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Palästinenser wollen in Rafah Poster verbrennen, auf denen US-Präsident Trump und Israels Ministerpräsident Netanjahu zu sehen sind.
© Ashraf Amra/dpa
Update

US-Botschaft in Jerusalem: Palästinenser rufen Generalstreik aus

Die neue US-Politik ruft viel Kritik hervor: Die PLO sieht die Zwei-Staaten-Lösung "zerstört". Der UN-Sicherheitsrat tritt am Freitag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen.

Aus Protest gegen die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump haben die Palästinenser zu einem Generalstreik aufgerufen. Für Donnerstag kündigten weltliche und islamistische Gruppen in einer gemeinsamen Erklärung zudem Kundgebungen an.

Israel schwankt derweil zwischen Euphorie, Kritik und Furcht. Da sind zum einen jene, die bereits den Wahlsieg Trumps als eigenen Sieg verbucht haben, die von einer Zeitenwende sprachen, dem Beginn einer neuen pro-israelischen Nahostpolitik der USA – und die in Jerusalem Plakate aufhängten mit der Aufschrift: „Masel tov zu Ihrer Entscheidung, Ihre Botschaft nach Jerusalem zu verlegen“. Genau das hatte Donald Trump im Wahlkampf bereits versprochen.

So ist nun die Freude groß, dass das Weiße Haus Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkennt. „Dies ist ein historischer Tag“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwochabend nach Trumps Rede. „Die Entscheidung des Präsidenten ist ein wichtiger Schritt in Richtung Frieden, weil es keinen Frieden gibt, ohne dass Jerusalem die Hauptstadt des Staates Israel ist.“ Andere Staaten forderte er dazu auf, dem Vorbild der USA zu folgen und ihre Botschaften ebenfalls dorthin zu verlegen. „Es wird keinerlei Veränderung des Status quo an den heiligen Stätten geben“, betonte Netanjahu zugleich. In der Jerusalemer Altstadt liegt der Tempelberg. Er ist Juden wie Muslimen heilig.

Netanjahu hatte schon vor der Rede erklärt, Israels nationale und historische Identität werde damit anerkannt. Aber auch Oppositionspolitiker Jair Lapid von der Partei Jesch Attid begrüßte Trumps Pläne und sagte, es sei an der Zeit, das Richtige zu tun. Und der Likud-Abgeordnete Jehuda Glick twitterte, man dürfe sich nicht von den Drohungen der Terroristen einschüchtern lassen.

Scharfe Kritik zog der US-Präsident aus der arabischen Welt auf sich. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sprach den USA ihre Vermittlerrolle im Nahen Osten ab. "Diese beklagenswerten und unannehmbaren Maßnahmen untergraben bewusst alle Friedensbemühungen", sagte er am Abend im palästinensischen Fernsehen. Damit gebe Washington seine "Rolle als Förderer des Friedensprozesses" auf, den es im vergangenen Jahrzehnt innegehabt habe.

Nach Ansicht des palästinensischen Chefunterhändlers hat Trump durch seinen Kurswechsel „jegliche Chance auf eine Zwei-Staaten-Lösung zerstört“. Saeb Erekat sagte am Mittwochabend sichtlich aufgebracht, dieser Schritt widerspreche völlig den Friedensverträgen zwischen Israel und den Palästinensern. Er nehme Entscheidungen voraus, diktiere und verschließe die Türen für Verhandlungen. „Ich denke, dass Präsident Trump die USA heute Abend für jegliche Rolle im Friedensprozess disqualifiziert hat.“ Auf die Ankündigung Trumps, eine Zwei-Staaten-Lösung weiterhin zu unterstützen, ging Erekat nicht ein.

Die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas verurteilte die Erklärung Trumps. „Das palästinensische Volk weiß angemessen auf die Missachtung seiner Gefühle und Heiligtümer zu reagieren“, sagte Hamas-Chef Ismail Hanija. Andere Hamas-Mitglieder äußerten sich weniger gemäßigt. Achmad Bahar, ein führender Hamas-Vertreter, bezeichnete die Entscheidung Trumps als „Kriegserklärung“.

