Krisenregion Naher Osten: Trumps Kalkül bei der Jerusalem-Entscheidung
Der US-Präsident erkennt Jerusalem als Hauptstadt Israels an - und macht zugleich ein Zugeständnis an die Palästinenser. Doch die Empörung in der muslimischen Welt ist ein Risiko.
Eine kurze Szene nach Donald Trumps Rede zur Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels verdeutlicht die Widersprüchlichkeit der neuen Nahost-Politik der USA. Unmittelbar nachdem der Präsident in seiner Fernsehansprache im weihnachtlich geschmückten Diplomatic Reception Room im Weißen Haus den Umzug der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verkündet hatte, setzte er sich an einen Tisch neben seinem Pult, unterschrieb ein Dokument und hielt es mit großer Geste für die Kameras hoch. Mit der Unterschrift verschob Trump den gerade versprochenen Umzug der Botschaft gleich wieder.
Schon vor Trumps Ansprache hatte es heftige Kritik aus der islamischen Welt an der Entscheidung gegeben, denn bisher hatte kein US-Präsident das für Juden, Muslime und Christen heilige Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärt. Trump brach mit einer jahrzehntealten Tradition der US-Politik und erfüllte ein Wahlkampfversprechen an christliche Fundamentalisten und pro-israelische Geldgeber. Zu diesen gehört der Casino-Besitzer Sheldon Adelson, der 25 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf gespendet hatte und der sich laut „New York Times“ in den vergangenen Monaten verärgert über Trumps Zögern in dieser Angelegenheit gezeigt hatte. Ganz offen betonte Trump am Mittwoch, anders als andere Präsidenten setze er seine Wahlkampfzusagen um: „Ich liefere“, sagte er.
Dass die US-Botschaft bisher in Tel Aviv geblieben sei, habe Israelis und Palästinenser ja auch nicht enger zusammengebracht, lautete Trumps Argument. Er erkenne lediglich die Realität der israelischen Herrschaft über Jerusalem an.
Sorge um den Frieden
Um nicht alle Chancen auf den „großartigen Deal“ eines Friedensschlusses zwischen Israelis und Palästinensern zunichte zu machen, versah der Präsident seinen Vorstoß mit mehreren Einschränkungen. Vizepräsident Mike Pence hat die undankbare Aufgabe, bei einer Nahost-Reise in den kommenden Tagen für das Modell seines Chefs zu werben. Angesichts dieser einseitigen Parteinahme für Israel wollte Trump die Palästinenser nicht ganz leer ausgehen lassen. So bekannte er sich zur Zwei-Staaten-Lösung, was er bisher vermieden hatte, und erfüllte somit eine Forderung der Palästinenser. Damit tat Trump jedoch nicht mehr, als auf die traditionelle Linie der amerikanischen Nahost-Politik einzuschwenken: Washington sieht ein friedliches Nebeneinander von Israel und eines künftigen Palästinenserstaates seit Jahrzehnten als einzigen gangbaren Weg. Allerdings ließ Trump auch dabei eine Hintertür für Israel offen: Zwei Staaten seien nur möglich, wenn beide Seiten es wollten, sagte er.
Ein weiterer schwacher Trost für die Palästinenser: Ausdrücklich lehnte Trump eine Festlegung auf einen endgültigen Status Jerusalems ab. Zudem vermied er eine Aussage darüber, ob auch der von Israel 1967 eroberte palästinensische Ostteil der Stadt mit dem Tempelberg aus Sicht der USA zu Israel gehört oder nicht. Über den endgültigen Status von Jerusalem müssten Israelis und Palästinenser entscheiden, sagte er.
Insofern ist das alles in gewisser Weise ein Trick. Vorerst wird in Jerusalem alles beim Alten bleiben. Trump ordnete zwar einen Neubau einer US-Botschaft in der Stadt an, doch bis zu einer Einweihung könnten laut Regierungsangaben bis zu acht Jahre vergehen. Bis dahin will Trump – wie seine Vorgänger auch – den seit 1995 gesetzlich geforderten Botschaftsumzug verschieben und alle sechs Monate den Auflagen des Gesetzes folgend den Verzicht auf den Umzug unterschreiben. Tut er das nicht, werden automatisch Haushaltsmittel für das Außenamt gestrichen – daher Trumps Unterschrift gleich nach seiner Rede.
Der Kunstgriff
Die Ankündigung der Botschaftsverlegung ist ein Kunstgriff, damit Trump von der Umsetzung seiner Wahlkampfversprechen reden kann, ohne dass er tatsächlich handeln muss. Im Grunde müssten die USA ihr Konsulat in Jerusalem nur zur Botschaft erklären – „ein neues Schild aufhängen“, wie es in der „New York Times“ hieß. Doch davor schreckt Trump zurück. Er will innenpolitisch punkten, ohne sich außenpolitisch allzu viele Möglichkeiten in Nahost zu verbauen.
Die Risiko besteht darin, dass die nach Trumps Manöver erwartete Empörung in der islamischen Welt möglicherweise ein Maß erreicht, das für die USA nicht mehr einzufangen ist. Die Wut der Menschen könnte aus dem Ruder laufen. Zudem könnte Trump mit seiner Entscheidung seine eigene Glaubwürdigkeit und die der USA so beschädigen, dass die Amerikaner als traditioneller Nahost-Vermittler ausfallen.
David Axelrod, ein ehemaliger Berater von Trumps Vorgänger Barack Obama, warf Trump vor, ohne Not eine Lunte am Pulverfass Nahost zu entzünden.