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Der von Madrid abgesetzte Carles Puigdemont erklärt in Brüssel: Er beantrage kein Asyl, bleibe aber vorerst in Belgien.
© Matthys/AP/dpa
Update

Konflikt um Katalonien: Puigdemont will aus dem Exil kämpfen

Fern der Heimat, entmachtet, geflohen, gibt Katalanen-Präsident Puigdemont nicht auf. Noch diese Woche soll er in Spanien vor Gericht erscheinen.

Er spricht in bitterem Ton, schaut unruhig, aber ernst über den Rand seiner Brille hinweg. In diesen fremden Konferenzraum, in diese fremden Kameras, in diesem fremden Land. Wie immer bedecken wuschelige Strähnen seine Stirn. Doch anders als noch vor wenigen Tagen in Barcelona sieht Carles Puigdemont an diesem Dienstag in Brüssel blass aus, fast fahl, während Reporter aus aller Welt von ihm wissen wollen, was er nun zu tun gedenkt.

Puigdemont ist erschöpft. In wenigen Wochen wurde er vom allenfalls in Spanien bedeutsamen katalanischen Regionalpräsidenten zu einem der bekanntesten – einige sagen: gefährlichsten – Politiker Europas. Am Wochenende floh Puigdemont mit neun Vertrauten aus Spanien nach Belgien. Kurz zuvor hatte ihn Mariano Rajoy, der Ministerpräsident in Madrid, wegen „Rebellion“ für abgesetzt erklärt.

Das Oberste Gericht Spaniens will Puigdemont anklagen

In Spanien gilt Puigdemont als Staatsfeind, das Oberste Gericht teilte am Dienstagabend mit, dass es gegen Puigdemont und 13 Mitglieder seiner Regierung formell Anklage erheben werde.

Puigdemont soll noch diese Woche vor Gericht in Spanien erscheinen. Damit gerät sein Plan, vorerst von Belgien aus die Unabhängigkeit Kataloniens voranzutreiben, ins Wanken. Denn folgen Puigdemont und die anderen 13 Angeklagten der Vorladung nicht, können Haftbefehle folgen, die auch von belgischen Behörden ausgeführt werden müssten.

Die Angeklagten sollen zudem binnen drei Tagen den Betrag von über 6,2 Millionen Euro hinterlegen, wie Richterin Carmen Lamela mitteilte. Das sind die geschätzten Kosten des für illegal erklärten Unabhängigkeits-Referendums vom 1. Oktober. Die Staatsanwaltschaft hatte am Vortag Anklage gegen Puigdemont wegen Rebellion, Unterschlagung und Amtsmissbrauch beantragt.

Puigdemont hatte zuvor am Dienstag in einer international übertragenen Pressekonferenz gesagt, er wolle kein Asyl in Belgien. Er verstecke sich nicht vor der spanischen Justiz – wolle aber erst zurückkehren, wenn er „Garantien“ für eine faire Behandlung bekomme. „Ich bin hier, um in Freiheit und Sicherheit zu handeln.“

Zudem sagte er, er wolle den Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens nicht aufgeben. Nur „verlangsamen“ – und vorerst aus Brüssel führen, dem Herzen Europas. Man könne „keine Republik für alle auf Gewalt gründen“, sagt Carles Puigdemont. Und dass er die von der spanischen Zentralregierung für Dezember festgesetzten Neuwahlen akzeptiere.

Sein politisches Erbe ist bedroht

Nachdem er vor nur einem Monat den Blick der Weltöffentlichkeit auf das kleine Katalonien lenkte, geht es in diesen Tagen nur noch darum, die Zerstücklung seines politischen Erbes zu verhindern. Dabei ist der 54 Jahre alte Katalane erst 2016 zum Regionalpräsidenten gewählt worden. Wenn Carles Puigdemont an diesem Mittwoch, so wie er es immer tun soll, noch in der Dämmerung aufstehen und im Netz die Nachrichten verfolgen, die SMS seiner Mitstreiter lesen wird, dann könnte er sich nicht nur fragen, ab wann er die Lage eigentlich so falsch einschätzte, sondern auch: Wird er das Land, um das er all die Jahre, vor allem aber in den vergangenen Wochen so heftig gestritten hat, wiedersehen?

