Sachsen und die Flüchtlinge: Orbán zu Gast bei Tillich in Dresden
Ungarns Regierungschef Orbán besucht Sachsens Ministerpräsident Tillich. Im Freistaat ist er gern gesehener Gast - auch wegen seiner Asylpolitik.
Einen Monat vor seinem angekündigten Rücktritt hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán als Besucher in Dresden empfangen. Die beiden Politiker trafen sich zu einem als privat deklarierten Mittagessen in Schloss Eckberg an der Elbe. Zu Inhalten des Gesprächs, das etwa eineinhalb Stunden dauerte, machte die sächsische Staatskanzlei keine Angaben.
Orbán gilt als Hardliner in der Asylpolitik. Er hatte erst kürzlich das östliche Mitteleuropa zur "migrantenfreien Zone" erklärt.
In Sachsens CDU gibt es schon seit längerer Zeit Sympathien für Orbáns Politik. Im August 2015 hatte Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer Ungarns zur Abwehr von Flüchtlingen errichteten Grenzzaun gelobt. "Die Kritik an den Ungarn ist scheinheilig", sagte er damals "Spiegel online". Es sei Pflicht von Ungarn, illegale Migration zu kontrollieren. Mit Zäunen könne man die Flüchtlinge in bestimmte Bereiche lenken und sie dort besser registrieren. "Ich finde das richtig." Kretschmer ist designierter Nachfolger von Tillich als Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender.
Auf dem CDU-Bundesparteitag im Dezember 2015 in Karlsruhe wurde Orbán vom aus Dresden stammenden CDU/CSU-Vizefraktionschef Arnold Vaatz gelobt. Der verdiene Anerkennung, keine Beschimpfung, sagte Vaatz, bekam für diese Feststellung aber nur wenig Beifall. Nach Tagesspiegel-Informationen haben auch Vaatz und der sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) hätten an dem Mittagessen von Orbán und Tillich teilgenommen. Radio Dresden berichtete unter Berufung auf Regierungssprecher Ralph Schreiber, auch CDU-Landtagsfraktionschef Frank Kupfer sei dabei gewesen. Aus der Dresdner Staatskanzlei hieß es, die Begegnung mit Tillich sei auf ungarischen Wunsch zu Stande gekommen.
Kritik von der Linken, Lob von der der AfD
Der Fraktionschef der Linken im sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, kritisierte die Begegnung von Tillich und Orbán scharf. "Ich empfinde es als eine Geschmacklosigkeit erster Güte, dass sich Herr Tillich mit einem herausragenden Repräsentanten flüchtlings- und europafeindlicher Positionen zu einer Art Staats-Mittagessen trifft." Es wäre "einfach nur peinlich", dass Orbán, der auch für zunehmende Beschneidung der Presse- und Forschungsfreiheit verantwortlich zeichne, durch den Regierungschef Sachsens mit Freundlichkeiten aufgewertet werde.
AfD-Fraktionschef Jörg Urban sagte dagegen: "Ich kann Herrn Tillich und seiner CDU (daher) wirklich nur empfehlen, dem ungarischen Staatschef nicht nur genau zuzuhören, sondern daraus auch Konsequenzen für die eigene Arbeit zu ziehen. Ungarn hat bereits 1989 durch die Grenzöffnung nach Österreich bewiesen, dass das tapfere Volk der Magyaren anderen Ländern im politische Denken und Handeln weit voraus war und heute erneut ist!"
Tillich und Orbán kennen sich bereits. Vor einem Jahr hatte Sachsens Regierungschef in seiner damaligen Eigenschaft als Bundesratspräsident in Budapest an die Opfer der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn 1956 erinnert.
Tillich hatte Mitte Oktober seinen Rücktritt angekündigt und den bisherigen CDU-Generalsekretär Kretschmer als seinen Wunsch-Nachfolger benannt. Er soll am 9. Dezember auf einem CDU-Landesparteitag in Löbau zum Landesvorsitzenden gewählt werden. Anschließend ist seine Wahl zum neuen Ministerpräsidenten im Landtag geplant.
Die CDU regiert in Sachsen gemeinsam mit der SPD. Bei der Bundestagswahl am 24. September hatte sie eine derbe Niederlage erlitten: Die AfD wurde im Freistaat mit 27,0 Prozent stärkste Partei, die CDU landete mit einem Abstand von 0,1 Prozentpunkten erst auf Rang zwei. Kretschmer verlor in Görlitz beim Kampf um das Direktmandat gegen einen AfD-Kandidaten und gehört dem neuen Bundestag nicht mehr an.
Bei einer Funktionärskonferenz der sächsischen CDU hatte Kretschmer dann Ende Oktober in Dresden erklärt, die Bundestagswahl sei eine "Abstimmung über die Flüchtlingspolitik" seit 2015 gewesen: "Viele haben uns gesagt, wir sind damit nicht einverstanden." Die Bundespartei aber habe versäumt, Versäumnisse und Fehler zuzugeben.
Orbán war zuvor in Wittenberg
Am Montag hatte Orbán Lutherstadt Wittenberg besucht, er wurde dabei von Sachsen-Anhalts Ministerpräsdient Reiner Haseloff begleitet. Auch aus der Staatskanzlei Magdeburg verlautete, Orbán sei als Privatperson nach Wittenberg gereist.
Orbán besichtigte in Wittenberg in Begleitung die berühmte Schlosskirche, an die Martin Luther (1483-1546) vor 500 Jahren seine 95 kirchenkritischen Thesen angeschlagen haben soll. Zudem stand ein Besuch der Stadtkirche sowie der am Sonntag offiziell zu Ende gegangenen Ausstellung "Luther! 95 Schätze - 95 Menschen" im Augusteum auf dem Programm. In der nationalen Sonderausstellung waren auch zahlreiche Leihgaben ausgestellt, darunter das Testament von Martin Luther als Leihgabe aus Budapest.
Der Besuch Orbáns löste auch in Wittenberg Kritik und Protest aus. Der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz stellte vor dem Lutherhaus ein Fahrrad mit Schrifttafeln auf, um seine Position deutlich zu machen und ein Zeichen zu setzen. Darauf stand auf Deutsch und auf Ungarisch zu lesen: "Willkommen Herr Orbán! Die SPD steht für Religionstoleranz, zu Europa, für Rechtsstaatlichkeit, für universitäre Freiheit und gegen Antisemitismus ein. Und Sie?" Kritik kam am Montag im Vorfeld auch von der Linken, die ebenso wie Lietz eine klare Positionierung von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderten.
In Sachsen-Anhalt sagte ein Regierungssprecher, Höflichkeit und Etikette würden es gebieten, dass Haseloff den ungarischen Ministerpräsidenten begleite. Bei einem bilateralen Gespräch der beiden Politiker sollten demnach "Unterschiede und Gemeinsamkeiten" angesprochen werden.
Ähnlich wie in der sächsischen Union genießt Orbán auch in Bayern Sympathien. CSU-Chef Horst Seehofer äußerte vor wenigen Wochen sogar Verständnis für die Forderung des ungarischen Ministerpräsidenten nach EU-Geld für Grenzanlagen. "Viktor Orbáns Rechnungsstellung kann ich nachvollziehen", sagte der bayerische Ministerpräsident im September der "Passauer Neuen Presse". Orbán hatte in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 400 Millionen Euro gefordert. Er verlangt, dass die EU damit die Hälfte der Kosten für den Bau und den bisherigen Betrieb des Grenzzauns an der ungarischen Südgrenze übernimmt. (mit epd, dpa)