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Und nun die Hände zum Himmel: FPÖ-Anhänger stimmen sich in Wien auf die Wahl in Österreich ein.
© AFP/Joe Klamar

Was Deutschland von Österreich lernen kann: Politisch läuft in beiden Ländern vieles parallel

In Österreich wird an diesem Sonntag gewählt. Die Gegenwart im Nachbarland könnte auch Deutschlands Zukunft sein. Eine Warnung.

Die Menschen sind freundlich und charmant, der Kaffee ist der reinste Genuss, die Natur der Bergwelt könnte schöner nicht sein und die Kultur des Landes ist genauso Weltklasse wie der Wintersport – nur mit dem Fußball hapert es. 

Denken die Deutschen an Österreich, gehen ihnen zahlreiche Klischees durch den Kopf. So nah und doch so fern erscheint das kleine Land mit seinen gut 8,7 Millionen Einwohnern. Zwar teilt man eine Staatsgrenze und eine Sprache, doch die Mentalitäten der Nachbarn liegen teils weit auseinander.

Der Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern sei ungefähr so groß wie „zwischen einem Schlachtschiff und einem Walzer“, sagte der Wiener Schauspieler und Oscar-Preisträger Christoph Waltz einmal. Und doch läuft politisch vieles parallel in den beiden Ländern. 

So können die österreichische Nationalratswahl an diesem Sonntag auch einen Ausblick auf Deutschlands Zukunft geben. Was bei den Nachbarn längst normal ist, könnte hier ebenfalls bald Realität sein. Welche Lektionen lassen sich daraus ziehen?

LEHRE 1: Vorsicht vor Personenkult

Sebastian Kurz, Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), hat etwas geschafft, das viele deutsche Politiker bislang vergeblich versuchen: Er hat seine Partei, die nach den vielen Jahren der großen Koalitionen ziemlich verbraucht wirkte, grundlegend erneuert. 

Als er im Mai 2017 die Führung der ÖVP übernahm, änderte er alles – Namen, Logo, Programm. Aus der schwarzen ÖVP wurde die „Neue Volkspartei – Liste Kurz“, mit Türkis als Parteifarbe. Die Nationalratswahl 2017 gewannen die Konservativen anschließend mit 31,5 Prozent. Diesen Sonntag gehen sie laut Umfragen mit 34 Prozent als Favorit ins Rennen.

Mit seiner Politik meistert der 33 Jahre alte Kurz eine besondere Herausforderung: Er erreicht junge Wähler in seiner Heimatstadt Wien – ohne dabei die alten, konservativen ÖVP-Anhänger auf dem Land abzuhängen. Kurz gibt den Brückenbauer rechts der Mitte. Jung, charismatisch, klug – „Typ ‚fescher Stenz“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Österreichischen Parlamentariergruppe.

Das Grundprinzip der Kurz'schen Politik ist die wirksame Kommunikation mit den Menschen vor Ort. „Einer, der unsere Sprache spricht“, steht auf den ÖVP-Wahlplakaten.

Funktionärsjargon oder abgehobene Schachtelsätze würden dem smarten Jungpolitiker nie über die Lippen kommen. Spott über seine einfach gestrickten Reden lässt ihn kalt. Nahbar und verbindlich präsentiert sich Kurz – als neuer Politiker-Typus, als Gegenentwurf zu den müden Apparatschiks aus Groko-Zeiten.

Zugleich kann der ÖVP-Chef auch ein mahnendes Beispiel für Parteistrategen und Wähler sein. Seine Politik setzt voll auf Emotionen, Sachthemen gehen da unter. Die Parteilinie der ÖVP hat Kurz steil nach rechts verschoben – und damit „ein wesentliches Element der Programmatik aufgegeben: die christliche Nächstenliebe“, wie der Medienwissenschaftler Fritz Hausjell vom Wiener Instituts für Publizistik sagt.

Kurz habe sich in Migrationsfragen „klassisch rechtspopulistisch positioniert“. Der Unterschied zur FPÖ sei mittlerweile „zumeist nur mit der Lupe zu finden“. Tatsächlich setzt der ÖVP-Mann thematisch auf alles, was zieht – vom Kopftuchverbot für Grundschülerinnen bis zur Forderung nach einem klaren „Bekenntnis zu unserer Kultur und Tradition“. 

