Nach Niederlage bei Bundestagswahl: In der CDU Sachsen entlädt sich der Frust über Merkel
Die CDU Sachsen trifft sich zur Fehleranalyse zur Bundestagswahl. Nach der Rücktrittsankündigung von Stanislaw Tillich geht es lebhaft zu.
Den Spitzenfunktionären der sächsischen CDU ist vorher klar, dass die Konferenz am Mittwochabend in Dresden lebhaft werden würde. "Eine muntere Diskussion" erwartete Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der seinen Bundestagswahlkreis in Meißen hat. Stanislaw Tillich, der vergangene Woche seinen Rücktritt als Ministerpräsident und CDU-Landeschef angekündigt hatte, sagt zu Beginn, noch nie habe die Partei eine "so herzhafte" Debatte angestoßen. Doch das sei gut so, schließlich sei die Sachsen-CDU "keine zentralistische Partei".
Eines jedenfalls habe er nach Gesprächen mit Kreisvorsitzenden, Landräten und Landtagsabgeordneten in den vergangenen Tagen festgestellt, sagt Tillich: Es gebe in der Partei den "uneingeschränkten Willen, die Scharte vom 24. September auszuwetzen".
Die Scharte, das ist der Erfolg der AfD, die in Sachsen mit 27 Prozent stärkste Partei geworden ist, 0,1 Prozentpunkte vor der CDU. Tillich hatte seinen Parteifreunden anschließend erklärt, er habe nicht die Kraft, die nun anstehenden Aufgaben zu bewältigen - und Michael Kretschmer als Nachfolger vorgeschlagen, bisher Generalsekretär der Landespartei. Den Wiedereinzug in den Bundestag hatte der Görlitzer am 24. September verfehlt, im Kampf um das Direktmandat unterlag er einem Malermeister von der AfD.
Der Saal ist voll, mehr als 200 Funktionäre sind gekommen - Kommunalpolitiker, Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Schon die Impulsrede Kretschmers auf der "Verantwortungsträgerkonferenz" wird dann zum Fingerzeig nach Berlin. Die Bundestagswahl sei eine "Abstimmung über die Flüchtlingspolitik" seit 2015 gewesen, sagt der designierte Regierungschef: "Viele haben uns gesagt, wir sind damit nicht einverstanden." Die Bundespartei aber habe versäumt, Versäumnisse und Fehler zuzugeben, fügt Kretschmer hinzu - ohne allerdings Angela Merkel namentlich zu erwähnen.
Forderung nach Rücktritt von Merkel als Parteichefin
Das tun in der Debatte dann andere: Vor allem Vertreter des Kreisverbandes Mittelsachsen sind aus Freiberg in Delegationsstärke erschienen, um der Kanzlerin die Leviten zu lesen. Der Vorsitzende des Stadtverbandes Freiberg, Holger Reuter, sagt, am 24. September sei die "Bundespolitik abgestraft" worden. "Die letzte Konsequenz heißt: Die Parteivorsitzende muss zurücktreten. Sie ist für dieses Ergebnis verantwortlich." Die sächsische Union müsse aufgebaut werden als eigenständiges "Gegengewicht" zur Bundes-CDU, "vergleichbar mit der CSU vor Horst Seehofer".
Der Vorsitzende der CDU-Kreistagsfraktion Mittelsachsen, Jörg Woidniok, teilt die Forderung. Er sagt, es gehe in der Politik der Bundes-CDU "nicht mehr um die deutschen Bürger, sondern um Griechenland, Asylbewerber und Minderheiten". Der Mantel von Merkel lege sich über das Land, sie agiere "selbstherrlich".
Die weitreichende Forderung nach Rücktritt von Merkel als CDU-Chefin und ihres Generalsekretärs Peter Tauber gleich mit, ist am Mittwochabend in der Minderheit, nur etwa ein Dutzend der Teilnehmer applaudiert. Unmut aber über die Merkel-Politik haben in der Versammlung viele. Ein CDU-Stadtrat aus Bad Schandau sagt, die CDU sei unter Merkel "zur Linkspartei mutiert". Ein anderer Kommunalpolitiker warnt im Zusammenhang mit Asylsuchenden von einer "Lawine von Menschen" und fordert, die CDU zur "Partei von Patrioten" auszubauen. Gegen einen Rechtsruck der Landespartei spricht Marco Wanderwitz, Bundestagsabgeordneter aus dem Erzgebirge: "Ich für mich sage: Ich bin in einer christdemokratischen Partei, nicht in einer konservativen."
Vaatz: AfD-Wähler nicht rechtsradikal
Deutliche Worte findet der Dresdner Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler nennt den AfD-Erfolg am 24. September eine "bittere Erkenntnis", protestiert zugleich gegen "eine Kulisse", die Wähler der AfD "als Abfall betrachtet oder als Rechtsradikale". Vaatz sagt: "Ich halte das für einen grandiosen Fehler." Die CDU müsse die Wähler der AfD zurückgewinnen, fordert er. Und kritisiert zugleich ein "Sachsen-Bashing, das man sich unter zivilisierten Menschen nicht vorstellen konnte". Die Sachsen-CDU müsse das Land gegen "unflätige Angriffe verteidigen", Sachsen habe es "nicht nötig, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit Rechtsradikalen verglichen wird".
De Maizière wollte nicht Tillichs Nachfolger werden
Drei Stunden lang diskutieren die Funktionäre. De Maizière gibt zu, dass die Flüchtlingspolitik zentrale Ursache für das schlechte Bundestagswahlergebnis der CDU gewesen sei. Er erklärt auch, warum er selbst nicht Ministerpräsident werden wollte, es gebe dafür verdammt gute Gründe: "Mein Platz ist in Berlin", das habe er schon vor acht Jahren entschieden. "Ich weiß nicht, ob man so schnell noch mal einen Bundesminister kriegt aus Sachsen."
Kretschmer selbst wird von der in Sachsen mitregierenden SPD wegen seiner oft unklaren und widersprüchlichen Positionen als "politisches Chamäleon" kritisiert. Der designierte CDU-Landeschef selbst gibt zu, die sächsische Union befinde sich in der "vielleicht schwierigsten Phase" ihrer Geschichte. Er wolle sie "in der Mitte des politischen Systems" positionieren, versichert er und kündigt an, "als Original" müsse die CDU der AfD Positionen wegnehmen.
Dann erweist Kretschmer ausgerechnet einem Rechtsaußen in der Partei seine Reverenz - Alexander Krauß, langjähriger Landtagsabgeordneter aus dem Erzgebirge und vor einem Monat neu in den Bundestag gewählt. Krauß hatte kurz vor der Konferenz dem rechtsradikalen "Compact"-Magazin von Jürgen Elsässer ein Interview gegeben und dort gefordert, die CDU müsse konservativer werden. Kretschmer geht auf den Vorgang nicht direkt ein, sagt aber, die CDU brauche die Flügel. Und mit Blick auf Krauß: "Wir brauchen solche Typen."