Einige Tage bevor Puigdemont vergangenen Freitag die Unabhängigkeit erklärte, bevor Spaniens rechtskonservativer Ministerpräsident Rajoy den Notstand ausrief und Katalonien unter Zwangsverwaltung stellte, sagte ein Puigdemont wohlgesonnener Abgeordneter fast amüsiert: „Komisch, er ist nicht der Revolutionär, für den ihn nun alle halten. Er ist ein Schreiber, ein Träumer, ein netter Kollege.“

Schaffen nette Kollegen neue Staaten? Legen sich Träumer mit dem König in Madrid, dem Militär, der Kirche an? Und mobilisieren Schreiber die Massen? Carles Puigdemont hat seine Absichten nie verheimlicht.

An einem sonnigen Wintertag vor zwei Jahren tritt der noch fast unbekannte Puigdemont an das Pult im Parlament im Parc de la Ciutadella, dem Zitadellenpark, in Barcelona. Auf den Straßen schlendern wie immer Touristen. Doch während die Besucher die Sonne genießen, warten katalanische Arbeiter, Beamte, Bauern an jenem 10. Januar 2016 gespannt vor den Fernsehern. Puigdemont erklärt ohne Umschweife seine politische Vision.

„Ich bin mir vollends bewusst, dass wir einen Prozess starten, der weder einfach noch komfortabel sein wird“, sagt Puigdemont bei diesem ersten großen Auftritt. „Dies ist nicht die Zeit für Feiglinge.“ Die Katalanen würden bald mehr Verantwortung übernehmen müssen. Es gehe darum, einen eigenen Staat zu gründen.

"Dies ist nicht die Zeit für Feiglinge"

Damals wählen Bürgerliche, Sozialisten und Linksradikale ihn, der selbst ein Sozialliberaler ist, ein behutsamer Konservativer, zum Regionalpräsidenten. Denn sie alle eint der Wunsch: weg von Madrid, von Ministerpräsident Rajoy, vom König.

Puigdemont hält Wort. In seiner Neujahrsansprache 2017 kündigt er ein Referendum über die Unabhängigkeit an, im Juni legt er den Termin fest, um – unbeirrt vom Verbot durch Spaniens Verfassungsgericht – am 1. Oktober Wahlurnen aufstellen zu lassen.

Weil Ministerpräsident Rajoy offenbar nicht darauf vertraut, dass die Katalanen gern in Spanien bleiben würden, schickt er die berüchtigte Guardia Civil. Die Bundespolizisten prügeln die Wähler von den Urnen weg.

Die meisten der 5,3 Millionen Wahlberechtigten stimmen nicht ab, aber 2,3 Millionen tun es doch – und zwar ganz überwiegend für Unabhängigkeit, woraufhin Puigdemont sagt: „Die Einwohner Kataloniens haben das Recht gewonnen, in einem unabhängigen Staat zu leben, in einer Republik.“ Zehntausende jubeln auf den Straßen, rufen auch: „Unser Präsident, unser Präsident!“ Ist er das tatsächlich?

Als Kind erlebte Puigdemont die Epoche Francos

Puigdemont wird im Dezember 1962 in Amer, einem Dorf an der französischen Grenze geboren. Das ist katalanisches Kernland, seit jeher Hochburg der Kritiker Madrids. Als Kind erlebt Puigdemont noch die Epoche des faschistischen Diktators Francisco Franco, der in Katalonien besonders brutal wütet. Carles Puigdemonts Vater ist Bäcker. Puigdemont hat sieben Geschwister und soll ein schlauer Junge gewesen sein, loyal Mitschülern gegenüber, etwas sprachverliebt. Puigdemont besucht ein kirchliches, spanischsprachiges Internat. Zu Hause spricht seine Familie Katalanisch – ein eigenes, romanisches Idiom.

Mit 21 Jahren überlebt Puigdemont einen Verkehrsunfall, ein Schicksal, das er mit Mariano Rajoy teilt. Puigdemont lässt seine Haare die Narben auf der Stirn verdecken, Spaniens Regierungschef versteckt die Spuren seines Unfalls unter seinem Bart. Puigdemont studiert katalanische Philologie, macht aber keinen Abschluss. Stattdessen reist er viel, auf dem Balkan möchte er die dort um Eigenstaatlichkeit kämpfenden Nationen des zerfallenden Jugoslawiens kennenlernen. Er wird Journalist und beklagt 1994 in einem Buch, dass internationale Medien kaum über Katalonien berichten.

Puigdemont gründet die Nachrichtenagentur „Agència Catalana de Notícies“, ab 2004 leitet er das englische Magazin „Catalonia Today“. Puigdemont ist der Kosmopolit unter den Nationalisten, er spricht Katalanisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Rumänisch fließend. Er ist mit der rumänischen Anglistin Marcela Topor verheiratet, die beiden Töchter wachsen dreisprachig auf.

