Familiennachzug für Migranten: Feiges Feilschen um Menschenleben
Die Jamaika-Parteien feilschen um den Familiennachzug von Migranten. Der aufgeregte neue Konservatismus von CDU und CSU ist jämmerlich. Ein Kommentar.
An diesem Donnerstag kommt ein echter Brocken auf den Tisch, an dem die Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen stattfinden: die Themen Flucht, Migration und Integration – und damit auch das Thema Familiennachzug. Am Wochenende steckten Unionspolitiker noch einmal ihre Positionen ab: Jens Spahn sagte, der zwei Wochen alte Kompromiss von CDU und CSU müsse „der Kern der Migrationspolitik“ von Jamaika sein. Gerd Müller, CSU, öffnete ein Kompromissfenster: In „Härtefällen“ könne man die Zusammenführung zulassen, sagte er.
Die Art und Weise, wie hier über das Leben von Menschen gefeilscht wird, ist schwer erträglich. Und es lässt nichts Gutes erwarten von dem neuen Klare- Kante-Konservatismus, den Jens Spahn und andere anstreben.
Mit dem Asylpaket II, das im März 2016 in Kraft getreten ist, wurde der Familiennachzug für „subsidiär Schutzbedürftige“ ausgesetzt, also für Migranten, die rechtlich nicht unter das deutsche Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Es sind Menschen, die nicht individuell politisch oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt werden, denen aber dennoch in ihren Heimatländern ein „ernsthafter Schaden“ droht. Argumentiert wurde von Unionsseite immer damit, die Zahl der nachkommenden Verwandten sei sehr hoch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge korrigierte nun allerdings seine Prognose nach unten und auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, legte nach einer repräsentativen Umfrage unter Geflüchteten Zahlen vor, nach denen für subsidiär Schutzbedürftige nur etwa 50.000 bis 60.000 Nachzüge zu erwarten wären.
Aufregung verspricht in der Politik schnellen, billigen Erfolg
Warum also die Aufregung? Die Aussetzung des Familiennachzugs verspricht eine billige Erfolgsmeldung. Den „Staat, der Sicherheit, Ordnung und Recht ohne Wenn und Aber garantiert“, wie ihn Jens Spahn besingt, gegen tausende Ausreisepflichtige durchzusetzen, die ihre Rechtsmittel ausgeschöpft haben, ist schließlich kompliziert und teuer. Es bräuchte mehr Beamte und die Länder müssten mitmachen.
Mit der Aussetzung des Familiennachzugs hingegen lassen sich mit einem Federstrich Zehntausende aufs Haben-Konto der CSU schreiben, bei jenem unwürdigen jährlichen Menschen-Zählen, das Deutschland mit einem atmenden Obergrenzen-Richtwert-Deckel von 200.000 wohl wird ertragen müssen.
Und dann sind da noch die echten und vermuteten Ressentiments. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer schrieb kürzlich zur Erklärung, warum die christliche Familienpartei CSU gegen den Nachzug sei, es gehe darum, „die Akzeptanz unserer Bevölkerung für das Asylsystem nicht zu gefährden“. Man könnte das weniger verbrämt so formulieren: Der Stopp des Familiennachzugs entspricht nach Ansicht der Union dem neuen Wunsch nach staatlicher Härte.
Der Erfolg der AfD wird in der Union als Abwahl humanitärer Politik interpretiert. Man wähnt das Humanitäre durch Angela Merkels Flüchtlingspolitik als realitätsblinde Romantik diskreditiert – besonders unter jenen Wählern, die man unbedingt zurückhaben will.
Ist das der neue Konservatismus – die zum Prinzip erhobene politische Feigheit? Es stimmt, dass eine knappe Mehrheit der Unionswähler und der Bevölkerung gegen den Familiennachzug ist. Doch Prinzipienfestigkeit und Erklärung wären die bessere Antwort.
Entscheidet Jamaika, den Familiennachzug für weitere zwei oder drei Jahre auszusetzen, ist es für viele betroffene Familien zu spät. So mancher unbegleitete Minderjährige ist dann ohne Familie erwachsen geworden, manche Ehe am Ende.
Wie sollen Menschen lernen, Deutschland zu achten und ein Teil Deutschlands zu werden, wenn Deutschland ihnen die Familie verweigert? Der Familiennachzug ist integrationspolitisch sinnvoll, realpolitisch verkraftbar und menschlich geboten. Aber die Union traut sich nicht. Was für ein jämmerliches Bild.