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Preisverleihung des "Euro Fashion Award" in Görlitz, Siegerin Anastasia Lotikova aus Weißrussland. Dritter von rechts: Kaufhaus-Investor Winfried Stöcker
© Peter Kirchhoff/Euro Fashion Award

Ärger um Kaufhaus-Investor Stöcker: Rassismus in Görlitz in Mode?

Görlitz will sich kosmopolitisch geben. Doch der Investor des traditionsreichen Jugendstil-Kaufhauses schockt ein internationales Mode-Publikum.

Görlitz soll attraktiver werden – auch für ein junges, modeinteressiertes Publikum. Dass dafür beste Voraussetzungen herrschen, wollte die östlichste Stadt Deutschlands am vergangenen Wochenende medienwirksam präsentieren. "Görliwood", so der für den Produktionsort von etwa 90 Hollywood-Filmen eigens erdachte und patentierte Spitzname, gibt sich aufgeschlossen, modern, kosmopolitisch geradezu. Und bildet mit dem polnischen Nachbarn Zgorzelec zudem eine "Europastadt".

Wichtiger Protagonist in der Entwicklung im Zentrum der 54.000-Einwohner-Stadt ist auch das "Kaufhaus Görlitz". Seit der Insolvenz der Warenhauskette Hertie steht das Jugendstilgebäude leer, diente oft selbst als Filmkulisse - unter anderem für den Oscar-prämierten Film "The Grand Budapest Hotel". Im Juni 2013 hat sich der Investor Winfried Stöcker des Objektes angenommen. In absehbarer Zeit soll hier wieder internationale Mode über die Ladentheke gehen.

Als modischer Vorbote wurde am vergangenen Samstag der erste "Euro Fashion Award" im ausverkauften historischen Warenhaus veranstaltet. Drei Preise mit einem Gesamtwert von 60.000 Euro sollen alle zwei Jahre an europäische Jungdesigner vergeben werden. Nur über die Internationalität scheint man sich in Görlitz nicht ganz einig zu sein.

"Iranerinnen im Einheitslook" als Kundinnen nicht erwünscht

Als Investor hat Stöcker, eigentlich Mediziner, das erste Wort des Abends. Seine Rede beginnt mit 3D-Skizzen des Kaufhaues: Neue Stockwerke sollen hinzu, alles ein bisschen moderner werden. Doch die Ansprache nimmt eine bizarre Wendung: Die Bilder des Kaufhauses in neuem Glanz wechseln zu Aufnahmen einer Moschee. Er sei eben erst von einer Geschäftsreise aus dem Iran zurückgekehrt, erzählt Stöcker.

Als nächstes zeigt er zwei Bilder von iranischen Frauen in schwarzen Gewändern und Hijabs. Auch die habe er im Iran gesehen, die traditionell gekleideten Muslimas. Die wolle er jedoch lieber nicht als Kundinnen, sagt Stöcker. Vordergründig soll seine Anspielung wohl auf die farbliche und schnitttechnische Analogie der schwarzen Mäntel und Hijabs der Frauen abzielen.

Winfried Stöcker
Winfried Stöcker
© Markus Scholz/dpa

Denn Stöcker hat auch ein "Positivbeispiel" für das Tragen eines Kopftuches parat: Die muslimischen Frauen verschwinden vom Bildschirm, Elisabeth II. erscheint mit bunt-geblümten Kopftuch. Auch sie trage gerne mal ein Seidentuch auf dem Kopf, aber eben nicht nur das: Stöcker beendet seinen kleinen Politexkurs feierlich mit einem weiteren Bild der Queen – dieses mal mit leuchtend blauer Hutkreation. Einem so flamboyanten Accessoire eben, wie Stöcker sie künftig auch in seinem Kaufhaus an die Frau bringen will. Die Queen sei ihm als Kundin lieber, so Stöcker, als "die Iranerinnen im Einheitslook".

Im Dezember 2014 sprach Stöcker über "reisefreudige Afrikaner"

Wer die Vorgeschichte um Stöckers Engagement in Görlitz kannte, war nicht überrascht. Im Dezember 2014 hatte der in der Oberlausitz geborene, 1960 mit seiner Familie nach Westdeutschland übergesiedelte Unternehmer einen Eklat ausgelöst. Der bis dahin gefeierte Kaufhaus-Retter verbot damals ein Benefizkonzert für Flüchtlinge in seinem Kaufhaus, "weil ich den Missbrauch unseres Asylrechts nicht unterstützen will". In einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung" sagte er Dinge wie: "Die reisefreudigen Afrikaner sollen sich dafür einsetzen, dass der Lebensstandard in ihrem Afrika gehoben wird, anstelle bei uns betteln zu gehen." Und: "Jedes Volk muss sich seiner Peiniger und Tyrannen selbst entledigen. Jeder wehrtaugliche Mann in Syrien muss seine Familie schützen."

