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Ein 75-Jähriger unter jugendlichen Fans: Der US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders am Mittwochabend im Audimax der FU Berlin.
© Lino Mirgeler/dpa

Trump-Kontrahent: Prophet Bernie Sanders predigt in Berlin

Der linke US-Präsidentschaftskandidat wird an der Freien Universität mit Jubeln und Johlen empfangen, verbittet sich aber eine lockere Anti-Trump-Stimmung.

Jubelschreie und "Bernie, Bernie"-Rufe flammen auf, als der US-Senator aus Vermont an der Freien Universität eintrifft. Dann gibt es langen Applaus. Das Audimax ist seit Tagen ausverkauft. Der Euphorie tun auch die 35 Minuten Verspätung, mit der Bernie Sanders wegen der Verkehrsstaus erscheint, keinen Abbruch.

Glaube an ein anderes Amerika

Formal ist es nur eine Buchvorstellung: "Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft" erscheint gerade im Ullstein Verlag, die deutsche Fassung des 2016 erschienenen US-Bestsellers "Our Revolution. A Future to Believe in".

Das empathische Interesse aber gilt dem Repräsentanten eines anderen Amerika - eines Gegenentwurfs zu Trump, zu dessen Stil und politischen Zielen. In den USA waren die 15 bis 35-jährigen, gut Gebildeten seine treuesten Anhänger, als der inzwischen 75-Jährige um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten 2016 kämpfte - und Hillary Clinton unterlag. Studenten sind auch seine engagiertesten Fans an diesem Abend in Berlin. Vertreter anderer Alters- und Gesellschaftsgruppen sind im Saal nicht wahrnehmbar vertreten.

Empörter Protest gegen einen Ausstieg aus dem Klimaschutz

Sanders spricht über weite Strecken wie im Wahlkampf, mit erhobener Stimme. Er beginnt freundlich: Europa seit Jahrzehnten der engste Partner der USA. Rasch wechselt er in eine empörten Tonlage. Es sei falsch, aus dem Klimaabkommen von Paris auszusteigen. Ja, es sei unverantwortlich, wenn Trump das tun sollte, wie einige US-Medien gerade prognostizieren. Deutschland allein werde den Klimawandel nicht aufhalten, auch daran erinnert Sanders.

Sein Hauptvorwurf gegen Trump jedoch ist die Umverteilung von unten nach oben. Trump wolle 23 Millionen armen Amerikanern die Krankenversicherung wegnehmen. Er wolle die Reichen bei den Steuern entlasten. Da stochert der Zeigefinger empört ins Publikum, und seine Miene verfinstert sich. Trump habe im Wahlkampf noch damit geworben, dass er an der Seite der einfachen Arbeiter stehen werde - gegen die Reichen, die großen Konzerne, die Lobbyisten. 

Er mag es freilich auch nicht leiden, wenn das Publikum seine Anklage mit Buhrufen auf Trump unterstützt. Oder seine Erklärung, wie unvernünftig Trump handele, mit verächtlichem Lachen quittiert.

Kein Lachen oder Johlen, bitte

Nein, nein, wehrt Sanders die emotionale Aufladung mehrfach ab. "Das sind sehr ernste Themen." Da gebe es nichts zu Lachen oder zu Johlen. In den USA lebten viele Menschen, die unter den sozialen Verhältnissen leiden und fragen: "Hört irgendjemand unser Leid?" Und die "traurige Wahrheit in Washington ist: Wir waren nicht gut darin, diese Leidensrufe zu hören."   

So wie Sanders Amerikas Rolle in der Welt beschreibt, bekommt sie fast eine religiöse Note. Die USA müssten an der Seite der Unterdrückten stehen, eine Hoffnung für die Benachteiligten sein. Die Mehrheit der Amerikaner frage sich, "wie es dazu kommen konnte, dass wir einen Präsidenten haben, der sich unter autoritären Herrschern wohler zu fühlen scheint als unter unseren demokratischen Verbündeten".

Sanders ist ja selbst ein Europäer, der zum Amerikaner bekehrt wurde. Sein Vater, ein polnischer Jude, wanderte im Ersten Weltkrieg in die USA sein. Seinem Sohn, 1941 in Brooklyn geboren, gelang, was noch kein US-Bürger jüdischen Glaubens geschafft hatte: mehrere Vorwahlen als Präsidentschaftskandidat zu gewinnen.

Manches, was Sanders beklagt, klingt gar nicht so anders als bei Trump. Freihandel sei so, wie er praktiziert werde, unfair für amerikanische Arbeiter. Es werde Firmen "zu einfach gemacht, eine Fabrik  in den USA zu schließen, sie nach China oder Mexiko zu verlegen und Arbeiter dort für einen Bruchteil der US-Löhne anzustellen". Generell gehe es "denen oben zu gut und denen unten zu schlecht". Sein Resümee: "Wir dürfen die Gier der Milliardäre nicht länger akzeptieren." 

Wie hoch sind die Studiengebühren in Deutschland?

Zum Schluss seiner Klassenkampf-Predigt kommt Sanders auf sein Buch zu sprechen, "dazu hat mich mein Verleger ermuntert". Dabei hält er allerdings die amerikanische Taschenbuch-Ausgabe hoch, nicht den neuen deutschen Titel. 

Dann fällt ihm noch ein Missstand in den USA ein: der ungleiche Zugang zu guter Bildung. "Wie hoch sind die Studiengebühren an dieser Uni?", fragt er. Und scheint erstaunt, als es zurück schallt: "Null." Vielleicht hätte er sich doch ein bisschen besser auf das Land seines Gastauftritts vorbereiten sollen.

Das hält ihn aber nicht davon ab, auszubreiten, wie hoch die Verschuldung nach dem Studium in verschiedenen US-Bundesstaaten ausfallen könne. Und wie hoch der Anteil der Gefängnisinsassen an der US-Bevölkerung sei. 

Es hält ihn nicht auf dem Sessel

Eigentlich soll der Vortrag in den Dialog mit dem Publikum übergehen. Doch Sanders hat seine eigenen Vorstellungen. Moderator Christoph Amend vom Zeit-Magazin hat es sich gerade mit Sanders in zwei Sesseln bequem gemacht, da springt Sanders auf und tigert an den Bühnenrand - wie bei der Begegnung mit US-Wählern bei einem "Townhall Meeting".

Er fühle sich im Stehen vor Publikum wohler, erklärt Sanders. Will er noch einmal antreten im Kampf ums Weiße Haus? Für den Moment habe er genug damit zu tun, zu verhindern, dass Trump seine Wahlversprechen umsetzt, sagt der Senator. Da ist er nicht allein.

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