Zur Sachlichkeit zurückkehren dürfte die politische Debatte in Österreich damit so schnell nicht.

Bei aller Zustimmung der Wähler birgt Kurz' „One-Man-Show“ aber auch für die Christdemokraten ein hohes Risiko. „Sollte er scheitern, wäre die ÖVP wohl erledigt“, sagt der Österreich-Kenner Brunner voraus. In der Tat hat Kurz alles dafür getan, sich in seiner Partei unersetzlich zu machen. An seiner Person alleine hängt die Zukunft der ÖVP, wenn nicht gar das Schicksal des ganzen Landes.

LEHRE 2: Vorsicht vor Dauer-Empörung

Gekommen, um zu bleiben: Der Aufstieg der FPÖ in Österreich geschah nicht von heute auf morgen, sondern dauert nun schon fast vier Jahrzehnte an. Seit der charismatische Jörg Haider Ende der 1980er Jahre die Partei übernahm und nach rechts rückte. 

„Der begnadete Polemiker Jörg Haider konnte die Machterosion bei den Volksparteien geschickt ausnutzen und hat die politische Landschaft Österreichs nachhaltig verändert“, erklärt der Historiker Oliver Rathkolb von der Uni Wien. Der bisher scheinbar unaufhaltsame Aufstieg begann.

Haider wetterte gegen Privilegien, gegen Politiker, gegen das Establishment – und gegen Migranten. Vor allem Letzteres war der „Brennsatz“ für den Erfolg der Partei, so Rathkolb. Die Partei trieb so jahrzehntelang die Politik vor sich her, regierte von der Oppositionsbank aus, verschob die gesellschaftlichen Grenzen nach rechts. 

In den Medien waren die Rechtspopulisten dauerpräsent – die scharfe Kritik von allen Seiten schadete ihnen nicht, ganz im Gegenteil: Die FPÖ gefällt sich in der Rolle des Provokateurs.

„In Österreich gibt es mittlerweile 15 bis 23 Prozent der Bevölkerung, die ein autoritäres Potenzial aufweisen und Demokratie und Parlament sowie freie Wahlen nicht als unbedingt nötig ansehen“, erklärt Rathkolb. Eine aktuelle Studie der Universität Salzburg zeigt zudem, dass für die Mehrheit der Bevölkerung der Islam nicht zu Österreich gehört. Fast die Hälfte der Befragten meint, dass Muslime nicht die gleichen Rechte haben sollten wie Österreicher.

Bemerkenswert ist auch, dass die Rechtspopulisten scheinbar immun gegen die Folgen von Parteiskandalen oder internen Grabenkämpfen sind. Mehrmals kam es zu kleineren oder größeren Abspaltungen, mehrmals sorgte die Partei nicht nur für rhetorische, sondern auch für handfeste finanzielle Skandale. 

Nach der ersten Regierungskoalition mit der ÖVP Anfang der 2000er kam es zu einer Flut an Gerichtsverfahren, manche laufen immer noch. Heute sitzt die Partei dennoch in allen neun österreichischen Landesparlamenten, in drei Landesregierungen und in vielen Gemeinderäten.

Sogar das Ibiza-Video, in dem FPÖ-Mann Heinz-Christian Strache einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte gegen Parteispenden Staatsaufträge in Aussicht stellte, führte nur zu geringen Einbußen in den Umfragen. 

„Viele FPÖ-Anhänger analysieren nicht mehr ruhig und rational, sondern sehen hinter jeder Kritik an der FPÖ eine Weltverschwörung“, so Rathkolb. Die Partei spielt bewusst mit Verschwörungstheorien. Die Story ist: Wir werden verfolgt, alle sind gegen uns.