Ein authentischer Separatist

Ex-Kollegen sagen, der Reporter sei immer ein authentischer Separatist gewesen, niemand der – wie viele in Katalonien – erst seit der Wirtschaftskrise ab 2008 einen eigenen Staat fordert. Nicht wütend, doch engagiert, nicht militant, aber beharrlich. Erst mit der wachsenden linksnationalistischen Bewegung katalanischer Parteien, Gewerkschaften und Nachbarschaftsvereine jedoch wachsen auch die Ambitionen des bürgerlichen Puigdemont.

Anders als die Politiker in Madrid gibt sich Puigdemont stets locker, verzichtet oft auf die Krawatte, spielt Gitarre. Er ist lange Chef des einflussreichen „Verbands der Gemeinden für die Unabhängigkeit“, dem basisdemokratischen Rückgrat der separatistischen Bewegung. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise wird er Bürgermeister in Girona, ebenfalls Separatistenhochburg. Die Wut auf Madrid ist im wirtschaftsstarken Katalonien groß. Nicht nur Unternehmer, sondern auch Gewerkschafter beklagen sich über Steuern und Abgaben, die nach Madrid fließen – wo sich ihrer Ansicht nach die korrupten Eliten mit diesem Geld sanieren. Auch in Puigdemont reift, so erzählen es Mitstreiter, die Erkenntnis: Da sich Spanien nicht ändern will, müssen wir es eben allein versuchen.

Wenn Zentralspanier, insbesondere Anhänger der rechtskonservativen Regierung, von ihm sprechen, zieht sich Spott durch die Rede: Dieser Katalane, dessen Name sich leicht französelnd wie Cárlas Pudschdamón ausspricht, der Wuschelkopf, der Poet, der Saboteur.

Zehntausende rufen nach ihrem Präsidenten

Wenige Tage vor der umstrittenen Abstimmung in Katalonien soll Puigdemont den kurdischen Regionalpräsidenten in Nordirak, Massoud Barzani, angerufen und gratuliert haben, denn fast 93 Prozent der Kurden hatten dort zuvor für einen eigenen Staat votiert.

Zwar ist Barzani mittlerweile zurückgetreten – doch in den Tagen vor dem katalanischen Referendum sind die Aktivisten des Regierungsbündnisses „Junts pel Sí“ – katalanisch: „Zusammen für ja“ – euphorisch. Sie glauben, dass es tatsächlich klappen könnte.

Und dann gibt es diesen Moment. Als Puigdemont in Barcelona am 10. Oktober 2017 die Unabhängigkeit ausruft – sie aber wegen möglicher Verhandlungen mit Madrid für verschoben erklärt. Damals rufen Zehntausende nach ihrem Präsidenten, fordern ihn auf, nicht länger auf Zugeständnisse aus Madrid zu warten, die doch sowieso nicht kommen würden. Vielleicht ahnt Puigdemont, dass es keine separatistische Mehrheit gibt, jedenfalls keine so überwältigende wie in Kurdistan. Ein Machtmensch, ein kalter Politprofi hätte wohl selbst einen winzigen, womöglich nur gefühlten Vorsprung genutzt, um die Massen aufzurufen, sich hinter ihm zu versammeln. Ein Grübler dagegen wartet ab. Und flieht?

Vorerst bleibt er in Belgien

„Wenn man Unabhängigkeit ausruft, bleibt man besser in der Nähe seines Volkes“, sagt am Dienstag der belgische Vize-Premierminister Kris Peeters. Carles Puigdemont signalisiert in seiner Pressekonferenz: Er bleibe vorerst in Belgien. Einen Anwalt hat er schon.

Während Puigdemont spricht, lässt Spaniens Ministerpräsident Rajoy in Madrid die paramilitärische Guardia Civil in Wachen der katalanischen Regionalpolizei vorrücken. Die Unabhängigkeitsbefürworter, all die separatistischen Regionalpolizisten, Hafenarbeiter, Lehrer, Studenten und Bauern, die es bis heute ernst meinen mit der Staatsgründung, sie sollen sich offenbar nicht sicher fühlen.

Wie auch Carles Puigdemont. Seine Frau und seine Töchter haben Spanien ebenfalls längst verlassen. Wo sie sich aufhalten, ist nicht bekannt. Puigdemont droht, sollte er sich zu einer Rückkehr entschließen, tatsächlich Haft. Im schlimmsten Fall bis zu 30 Jahre.

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