Die Moslems hätten längst begonnen, einen Staat im Staate zu bilden, führte Stöcker damals weiter aus. "Ich will aber kein neues Mittelalter in meiner Heimat und in 50 Jahren keinen Halbmond auf der Görlitzer Frauenkirche oder auf dem Kölner Dom."

Stöckers verbale Ausfälle machten deutschlandweit Schlagzeilen. In der "Süddeutschen Zeitung" wird er zum "Hoffnungsträger rechts außen". "Kaufhaus-Euphorie weicht Entsetzen", schrieb die "Sächsische Zeitung".

Die "taz" porträtiert Stöcker als "gefallenen Retter". Im Gespräch mit der Zeitung behauptet der Unternehmer: "Ich bin kein Rassist." Er beharrt darauf, weiter "Neger" sagen zu dürfen. Für ihn habe das Wort keine negative Bedeutung. Die Staatsanwaltschaft Görlitz ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen Stöcker, das Verfahren wird im November vergangenen Jahres eingestellt.

"Ich war schockiert", sagt eine US-amerikanische Modefotografin

Ist Stöcker am Samstag in alte Verhaltensmuster zurückgefallen? Die politische Spaltung, die seit einigen Monaten ohnehin für viele Diskussionen sorgt, wurde auch an diesem Abend spürbar: Während Stöckers Ausführungen auf einigen der rund 400 komplett besetzten Modenschauplätzen beklatscht und belacht wurden, machte sich gerade in den Reihen der internationalen Pressevertreter Entsetzen breit. "So etwas hat in der Modebranche keinesfalls Platz", sagt Arne Eberle, Berliner PR-Mann und Herausgeber des Modemagazins "Œ". Vor Ort sei er überrascht gewesen, wie unreflektiert solch fragwürdige Anekdoten, ausgerechnet im Rahmen eines international angelegten Modepreises, erzählt werden.

Bilder einer Iran-Reise: Winfried Stöcker am Samstag in Görlitz
Bilder einer Iran-Reise: Winfried Stöcker am Samstag in Görlitz
© Manuel Almeida Vergara

"Ich war schockiert, als ich die abschätzigen Äußerungen zu den Bildern von Frauen im Kopftuch gehört habe", sagt auch die US-amerikanische Modefotografin und Bloggerin Devon Kaylor. Die Stimmung habe sich im Publikum schnell verändert, viele ihrer Sitznachbarn und sie selbst haben Stöckers Rede nicht als harmlosen Spaß akzeptieren wollen. Stöckers Äußerungen seien "nicht nur in der Mode-, sondern in jeder Industrie absolut inakzeptabel", sagt sie. Hätte sie im Vorhinein von dem Verlauf des Abends und Stöckers Geschichte gewusst, wäre sie nicht gekommen.

Auch auf der Bühne kommt es zum Konflikt: Nach Winfried Stöcker hat der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) das Wort. Ihm sei egal, wen Stöcker sich als Kunden wünsche, betont Dulig. "Für mich sind das in erster Linie alles Menschen." Was Sachsen gerade jetzt brauche, sei Kreativität und Weltoffenheit.

Dem Tagesspiegel sagte Dulig, er sei entsetzt, dass Stöcker aus den Auseinandersetzungen vor eineinhalb Jahren nichts gelernt habe. "Diese Worte sind völlig inakzeptabel. Ich unterscheide nicht zwischen Menschen erster und zweiter Klasse."

Einwohner und Gäste besichtigen im Juni 2014 das 1913 eröffnete Jugendstilkaufhaus in Görlitz. Das 2009 geschlossene Haus diente 2013 als Filmkulisse für "The Grand Budapest Hotel".
Einwohner und Gäste besichtigen im Juni 2014 das 1913 eröffnete Jugendstilkaufhaus in Görlitz. Das 2009 geschlossene Haus diente 2013 als Filmkulisse für "The Grand Budapest Hotel".
© Matthias Hiekel/dpa

Auf lokaler Ebene hält sich die Aufregung in Grenzen. Der Görlitzer CDU-Landtagsabgeordnete Octavian Ursu dankte Dulig für seine Worte. Der Wirtschaftsminister habe "elegant" und "sehr angenehm" reagiert, sagte Ursu dem Tagesspiegel. Der Vorgang am Samstag war aus Sicht des CDU-Politikers nicht so dramatisch wie der Konflikt um Stöcker vor eineinhalb Jahren. Aber: "Es wäre auch ohne gegangen."

In Görlitz haben sich große Teile der Stadtgesellschaft mit den rassistischen Sprüchen des Kaufhaus-Investors abgefunden - und wollen keine Skandalisierung, um die Pläne zur Rettung des Warenhauses nicht zu gefährden. Eine Sprecherin des "Kaufhaus Görlitz" sagte dem Tagesspiegel, der "Euro Fashion Award" sei eine "bunte, internationale Veranstaltung" gewesen. In Anspielung auf den Auftritt von Stöcker sagte sie: "Wenn die Vorgeschichte nicht gewesen wäre, hätte es nicht so viele Missverständnisse gegeben."

Matthias Meisner, Manuel Almeida Vergara

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