Kleines. mächtiges Oppositionsblatt in Wien: Ein "Falter" gegen die ÖVP
Haarschnitt für 600 Euro: Der Wiener „Falter“ mischt den Wahlkampf in Österreich auf. Leidtragender ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Man müsse sich nicht alles gefallen lassen, sagt Florian Klenk, ihm reiche es jetzt. Ende vergangener Woche hat der 46-jährige Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung „Falter“ Klage gegen den weit rechts angesiedelten Kolumnisten der „Kronen Zeitung“, Michael Jeannée, eingebracht. Der publizistische Grobian hatte ihn nach peinlichen Enthüllungen über die Finanzgebarung von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz einen „Getriebenen, einen Selbstverliebten, einen Diffamierer, einen Möchtegern-Star“ genannt und ihm das Verbreiten falscher Nachrichten in seinem „Bolschewikenblattl“ (Jeannée) unterstellt. 50 000 Euro Entschädigung fordert Klenk nun von Österreichs meistgelesener Zeitung, das Geld würde er einer sozialen Institution zur Verfügung stellen.
„Kronen Zeitung“ und „Falter“ liegen nicht nur in puncto Auflage weit auseinander, sondern auch in ihren politischen Präferenzen. Ist die „Krone“ in ihrer Wahlberichterstattung geradezu pubertär in den per Misstrauensantrag abgewählten Ex-Kanzler Sebastian Kurz verschossen, einen rechten Christdemokraten, bereitet der „Falter“ ebendiesem gehörige Probleme. Seit zwei Wochen veröffentlicht die Stadtzeitung Dokumente aus der Buchhaltung der ÖVP, aus denen die Methodik der Machtabsicherung durch den 33-jährigen Kurz hervorgeht: Er greift für sein Publicity-Feuerwerk sehr tief in die Kassen.
Kurz und die Kosten
Schon bei der Wahl 2017 hatte Kurz die gesetzlich festgelegte Kostenobergrenze von sieben Millionen Euro um das Doppelte überschritten. Damals hatte er das als Versehen abgetan und Besserung gelobt. Aus den nun vom „Falter“ veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass die Mehrausgaben offenbar einkalkuliert waren und auch im laufenden Wahlkampf gesetzwidrig hoch kalkuliert wird.Woher ein Teil des Geldes dafür kommt, wurde schon in den vergangenen Wochen aufgedeckt: Die am Kärntner Wörthersee lebende Kaufhauserbin Heidi Horten etwa spendierte dem jungen Kanzler nahezu 600 000 Euro, der Tiroler Baulöwe Klaus Ortner, einer der reichsten Männer Österreichs, machte gar bis zu einer Million für die ÖVP locker. Stefan Pierer, Chef des Motorenwerks KTM, brachte sich mit 436 000 Euro ein.
Vor allem das Bekanntwerden der Spende Heidi Hortens erregte Aufsehen: Sie überwies allmonatlich je 49 000 Euro, erst ab 50 000 Euro muss eine Spende laut Gesetzeslage an den Rechnungshof gemeldet werden.
Das Geld wird bei zahlreichen Events verjubelt, in deren Mittelpunkt stets Sebastian Kurz steht: Für eine Party im engeren Kreis aus dem Anlass „100 Tage Regierung“ gab die ÖVP 26 000 Euro aus, ein Sommerfest 2018 schlug mit 160 000 Euro zu Buche. Im Dezember kredenzt Kurz bei einem Empfang in der malerischen Wiener Innenstadt stets Maroni und Glühwein. Kostenpunkt 2018: 70 000 Euro
Stefan Steiner, seit Jahren der engste Berater des jungen Ex-Kanzlers, darf sich über ein monatliches Salär von 33 000 Euro freuen, ein privates Kampagnenbüro erhält 1,7 Millionen im Jahr. Durch die in Österreich großzügig bemessene öffentliche Parteienförderung kommen für den Großteil dieser Ausgaben die Steuerzahler auf.
Gehackte Parteicomputer
Bereits zwei Tage nach der Veröffentlichung der Buchhaltungsdetails im „Falter“ verkündeten Sebastian Kurz und sein Generalsekretär Karl Nehammer, die Computer der ÖVP-Zentrale seien gehackt, das Material verfälscht und dem „Falter“ zugespielt worden. Ein namhafter IT-Experte bestätigte das Hacking, jedoch nicht die Verfälschung.
Der „Falter“ schreibt, der anonyme Informant habe sich per Mail als „ganz normaler, unbescholtener Bürger mit Vollzeitjob“ vorgestellt. Persönlichen Kontakt mit der Quelle gab es nicht.
Die Wiener Stadtzeitung ist seit geraumer Zeit Anlaufstelle für ziemlich heiße Ware, was sie nicht zuletzt ihrem Chefredakteur Klenk verdankt, der in Personalunion auch noch Chefaufdecker mit einem Stab von tüchtigen Redakteurinnen und Redakteuren ist.
Im Vorjahr enthüllte der „Falter“ etwa, dass in der deutschnationalen Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Vorsitzenden Udo Landbauer ein schwer antisemitisches Liederbuch kursiert. Landbauer musste zurücktreten, ist inzwischen aber wieder Fraktionschef seiner Partei im Landtag.
Als die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Spiegel“ im vergangenen Mai ein Video veröffentlichten, das Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin zeigt – Strache versprach ihr fette Aufträge –, recherchierte der „Falter“ Geldströme. Auch in jenem internationalen Investigativkollektiv, welches die Panama-Papers zutage förderte, war die Stadtzeitung vertreten.
„Der Falter“ erreicht mit seiner Drucklage von 44 000 Exemplaren im Schnitt 197 000 Leser und damit 2,6 Prozent aller österreichischen Zeitungsleser – in Wien sind es fünf Prozent. Durch die häufige Zitierung in den Abendnachrichten der TV-Stationen ist das Blatt aber hochpräsent.
Vom Handverkauf zum wöchentlichen Verkauf
Gegründet wurde der „Falter“ 1977 im Nachklang der Besetzung eines Kulturgeländes in einem inzwischen planierten Schlachthof. In den ersten Jahren noch per Hand in Studentenbeisln verkauft, erschien der „Falter“ ab 1987 wöchentlich. Heute gehört die Mehrheit den Privatstiftungen des langjährigen Chefredakteurs Armin Thurnher und des ebenso lange amtieren Geschäftsführers Siegmar Schlager. Die restlichen 25 Prozent teilen sich der Anwalt Hannes Pflaum und Hans-Michel Piech, 73, ein aus der Art der Familie geschlagener Bruder des kürzlich verstorbenen Porsche-Patriarchen Ferdinand Piech.
Wegen zu wenig kommerzieller Anzeigen ist das Blatt auf Inserate öffentlicher Einrichtungen angewiesen. Die rot-grüne Wiener Stadtregierung, städtische Wirtschaftsbetriebe und die Arbeiterkammer sind die mit Abstand wichtigsten Inserenten. Hingegen stornierte die ÖVP/FPÖ-Regierung nach Amtsantritt fast alle Anzeigen im „Falter“.
Einen Wahlsieg von Sebastian Kurz werden die jüngsten Enthüllungen wohl nicht verhindern. Wenngleich seine ÖVP zuletzt in den Umfragen etwas nachgegeben hat, liegt sie mit 33 Prozent noch immer um rund zehn Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten.
Spott wird Sebastian Kurz freilich noch lange verfolgen: Aus den vom „Falter“ veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass er sich vom Friseur für bis zu 600 Euro pro Session die Haare schön machen lässt.
Von Herbert Lackner, Wien
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