Wegen geringer Beteiligung: Präsidentschaftswahl in Ägypten um einen Tag verlängert
Hunderttausende Soldaten sichern Ägyptens Präsidentschaftswahl – aber es kommt keiner. Am ersten Tag gab wohl nur jeder zehnte Ägypter seine Stimme ab, jetzt soll bis Mittwoch gewählt werden.
Es ist nicht so, dass auf Kairos Straßen nichts los ist: Armeefahrzeuge patrouillieren durch die Straßen, Hubschrauber rattern über den Dächern und vor den Wahllokalen stehen hier die Soldaten, dort die Sandsäcke. Die Stadt ist starr vor lauter Sicherheitsvorkehrungen. Alle Autos im Umkreis von mehreren hundert Metern wurden abgeschleppt - nichts soll den Ablauf der Präsidentschaftswahl in Ägypten stören. Allein, es wirkt wie die Geburtstagsparty des Klassenprimus: keiner kommt.
Kaum ein Kairener habe sich am ersten Wahltag blicken lassen, auch am Dienstagvormittag haben nur wenige den Gang zur Urne angetreten, berichtet Al-Jazeera. Bis zum Montagmittag habe die Wahlbeteiligung bei durchschnittlich zwölf Prozent gelegen, am Nachmittag sei sie dann noch stärker gesunken. Und der Blog El-Marsad präsentiert vom Montag Zahlen, die - so sie authentisch sind - deutlich machen, was die Ägypter von dieser Präsidentschaftswahl halten. Nur durchschnittlich 6,5 Prozent aller Wahlberechtigten haben am ersten Tag gewählt, das Gros blieb fern. Die höchste Wahlbeteiligung gab es in Kairo (7,64 %), Luxor (7,6 %) und der oberägyptischen Stadt Qena (7,57 %). Laut Innenministerium haben hingegen 16 Millionen der rund 53 Millionen Wahlberechtigten bereits gewählt, also gut 30 Prozent. Wegen der geringen Beteiligung wurde die Wahl jetzt um einen dritten Tag verlängert. Das nationale Wahlkomitee habe am Dienstag beschlossen, dass die Wahllokale auch am Mittwoch geöffnet werden sollten, hieß es in den Medienberichten.
Viele Ägypter erwarten den Durchmarsch des einstigen Nobody Sisi
Die Übergangsregierung um Präsident Adli Mansur hatte bereits für Dienstag einen nationalen Feiertag ausgerufen, auf dass die Arbeitsbefreiung am zweiten Wahltag noch einige Ägypter zum Urnengang ermutige. Dass sich in Ägypten im Jahr drei nach Husni Mubarak vermeintlich niemand für die Präsidentschaftswahl interessiert, liegt vor allem an der Strahlkraft des einen Kandidaten. Haushoher Favorit ist Ex-Armeechef Abdal Fattah as-Sisi. Er will die Nachfolge des im Juli 2013 vom Militär gestürzten Islamisten Mohammed Mursi. Viele Ägypter sehen seinen Erfolg - und damit seinen Durchmarsch vom politischen Noboby zum höchsten Staatsmann binnen eines Jahres - als erwiesen an. Ein eigenes Kreuz zu setzen, bringe da nicht mehr viel. Sisis einziger Gegner ist der Linkspolitiker Hamdeen Sabahi, der bei der ersten Post-Mubarak-Wahl vor zwei Jahren überraschend stark abschnitt und damals den Einzug in die Stichwahl knapp verfehlte.
Sisi lockt die Wähler mit Glühbirnen, Sabahi versucht es mit Fakten
Favorit Sisi gab seine Stimme im Stadtteil Heliopolis ab, wo er mit Jubelträllern und einer Pro-Militär-Hymne gefeiert wurde. „Die ganze Welt schaut zu, wie wir Ägypter Geschichte schreiben und unsere Zukunft gestalten“, erklärte der 59-jährige Ex-Feldmarschall, der auf seinen Plakaten mit dem Slogan „Lang lebe Ägypten“ wirbt. Kontrahent Sabahi, der im mittelständischen Viertel Muhandissin zur Wahl ging, dagegen präsentierte sich als Garant der revolutionären Ideale vom 25. Januar 2011, als das Volk Hosni Mubarak zum Rücktritt zwang. Sein Wahlkampfslogan lautete "Einer von uns", anders als der Militär Sisi versucht sich Sabahi zum Mann des Volkes zu machen.
