Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission: Polen und Ungarn am Pranger
In beiden Ländern sieht die EU-Kommission den Rechtsstaat weiter in Gefahr – das könnte zur Kürzung von Subventionen führen.
Polen und Ungarn stehen besonders im Fokus des diesjährigen Rechtsstaatsberichts, in dem sich die EU-Kommission mit dem Zustand der Demokratie, der Unabhängigkeit der Justiz und der Korruptionsbekämpfung in den 27 Mitgliedstaaten beschäftigt. Besondere Sorge bereitet der Brüsseler Behörde, die den Bericht am Dienstag vorstellte, ein System der Vetternwirtschaft in Ungarn. In dem Bericht wird kritisiert, dass die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán bislang nicht genug getan hat, um Günstlingswirtschaft innerhalb der Verwaltung und Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft zu beseitigen.
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Kritiker werfen Orbán schon seit langem vor, in erster Linie Gefolgsleute der Regierungspartei Fidesz mit EU-Subventionen zu bedenken. Die jüngste Kritik in dem Rechtsstaatsbericht bestärkte EU-Abgeordnete, die vor diesem Hintergrund Mittelkürzungen für Ungarn, aber auch für Polen verlangen.
EU-Abgeordneter Jens Geier verlangt Mittelkürzungen
Nach der Ansicht des SPD-Europaabgeordneten Jens Geier zeige der Rechtsstaatsbericht, dass sich Ungarn und Polen von den europäischen Werten, auf die sich die Regierungen in beiden Ländern einst vertraglich verpflichtet hätten, „immer weiter entfernen“. Damit erodiere auch die Grundlage der EU-Mitgliedschaft der beiden Länder, sagte Geier dem Tagesspiegel weiter. In der Zwischenzeit müsse die EU von ihren Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Ungarn und Polen Gebrauch machen, „und das heißt auch, Gelder einzukürzen", forderte er.
In Polen schwand die Unabhängigkeit der Justiz
Im Fall Polens werden im Rechtsstaatsbericht wegen der seit 2015 eingeführten Justizreform „erhebliche Bedenken“ formuliert. Unter der Regierung der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sei die Unabhängigkeit der Justiz geschwunden, während der Einfluss von Exekutive und Legislative zugenommen habe, heißt es in dem Bericht. Derartige Kritik aus Brüssel prallt aber regelmäßig an der Regierung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ab. Zuletzt hatte das regierungstreue Verfassungsgericht in Warschau in der vergangenen Woche sogar geurteilt, dass einstweilige Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur polnischen Justizreform keineswegs befolgt werden müssen.
Warschau muss EuGH-Urteil bis 16. August umsetzen
Am folgenden Tag war der EuGH in Luxemburg seinerseits zu dem Urteil gekommen, dass die Rechtsvorschriften über die Disziplinarkammer am Obersten Gericht in Warschau gegen Unionsrecht verstoßen. Wie EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova am Dienstag erklärte, hat Polen nun bis zum 16. August Zeit, um den Luxemburger Urteil Folge zu leisten. Anderenfalls drohten Polen ein Vertragsverletzungsverfahren und Geldstrafen, so Jourova. „EU-Recht ist vorrangig gegenüber dem nationalen Recht“, sagte sie.
Ähnlich wie im Fall Ungarns wird in dem Rechtsstaatsbericht auch mit Blick auf Polen „eine unangemessene Einflussnahme auf die strafrechtliche Verfolgung von Korruption zu politischen Zwecken“ angeprangert. Damit gebe es auch in Polen Zweifel an der Unabhängigkeit der Korruptionsbekämpfer.
Vor diesem Hintergrund hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits angekündigt, dass sie im Herbst die ersten Verfahren einleiten werde, die zu einer Kürzung von EU-Geldern führen könnten. Welche Länder von der Anwendung des neuen Rechtsstaatsmechanismus betroffen sein könnten, ließ sie allerdings vorerst offen.
Corona-Hilfen für Ungarn und Polen noch nicht freigegeben
Dass eine baldige Vergabe der Milliarden aus dem Corona-Fonds der EU für Polen und Ungarn kein Selbstläufer ist, machte Jourova deutlich. Die EU-Kommission stünde wegen des nationalen Corona-Plans in einem „intensiven Kontakt“ mit den Vertretern Polens, sagte sie. Die Brüsseler Behörde wolle vor der Vergabe der Corona-Milliarden ein „robustes System der Kontrolle und Rechnungsprüfung“ sichergestellt sehen, sagte sie. Dies gelte auch für Ungarn.
Auch auf die Medienfreiheit in den 27 EU-Mitgliedstaaten geht der Rechtsstaatsbericht ein. In mehreren EU-Ländern haben sich die Arbeitsbedingungen für Journalisten verschlechtert, auch wegen des wirtschaftlichen Drucks während der Pandemie. Die Ermordung des niederländischen Investigativjournalisten Peter R. de Vries, der mutmaßlich durch einen Anschlag des organisierten Verbrechens ums Leben kam, nimmt die EU-Kommission zum Anlass, um auf die Bedeutung von Initiativen wie „PersVeilig“ („Sichere Presse“) hinzuweisen. Auf der niederländischen Meldeplattform können Journalistinnen und Journalisten Bedrohungen anzeigen.
Einflussnahme über lukrative Anzeigen
Schlecht ist es laut dem Rechtsstaatsbericht um die Medienfreiheit in Ungarn bestellt. In dem EU-Mitgliedstaat, in dem zuletzt die Ausspähung von Journalisten durch die Software Pegasus Schlagzeilen machte, verlor der regierungskritische Sender „Klubradio“ im vergangenen Februar seine Lizenz. Während die Regierung keine Corona-Hilfen für bedrohte Medien zur Verfügung stellte, übte sie im Gegenzug mittels lukrativer Anzeigenkampagnen indirekt Einfluss auf die Medien aus, lautet die Kritik der Kommission.
Polnischer Zeitungsdeal löst Bedenken aus
Für Polen kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Medienmarkt im Land bislang vielfältig sei. Sorgen bereitet der Brüsseler Behörde allerdings der Verkauf der Zeitungsgruppe „Polska Press“ an den staatlichen Ölkonzern Orlen. In Slowenien weigert sich die Regierung des Rechtspopulisten Janez Jansa wiederum, staatliche Hilfen an die Nachrichtenagentur STA auszuzahlen. Dazu sagte Jourova, sie erwarte von den slowenischen Behörden eine Rückkehr zu einer „stabilen Finanzierung“ der Agentur.
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