Der Iran warnte vor einer neuen Spirale der Gewalt. Eine Zwei-Staaten-Lösung und Frieden in Palästina seien „immer schon eine politische Fata Morgana“ gewesen, „aber auch die wurde mit dieser Entscheidung Trumps zunichte gemacht.“

Merkel distanziert sich von Trumps Entscheidung

UN-Generalsekretär António Guterres betonte die Notwendigkeit genau dieser Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten. „Es gibt keinen Plan B“, sagte er kurz nach Trumps Ankündigung in New York. „Ich habe mich immer wieder gegen einseitige Maßnahmen ausgesprochen, die die Aussichten auf einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern gefährden würden.“ Der endgültige politische Status Jerusalems müsse durch direkte Verhandlungen beider Seiten auf Grundlage von UN-Resolutionen beschlossen werden. „Nur indem wir die Vision zweier Staaten umsetzen, die in Frieden, Sicherheit und gegenseitiger Anerkennung mit Jerusalem als Hauptstadt Israels und Palästinas Seite an Seite leben“, könnten die Ziele beider Völker erreicht werden, sagte Guterres.

Der UN-Sicherheitsrat befasst sich am Freitag in einer Dringlichkeitssitzung mit der Entscheidung Washingtons. Die Tagung des obersten UN-Gremiums war von acht Ländern beantragt worden. Dabei solle Generalsekretär Guterres Bericht erstatten, teilte die schwedische Vertretung bei der UNO mit.

Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich von der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt. „Die Bundesregierung unterstützt diese Haltung nicht, weil der Status von Jerusalem im Rahmen einer 2-Staaten-Lösung auszuhandeln ist“, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwochabend im Namen der Kanzlerin bei Twitter.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte: „Ich glaube, dass sie wirklich das Risiko beinhaltet, dass eine ohnehin schon schwierige Lage dort im Nahen Osten und in dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern jetzt noch weiter eskaliert“, sagte der geschäftsführende Minister am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“

Die Ablehnung von Trumps Entscheidung in der Welt war weitgehend einhellig. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte sie bedauerlich. Sein Land unterstütze sie nicht. China und Russland warnten vor einer Zunahme der Spannungen in Nahost. Die britische Premierministerin Theresa May sprach sich dafür aus, den Status Jerusalems im Rahmen eines Abkommens zwischen Israel und den Palästinensern und einer Zwei-Staaten-Lösung zu klären. Israel und ein künftiger Palästinenser-Staat sollten sich Jerusalem letztlich teilen. Die deutsche Regierung erklärte, die EU habe zum Status von Jerusalem eine einheitliche Position und daran werde sich nichts ändern. Die EU äußerte sich besorgt über die Auswirkungen auf den Friedensprozess.

Auch Kritiker melden sich in Israel zu Wort

Auch auf israelischer Seite gibt es jene, die nicht leichtfertig die Sicherheit des Landes aufs Spiel setzen möchten und darauf beharren, dass Jerusalems Status im Kontext von Friedensverhandlungen geklärt werden muss. So schrieb eine Gruppe ehemaliger israelischer Diplomaten, Akademiker und Friedensaktivisten bereits am Montag in einem Brief an Amerikas Nahost-Gesandten Jason Greenblatt, sie seien besorgt über Trumps Schritt.

Spricht man mit Israelis abseits der politische Bühne, können die den Wunsch nach einem Umzug der Botschaft nicht verstehen. Der Tenor: Dafür riskieren wir neue Gewalt in Jerusalem? Wo es gerade wieder ruhig geworden ist? Tatsächlich hat sich die „Messerintifada“ von 2015 und 2016 – die ja noch nicht einmal ein wirklicher Aufstand der Massen war, sondern eine Reihe vereinzelter Messerattacken auf Israelis – wieder gelegt.

Die Krise um die Metalldetektoren an den Eingängen zum Tempelberg diesen Sommer war ebenfalls nach wenigen Wochen wieder beendet. Das könnte sich nun ändern. Berichten zufolge bereiten sich die israelischen Sicherheitskräfte bereits auf Proteste, Gewalt und mögliche Terroranschläge vor. Doch der Polizei zufolge gibt es bislang keine besonderen Vorkehrungen in Jerusalem. Auf Veränderungen der Sicherheitslage würde man entsprechend reagieren.

Die Palästinenser sind nun in Zugzwang

Marc Frings, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, rechnet aber vorerst nicht mit einem Flächenbrand. „Es wird symbolische Proteste geben.“ Vor allem am Freitag nach den Gebeten könnte es in Jerusalem zu Unruhen kommen. Aber Frings verweist auch auf den Streit um den Tempelberg im Sommer. Damals ging es für die Menschen ganz konkret um Metalldetektoren, die israelische Sicherheitskräfte an den Eingängen zum Heiligtum aufgestellt hatten.

Die Entscheidung in Sachen Botschaftsumzug sei hingegen erst einmal die rhetorische Weiterentwicklung einer bekannten Position. Dennoch, sagt Frings, werde die politische Führung in Ramallah um Präsident Abbas reagieren müssen, um ihre Forderung nach einem eigenen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt gegenüber dem eigenen Volk und der internationalen Staatengemeinschaft zu bekräftigen.

