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Die Bundesregierung hat den Armutsbericht in einigen Passagen entschärft.
© Friso Gentsch/dpa
Update

Armutsbericht der Bundesregierung: Regierung bekommt Schelte für Streichungen im Armutsbericht

Im Armuts- und Reichtumsbericht wurden einige Stellen entschärft. Dort ging es darum, dass Menschen mit mehr Geld stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Sie haben es wieder getan – und es ist ihnen wieder auf die Füße gefallen. Für die Entschärfung ihres Armuts- und Reichtumsberichts in wesentlichen Passagen haben die Regierenden am Donnerstag heftige Kritik kassiert. Klare Aussagen, wonach Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache, seien in der überarbeiteten Fassung des Berichts gestrichen worden, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“. Beim letzten Armutsbericht vor drei Jahren hatte es ähnliche Zensurvorwürfe gegeben.

"Klare Schieflage zulasten der Armen"

Dabei ging Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) mit Ambitionen an die Sache. Sie wollte in dem Bericht erstmals auch den Einfluss von Eliten und Vermögenden auf politische Entscheidungen dargestellt haben. Erforschen sollte den Zusammenhang der Osnabrücker Politologe Armin Schäfer. Doch als der Bericht das Kanzleramt und andere Ministerien passiert hatte, waren etliche seiner Erkenntnisse wieder herausgeflogen. So fehlt nun etwa der Satz, dass es „eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“ gebe. Von einer „Krise der Repräsentation“ ist ebenfalls nichts mehr zu lesen. Und auch Hinweise auf den Einfluss von Lobbyisten wurden gestrichen.

Der Armutsforscher und Kandidat der Linken für die Bundespräsidentenwahl, Christoph Butterwegge, nannte die Streichungen skandalös. Die Armutsberichte der Regierung vernebelten ohnehin mehr als sie erklärten, sagte er dem Tagesspiegel. So werde das Problem, dass sich der Reichtum in den Händen ganz weniger Familien konzentriere, weitgehend ignoriert. Wenn es aufgrund von parteipolitischen Präferenzen dann noch zu nachträglichen „Manipulationsversuchen hinter verschlossenen Türen“ komme, sei dies unerträglich. Wolle man solche Einflussnahmen verhindern, müsse das Sozialministerium künftig allein für den Bericht zuständig sein, meinte er.

Lobbycontrol: Solche Zensur ist einer Demokratie nicht würdig

Die Studie habe belegt, dass die Interessen von Reichen politisch eher umgesetzt würden und Einkommensschwache „so gut wie keinen Einfluss“ hätten, betonte der Verein Lobbycontrol. Gerade in Zeiten wachsender Politik- und Demokratieverdrossenheit seien solche Analysen sehr wichtig, sagte Christina Deckwirth vom Berliner Büro der Organisation. Die Auseinandersetzung um die Erbschaftssteuer habe gezeigt, wie eine gut organisierte und finanzstarke Lobby von Firmenerben und Superreichen ihre Interessen durchsetzen konnte.

Die Regierung könne solche Analysen zur Kenntnis nehmen und gegensteuern. „Stattdessen greift sie zur Zensur. Das ist einer Demokratie nicht würdig.“ Die Linke erinnerte daran, dass es noch nie ein Problem gelöst habe, „unbequeme Wahrheiten aus Berichten zu streichen“. Es sei Aufgabe der Regierung, auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu reagieren und nicht sie zu vertuschen, sagte Fraktionsvize Jan Korte. „Wer die soziale Schieflage und ihre Auswirkungen auf politische Mitbestimmung ignoriert, führt die Demokratie nicht aus der Krise, sondern treibt sie noch weiter hinein.“

Ministerium: Ursprünglicher Bericht war nur ein Zwischenstand

Das Sozialministerium betonte, dass der ursprüngliche Berichtsentwurf "ausschließlich für die Ressortabstimmung bestimmt" gewesen sei und "lediglich einen Zwischenstand im Prozess der Berichtserstellung" darstelle. "Dass im Zuge dieses Stadiums Änderungen vorgenommen werden, entspricht nicht nur dem Charakter von Ressortabstimmungen, es ist nachgerade ihr Ziel", sagte eine Sprecherin. "Es handelt sich insofern um ein auch für andere Berichte und Gesetzentwürfe übliches Verfahren." Im übrigen sei auf der Homepage des Ministeriums auch eine eigens in Auftrag gegebene Studie mit einer intensiveren Betrachtung des Themas Reichtum zu finden.

Von Sozialverbänden hatte es allerdings schon vorher Kritik gehagelt. Caritas-Präsident Peter Neher warf den Regierenden vor, das Thema der verdeckten Armut in dem Bericht nicht genügend behandelt zu haben. „Nach wie vor fehlt eine offensive Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass viele tausend Menschen keine Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, obwohl sie ein Anrecht darauf haben.“

Caritas fehlt eine Darstellung der Erfahrungen von Armen

Caritas Neher bemängelte zudem, dass Erfahrungen der von Armut Betroffenen nicht explizit dargestellt würden. Während der Erarbeitung des Berichts hätten Betroffene in einem Workshop des Sozialministeriums für Arbeit und Soziales die Möglichkeit gehabt, ihre Perspektiven und Einschätzungen staatlicher Unterstützung darzustellen. Diese Erfahrungen müssten „unbedingt in Zukunft in die Berichterstattung einfließen“, so Neher. Die Menschen und ihre Bedürfnisse zu kennen, sei „ganz entscheidend, um die notwendigen Hilfen zu organisieren“.

Schon beim letzten Armutsbericht von Nahles’ Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte es Ärger wegen gestrichener Passagen gegeben. Auf Druck des damaligen Wirtschaftsministers Philipp Rösler (FDP) hatte man Angaben, wie viele Menschen für einen Lohn unter sieben Euro arbeiten, entfernt. Außerdem wurde damals die Aussage „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ kassiert.

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