„Ein anderer Grund ist die eigene Medienwelt, die sich die FPÖ aufgebaut hat“, sagt Rathkolb. Videos, Blogs und Social Media: Die Rechtspopulisten scheinen die Zeichen der Zeit viel früher erkannt zu haben als andere. „Es gibt in Österreich einen harten Kern von bereits 15 Prozent, der die FPÖ unabhängig von der aktuellen Lage oder von Skandalen wählt.“

In den Umfragen liegt die ÖVP von Sebastian Kurz deutlich vorne.
In den Umfragen liegt die ÖVP von Sebastian Kurz deutlich vorne.
© REUTERS/Leonhard Foeger

Ist die Situation also aussichtslos? Das sieht der Zeithistoriker aus Wien nicht so: „Der Aufstieg der Rechtspopulisten hängt in vielen Ländern mit sozialen Problemen und Unsicherheiten zusammen, das ist die gemeinsame Klammer.“ 

Das bedeute im Umkehrschluss: „Nur radikale Sozialpolitik kann den Rechtspopulisten den Teppich unter den Füßen wegziehen“ – etwa mit einer offensiven Arbeits- und Wohnungspolitik.

Viele Beispiele für ein erfolgreiches Zurückdrängen von Rechtspopulisten gibt es allerdings nicht im deutschsprachigen Raum. Das gallische Dorf in dieser Hinsicht ist das österreichische Bundesland Kärnten – früher eine Hochburg der Rechtspopulisten. 

Jörg Haider war dort der erste FPÖ-Landeshauptmann in der Geschichte der Partei, errang Anfang der 2000er Jahre über 40 Prozent der Stimmen. Die Sozialdemokraten unter Peter Kaiser (siehe Interview rechts) gewannen 2013 allerdings das Bundesland zurück. 

Das Erfolgsrezept des Parteilinken: Soziale Maßnahmen mit Volksnähe und einfacher Sprache kombinieren. Kaiser wurde so zu einem der wichtigsten Politiker seiner Partei, die sich auf Bundesebene bisweilen schwertut im Umgang mit der FPÖ und einer nach rechts gerückten ÖVP unter Sebastian Kurz.

LEHRE 3: Vorsicht vor Groko-Bashing

Eine lange Zeit unter einer Groko-Regierung, das zeigt das Beispiel Österreich, kann ein Land politisch lähmen. Insgesamt mehr als 40 Jahre haben ÖVP und SPÖ seit Kriegsende zusammen regiert. Zum Vergleich: Union und SPD kommen im Bund bislang auf insgesamt zwölf gemeinsame Jahre an der Macht.

Groko-Bashing gehörte dann auch in Österreich über Jahrzehnte zum guten Ton: Der „Filz“ in den Wiener Ministerien, Langeweile im Parlament, Reformstau – und Frust bei den Wählern. Das landestypische „Proporzsystem“ verstärkte bei vielen die Wahrnehmung der Alpen- als eine Art Bananenrepublik. Öffentliche Ämter in Österreich werden oft gemäß Parteimitgliedschaft besetzt.

„Die Menschen wollten einfach nur noch raus aus dieser Proporzdemokratie“, sagt der SPD-Politiker Brunner. 2017 wurde die Austro-Groko zum zweiten Mal in der Geschichte von einer ÖVP-FPÖ-Koalition abgelöst. Eine Besserung des politischen Klimas brachte das Groko-Aus aber nicht – im Gegenteil: 

Die neue Regierung versetzte das Land in Aufruhr wie selten zuvor. Die vielen „Einzelfälle“, wie die FPÖ ihre Nazi-Verstrickungen nennt, nahmen viele noch mit Schulterzucken hin. Für Massenproteste sorgten hingen die Regierungspläne zu radikalen Sozialkürzungen und der Einführung des Zwölfstundentags. Die „Ibiza-Affäre“ brachte das Fass dann zum Überlaufen – und die Koalition an ihr Ende.

Angesichts des Dramas wünschen sich da manche Österreicher die Groko-Langeweile zurück. „Nach der turbulenten Zeit unter Kanzler Kurz wollen viele wieder zurück zur Stabilität, wie sie eine große Koalition bietet, die ja per se nichts Schlechtes ist“, erzählt Brunner von Gesprächen mit österreichischen Parlamentskollegen.

Zurück zur Groko – eine Option? Für die meisten Österreicher kommt das nicht infrage. In den Umfragen wünschen sich fast 30 Prozent eine ÖVP-FPÖ-Koalition. Nur zehn Prozent wären für Türkis-Rot zu haben – wohl auch, weil Konservative und Sozialdemokraten inzwischen so verfeindet sind, dass man sich eine Zusammenarbeit kaum noch vorstellen kann. Das Beispiel Österreich zeigt allerdings: Ist die Groko weg, wird nicht automatisch alles besser.

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