Tatsächlich volksnah sind sie beide nicht. Sisi mag sich in den letzten Wochen mit Fahrrad und Jogginghose beim morgendlichen Radeln durch die Nachbarschaft gezeigt haben - im Netz spottete man nur über die Bodyguards, die seinen Radelweg säumten. Wenn Sisi den Ägyptern erklärte, sie sollten sich ihre Autos teilen, um der Wirtschaftskrise entgegen zu wirken, so unkte die Netzgemeinde, er könne ja gleich Energiesparlampen als Allheilmittel verschenken. Punkt für Sisis Wahlkampfteam: das verschenkte prompt 300.000 Stück. Das ist immerhin eine Art von Wahlgeschenk als die hunderten Todesurteile gegen Muslimbrüder, die ein Gericht im Frühjahr aussprach. Dennoch hütete sich der Ex-Feldmarschall, in Interviews oder TV-Auftritten Lösungen für die politisch instabile Lage Ägyptens oder die Flaute seit dem Einbruch der Touristenzahlen zu verkündeten. Sein Profil im Wahlkampf sollte immer das des tapferen Kriegers sein, der aus armen Verhältnissen an die Spitze des Militär wandert - und nun die Zügel eines führerlosen Landes wieder in die Hand nimmt. Nicht wenige Ägypter bezeichnen Sisi schon jetzt als eine Art "Phänomen".
Die revolutionsmüden Ägypter suchen einen, der alles sein kann
Sabahi konnte dem im Wahlkampf nur mit sachlichen Argumenten begegnen. Der studierte Journalist bezeichnet sich als demokratischen Nasserist, sein deutlich linkes Profil wird von einem breiten Bündnis mehrerer Parteien des linken Lagers, von einigen Gewerkschaften und vielen Aktivistengruppen der Revolution unterstützt. "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit" - die Schlagworte der 2011er Revolution - hat sich Sabahi zu eigen gemacht. Viele Ägypter haben das spätestens in den offiziellen Wahlinterviews des Staatssenders Anfang Mai erkannt: Sabahi zeigte sich als nüchterner Wirtschaftspolitiker, Sisi hingegen hatte gar keine Antworten.
Sabahis Anhänger verlauteten denn auch, der linke Politiker habe am ersten Wahltag nach eigenen Erhebungen mehr Stimmen als Sisi eingeholt. Sollte die Wahl anderes zeigen, wäre das ein "Macht-Monopoly" wie zu Mubaraks Zeiten. Dennoch wird es am Schluss wohl schwer werden, Sabahi an der Popularität Sisis auf den letzten Wahlmetern vorbei zu heben. Denn dieser kann für die revolutionsmüden Ägypter alles sein: Volksheld, Wirtschaftswunder, starker Mann, guter Muslim, Terroristenjäger. Der ehemalige Feldmarschall ist längst zur quasi-religiösen Projektionsfläche verschiedenster Träume geworden.
Und so sehen viele Bürger vor den Wahllokalen die Präsidentenwahl als eine Entscheidung zwischen Sicherheit und Stabilität mit Sisi - oder endlosen weiteren postrevolutionären Turbulenzen unter Sabahi. „Sisi will einen Schlusspunkt setzen und einen neuen Anfang machen, sonst bekommen wir unsere Probleme nicht in den Griff“, meint Ahmed Hosni, der als Manager einer Immobilienfirma arbeitet. Viele seiner Freunde hätten Angst vor einem Staatschef aus dem Militär, gibt er zu. Doch das Volk sei nicht mehr dasselbe wie unter Mubarak. „Regieren wie Mubarak“, ist er sich sicher, „das geht heute in Ägypten nicht mehr.“
Genau das könnte Sisi, sollten die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ihn nächste Woche zum neuen Oberhaupt küren, noch auf die Füße fallen. Bleibt die Wahlbeteiligung auch am Dienstag niedrig, muss sich Sisi gefallen lassen, ein Staatsmann ohne Volk zu sein.
Auf die Präsidentschaftswahl soll zeitnah die Parlamentswahl folgen
Am 5. Juni soll das Ergebnis bekannt gegeben werden. Danach wird die von Übergangspräsident Adli Mansur ernannte Übergangsregierung von Ministerpräsident Ibrahim Mehleb zurücktreten. Der Wahlsieger wird als Präsident vereidigt und beauftragt anschließend einen neuen Ministerpräsidenten mit der Regierungsbildung. Die neue Verfassung sieht vor, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments haben muss. Ägypten hat allerdings schon seit Juni 2012 kein Parlament mehr. Damals hatte das Verfassungsgericht die Wahl nachträglich für ungültig erklärt und das Parlament aufgelöst, in dem die Muslimbrüder die stärkste Kraft gewesen waren.
Gemäß der neuen Verfassung - und den vom Militär vorgegebenen Regeln für die Übergangszeit - müssen spätestens am 17. Juli die Vorbereitungen für die nächste Parlamentswahl beginnen. Dieses Parlament müsste dann nachträglich die Regierung billigen oder auch nicht. Mehrere Parteien haben den Entwurf für das Gesetz, das die nächste Parlamentswahl regeln soll, heftig kritisiert. Sie erklärten, wenn tatsächlich 80 Prozent der Sitze für Einzelkandidaten reserviert werden sollten, würde dies die Rolle der Parteien schwächen. Es würde zudem den Einzug reicher Geschäftsleute ins Parlament begünstigen. Das alles erinnert dann sehr an die Ära Mubarak - Energiesparlampen hin oder her.
(mit dpa)