Lob des Impfpasses: Reisen ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht
Dass Geimpfte reisen dürfen, gilt vielen als eine „Bevorzugung“. Das wird vorüber gehen. Je mehr geimpft sind, desto größer der Freiheitsdrang. Ein Kommentar.
In der DDR war das Reisen ein Privileg, das nur „Reisekadern“ zustand. Das gemeine Volk war ausgeschlossen. Im freiheitlichen Staat ist Reisen ein Grundrecht. Wirft uns Corona auf DDR-Niveau zurück?
Reisen wird plötzlich wieder als Privileg gehandelt. Es gilt als skandalös, wenn wenige Geimpfte, die ein nationales oder EU-weites Impfzertifikat vorweisen, etwas dürfen, was der Masse der Ungeimpften verwehrt ist. Andererseits sehnen sich viele nach einer Urlaubsreise. Und generell nach Lockerungen.
Wie kommt das, und wird es so bleiben? Bei heiklen Themen sind Wortwahl und Zeitpunkt entscheidend. Das erfordert Verantwortungsbewusstsein, verführt aber auch zu manipulativem „Framing“.
Freiheit ist positiv besetzt, Privileg negativ. Gilt Reisen als Grundrecht, muss man die Einschränkung begründen und sie aufheben, wenn der Grund entfällt. Auch das ist bei Privilegien anders.
In Umfragen sind die Deutschen hin und her gerissen. Bisher lehnen es zwei Drittel ab, dass der Staat Geimpften größere Rechte zugesteht. Nur ein Viertel ist dafür. Lautet die Frage hingegen, ob Fluggesellschaften entscheiden dürfen, nur Geimpfte mitzunehmen, ist eine Mehrheit dafür. Eine namhafte Zahl von Impfskeptikern sagt zudem, sie würden sich impfen lassen, wenn sie dadurch mehr Freiheiten bekämen.
Ist Unfreiheit für alle wirklich gerechter?
Das Allensbach-Institut schrieb Ende Januar, man könne diese Stimmung nutzen, damit sich mehr Menschen impfen lassen. Die Akzeptanz der größeren Freiheiten könnte zudem rasch wachsen, wenn 20 bis 30 Prozent geimpft seien und das „Framing“ der Privilegien für ganz wenige nicht mehr zutreffe. Wie 1989 dürfte sich die Frage, ob Unfreiheit für alle gerechter sei, von selbst beantworten, sobald Freiheit für immer mehr Menschen greifbar wird.
Der Faktor Zeit wird weitere Streitfragen lösen. Eine Debatte über Impfpässe, die zum Reisen berechtigen, sei sinnlos, solange nur wenige geimpft seien, behaupten viele, auch die Kanzlerin. Andere Regierungschefs widersprachen beim EU-Gipfel: Die Diskussion komme spät. Binnen weniger Wochen würden Millionen EU-Bürger geimpft, man brauche aber drei Monate, um den Impfpass in Europas Alltag einzuführen.
Tourismus hilft dem Süden mehr als die Corona-Milliarden der EU
Höchste Zeit also, loszulegen. Die Corona-Rezession trifft Südländer schwerer als den Norden, weil der Tourismus einen höheren Anteil am BIP hat. Wenn die rasch wachsende Zahl der Geimpften reisen dürfte, käme der Aufschwung unmittelbarer als durch die 750 Milliarden Aufbauhilfe der EU; niemand weiß, wann die ersten Euros fließen. Nur wenige Parlamente haben bisher zugestimmt.
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Gewiss, es ist noch nicht sicher, dass Geimpfte niemanden anstecken. Man weiß aber: Die Gefahr ist geringer als bei Ungeimpften, und Erkrankungen verlaufen glimpflicher. Mit Impfung und Pass werden die Risiken kalkulierbarer. Auch für Tourismus und Gastronomie in Deutschland wäre Freiheit per Impfpass ein Gewinn. Was ist der Deutschen liebstes Urlaubsland? Deutschland. Dort verbringen die meisten ihre Ferien.
Sprung in die digitale Zukunft
Und welcher Impfpass soll es sein? Ein digitaler natürlich. Der papierne gelbe mag für Fernreisen taugen. Bei der Rückkehr zu hohen Reisezahlen in der EU würden Einzelkontrollen eines Papiers zu langen Schlangen führen.
Ein computerlesbarer, EU-weit anerkannter Impfpass soll es sein. Dann kann jede(r) sich vor dem Abflug das Okay für die Einreise auf den Kanaren holen; ein Scan bei der Ankunft schützt vor Betrug. Das hat die EU doch versprochen: die Coronakrise für den digitalen Sprung in die Zukunft zu nutzen.