Deutschland, Österreich, Schweiz: Wie Öffentlich-Rechtliche in Europa unter Druck geraten
Der Rückhalt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schwindet. Mal geht es um die Finanzierung, mal um die Objektivität.
Schicksalsjahr ist ein zu großes Wort, Entscheidungsjahr passt besser für 2018. Und es passt auf ARD und ZDF, auf die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) und den Österreichischen Rundfunk (ORF). Das öffentlich-rechtliche System ist im gesamten deutschsprachigen Raum unter Druck gekommen. Zwar gibt es unterschiedliche Druckstellen und „Druckmacher“, unverkennbar aber ist der übergreifende Trend: Der Rückhalt schwindet.
In Deutschland finanzieren sich ARD, ZDF und Deutschlandradio wesentlich über den Rundfunkbeitrag, der jährlich mehr als acht Milliarden Euro in die Kassen bringt. Die Haushaltsabgabe ist ein Zwangsbeitrag, Haushalte und Unternehmen müssen zahlen, egal, ob öffentlich-rechtliche Programme in Fernsehen, Radio und Internet genutzt werden oder nicht.
Dieses Erhebungsmodell ist umstritten, die Alternative für Deutschland (AfD) spricht von „Zwangsgebühren“, die Verleger mit Springer-Chef Mathias Döpfner an der Spitze attackieren die Online-Aktivitäten der „Öffis“ seit Monaten. Zwar stehen hier die Zeichen auf Entspannung, für viele Beitragszahler bleibt die Grundsatzfrage ohne befriedigende Antwort: Braucht es über acht Milliarden Euro, um ein zeitgemäßes öffentlich-rechtliches Angebot zu liefern?
Natürlich wird jedes System, das mehr als 80 Millionen Menschen mit Rundfunk versorgt, es niemals jedem Einzelnen recht machen können. Beispiel: Mit der Saison 2018/2019 wird die Champions League komplett im Pay-TV verschwunden sein, das ZDF war im Wettbewerb um die TV-Rechte ausgestiegen. Wer da zu viel Geld ausgibt, wird bei anderen Sportarten, bei Fußball-EM und Fußball-WM nicht mitbieten können. Prompt tauchte nach dem CL-Verzicht die wütende Frage auf: „Wofür noch Gebühren zahlen?“
Ministerpräsidenten kündigen Konsens
Mit dieser Empörung könnten die Anstalten noch umgehen, zumal die Marktanteile trotz expansiven Pay-TVs und aggressiver Streamingportale stabil sind; was Sorgenfalten auf die Intendantenstirn treibt, das ist der Umschwung bei jenen, die über Jahre und Jahrzehnte in Treue fest zu den Sendern standen: die Ministerpräsidenten der Länder. Bayerns Regierungschef Horst Seehofer propagierte die Fusion von ARD und ZDF, Sachsen-Anhalts Medienminister Rainer Robra (CDU) wollte die ARD als nationalen Senderverbund abschaffen. Die Länderpolitik speziell im Osten spürt den heißen Atem der AfD. Die Partei ist ausweislich der vergangenen Bundestagswahl stärkste Kraft in Sachsen, es wird interessant zu sehen sein, wie sich der neu gewählte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) positionieren wird, wenn die Rundfunkfrage des Jahres 2018 auf dem Tisch liegt: Wird der Beitrag von 2020 an über die gültige Marke von 17,50 Euro steigen?
Da wird auch das Bundesverfassungsgericht Einfluss nehmen, wenn es sein Urteil über das derzeitige Finanzierungsmodell spricht. Sollte Karlsruhe die Praxis der Haushaltsabgabe ohne Abhängigkeit von der Nutzung kippen, dann müssen Rundfunkpolitik und Sender das tun, was sie jetzt noch vermeiden: eine ernsthafte wie substanzielle Diskussion über ein öffentlich-rechtliches Zukunftsmodell.