Weitere Reaktionen aus der muslimischen Welt

Geliebt und umkämpft. Der Streit um den Status Jerusalems droht nach Trumps Absichtserklärung zu eskalieren.
Geliebt und umkämpft. Der Streit um den Status Jerusalems droht nach Trumps Absichtserklärung zu eskalieren.
© Ronen Zvulun/Reuters

Es kommt nicht eben häufig vor, dass sich die muslimisch-arabische Welt einig ist. Doch Donald Trump hat es geschafft, ihr zu ungewohnter Geschlossenheit zu verhelfen, zumindest vorerst. Seine Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, empört alle gleichermaßen. Sogar regionale Erzrivalen wie der Iran und Saudi-Arabien scheinen bei diesem Thema an einem Strang zu ziehen. Es mangelt denn auch nicht an Warnungen in Richtung Washington.

Und der Tenor ist immer der gleiche: Hände weg von der heiligen Stadt! Anderenfalls stehe die Sicherheit und Stabilität in der Region auf dem Spiel. Muslime in aller Welt könnten auf die Provokation – „ein gefährlicher Schritt“ – mit Gewalt reagieren. Irans Präsident Hassan Ruhani etwa forderte explizit, Muslime sollten gemeinsam „gegen diese große Verschwörung stehen“. Sein Land werde einen Angriff auf die „islamischen Heiligtümer nicht hinnehmen“.

Manche sprechen von einer "Kriegserklärung"

Noch härter gehen die Palästinenser mit Trumps Plan ins Gericht. Von einer „Kriegserklärung“ ist die Rede, von einem „Gewaltakt“ und dem endgültigen Aus für den Friedensprozess. Die radikalislamische Hamas, die de facto den Gazastreifen kontrolliert, rief die Palästinenser zum Aufstand auf.

Die Unruhe in der arabisch-muslimischen Welt kommt einem recht gelegen: Recep Tayyip Erdogan nutzt offenbar die Gunst der Stunde. Das Licht war im Oval Office noch gar nicht angeknipst, da preschte ein Sprecher des türkischen Präsidenten schon mit einer Ankündigung voran: Ankara lädt die 56 Staaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit bereits nächste Woche zu einem Sondergipfel ein. Erdogan hatte schon zuvor seine Haltung unmissverständlich klargemacht: „Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie für Muslime!“, rief er in seiner wöchentlichen Rede vor den Parlamentsabgeordneten der konservativ-islamischen AKP.

Diese Krise kommt Erdogan zupass

Schnell ist Erdogans Drohung von der „roten Linie“ zum neuen Logo in den türkischen Nachrichtensendern geworden – eine Kampfansage an den US-Präsidenten und den Westen, in roter Schrift vor der Silhouette des Tempelbergs. Doch auch die Opposition steht nicht zurück in ihrer Kritik an den USA. In Nahost werde einem Krieg der Boden bereitet, stellte Engin Özkoç fest, der Fraktionschef der sozialdemokratischen CHP.

Die Krise um die Jerusalem-Anerkennung kommt Erdogan zupass. Seit Tagen muss sich der autoritär regierende Staatschef mit kompromittierenden Aussagen in einem Prozess in New York über Schmiergeldzahlungen an Regierungsmitglieder und den Bruch von Iran-Sanktionen der USA plagen. Bankanweisungen, die der türkische Oppositionsführer der Öffentlichkeit präsentierte, brachten Erdogan außerdem in Erklärungsnot.

Die arabische Welt ist keineswegs geeint

Nun bescherte ihm Trump einen politischen Themenwechsel. Die Türken fühlen sich an den denkwürdigen Moment 2009 beim Weltwirtschaftsforum in Davos erinnert. Damals verließ Erdogan wütend eine Diskussionsrunde mit dem damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres. Der hitzige türkische Politiker wurde so zum Liebling der „arabischen Straße“. Erdogan verlor jedoch seine Strahlkraft mit dem Krieg in Syrien und dem Sturz der Islamisten in Ägypten. Gaza besuchte er – anders als angekündigt – nie. Das könnte sich jetzt ändern.

Doch bei aller demonstrativen Solidarität: Selbst die arabische Welt scheint keineswegs hundertprozentig hinter den Palästinensern zu stehen. Seit Tagen halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Saudi-Arabien einen Friedensplan vorbereite, den die Palästinenser als Schlag ins Gesicht empfinden dürften. Denn sie sollen auf Jerusalem als Hauptstadt verzichten, die jüdischen Siedlungen im Westjordanland akzeptieren und vom Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge Abstand nehmen. (mit dpa, AFP, Reuters)

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