft auf die leichte, die seichte Seite des Fernsehschaffens. Und wenn so ein Augenaufreißer wie die Serie „Babylon Berlin“ gelingt, dann lässt sich die ARD vom Kooperationspartner Sky über den Tisch ziehen. Das Erste zahlt das Doppelte an Produktionskosten, trotzdem durfte das Pay-TV zuerst ausstrahlen. Der Beitragszahler muss bis in den Herbst 2018 auf den ARD-Termin warten, akzeptieren muss er das nicht.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen missachtet seinen Programmauftrag
Die Bildung ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Quiz-Kreuzworträtsel-Wissen degeneriert. Was für eine Missachtung des Programmauftrags. ARD alpha, der Bildungskanal, wird allein vom Bayerischen Rundfunks verantwortet, er ist ihm elf Millionen Euro pro Jahr wert, eine lächerliche Summe, wenn die gesamte ARD per annum 250 Millionen Euro für Sportrechte ausgibt.
Und die Information, Ankerpunkt öffentlich-rechtlicher Anstrengung? Die „Tagesschau“ hat mehr als zehn Millionen Zuschauer täglich, das „heute-journal“ touchiert die Vier-Millionen-Grenze. Das sind beeindruckende Zahlen. Zugleich läuft aber die Frage mit, ob das Nachrichtengeschäft in einem stabilen Koordinatensystem erfolgt. In den „Tagesthemen“ gehören zum Bericht über den Mord an einem 15-jährigen Mädchen durch einen Flüchtling ein Gespräch mit einer NPD-Vize, gekontert mit einem scharfen Kommentar über das Ausschlachten der Tat durch die Rechtsextremen. Was brauchte es weniger? Die NPD-Frechheit oder die allfällige Empörung? Des einen Verengung kann nicht des anderen Vereinfachung sein.
Höhere Akzeptanz durch Exzellenz
Die öffentlich-rechtlichen Sender sind von Arbeitsgruppen, Kommissionen und Koordinationsstäben durchzogen. Aber das Ergebnis der Beratungen ist nicht neue Besinnung, sondern die alte Forderung nach weiteren Milliarden. Programmatische Erneuerung statt Ewigkeitsgarantie ist dringend gefragt, soll die Erosion des öffentlich-rechtlichen Systems in Europa nicht auf Deutschland überspringen: Am 4. März stimmen die Schweizer über die Abschaffung dieses Rundfunks ab. ARD, ZDF und Deutschlandradio dürfen sich nicht einrichten in immer teurerer Existenz und fortgesetzter Online- und Offline-Expansion. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat eine andere Quelle: Exzellenz. Wenn er öffentliches Gut sein will.