Schweizer stimmen über "No Billag" ab
In der Schweiz wird die Debatte längst geführt, nein, sie tobt mit Heftigkeit. Am 4. März 2018 stimmen die Schweizer über die „No Billag“-Initiative ab. Billag ist die Gebühreneinzugszentrale. Deren Gegner, durchaus im Sympathisantenkreis des Rechtspopulisten Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei angesiedelt, streiten für die Abschaffung der „Zwangsgebühren“, sie würden den Bürgern die Entscheidungsfreiheit darüber nehmen, wofür sie bezahlen wollen. Der SRG solle sein Programm verschlüsseln und Abos verkaufen. Bisher nimmt der Sender rund eine Milliarde Euro ein, mit aktuell 451 Franken (rund 388 Euro) Haushaltsabgabe ist der Jahresbeitrag der höchste in Europa.
SRG-Präsident Jean-Michael Cina warnte schon, ein Ende der Gebühr würde die Entlassung von 6000 Mitarbeitern bedeuten und das Aus der Programme für die französisch, italienisch und romanisch sprechenden Minderheiten. Zugleich forderte Cina eine selbstkritische Haltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Debatte um die Gebühren. Es gebe die Tendenz, „von oben herab“ zu sprechen, dabei sei ein Dialog auf Augenhöhe mit Hörern und Zuschauern angebracht.
ARD und ZDF gehören zur Elite?
Ein Befund, der ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht unbekannt sein dürfte. Teile der Bevölkerung sehen die Sender und ihre Mitarbeiter nicht nur im „Eliten-Milieu“ von Politik und Wirtschaft verhaftet, sondern von diesen Gruppen beeinflusst, wenn nicht „geführt“.
Auf der To-do-Liste der neuen Mitte-rechts-Regierung aus ÖVP und FPÖ in Österreich steht auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Im Nachbarland war der Einfluss der Politik stets immens, im Lenkungsgremium des Senders hatten und haben die Regierungsparteien immer eine bequeme Mehrheit, das ist bei ÖVP und FPÖ nicht anders.
Die Freiheitlichen, nach Denkungs- und Handlungart lupenreine Rechtspopulisten, werfen der führenden Fernsehanstalt vor, sie sei von „linksradikalen“ Redakteuren unterwandert. Wer so urteilt, der strebt nach Veränderung. „Handelsblatt“-Korrespondent Hans-Peter Siebenhaar zitiert FPÖ-Chef und Vizekanzler Christian Strache mit der Formulierung: „Was wir sicherstellen wollen: dass es natürlich im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine parteipolitischen Schlagzeilen gibt. Das hat dort nichts verloren.“ Wenn Parteipolitiker neutralem und objektivem Journalismus das Wort reden, ist Alarm angesagt. Gemeint ist stets, dass die bisherige Berichterstattung die eigenen Positionen nicht ausreichend und farir berücksichtigt hat, nur mit neuer, vulgo: genehmer Besetzung werde die geforderte Balance gesichert.
FPÖ schraubt am ORF herum
Schon die ersten Personalien werden die neue Richtung anzeigen. Siebenhaar berichtet, dass Armin Wolf, „die journalistische Ikone des ORF“, in höhere Ränge, auf jeden Fall vom Bildschirm weggelobt werden soll. Wolf ist Hardtalker, wenn er in der „ZIB 2“, dem Nachrichtenflaggschiff, mit Politikern in den Clinch geht, wird die Luft eisenhaltig, merkt der Zuschauer, dass Ingo Zamperoni („Tagesthemen“) oder Marietta Slomka („heute-journal“) bestenfalls Hartnäckigkeit zur Messlatte ihrer Fragen machen.
Die FPÖ kann bei ihren „Reformplänen“ auf den Rückhalt ihrer Anhänger rechnen. In Österreich wie in der Schweiz und in Deutschland hat sich partiell der Eindruck verfestigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das eigene Fortkommen und das eigene Wohlgefühl an die Spitze seines Ehrgeizes gesetzt hat. Das ist brandgefährlich und müsste die Sender zu neuem Ehrgeiz treiben: Was ist der einzigartige Daseinszweck von ARD und ZDF, von SRG und ORF? Bloße Existenz ist keine Rechtfertigung. Das war einmal und ist ein für alle Mal vorbei.