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Die Orbán-Regierung will sich ein wenig herausputzen - und ehrt Romani Rose.
© dpa
Update

Ungarn: Orbán ehrt den Vorsitzenden des Zentralrats der Roma

Ausgerechnet Ungarns rechtskonservativer Regierungschef Viktor Orbán zeichnet Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma aus. Der lobt die Budapester Regierung.

Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, hat keinen Moment daran gedacht, auf diese Ehrung zu verzichten. „Dann könnte ich ja mit keinem mehr reden“, sagt er am Donnerstagabend auf dem Weg die Treppe hinauf zum ersten Stock der ungarischen Botschaft Unter den Linden, wo ihm Ministerpräsident Viktor Orbán gleich den staatlichen „Ungarischen Verdienstorden, Mittelkreuz“ überreichen wollte. Der rechtskonservative Politiker würdigt damit Roses Einsatz für den Wiederaufbau von Häusern von Roma-Familien, die 2008 und 2009 in mehreren ungarischen Dörfern in Flammen aufgegangen waren – die rassistische Mordserie kostete sechs Menschen das Leben, darunter ein fünfjähriges Kind.
Immer wieder schwappen Wellen von Roma-Hass über Ungarn. Die Regierung Orbán hat das nicht wirksam eingedämmt – dieser Entwicklung sogar, wie manche Kritiker meinen, Vorschub geleistet. Doch Rose war entschlossen hinzunehmen, dass sich die Orbán-Regierung ein wenig herausputzen will – mit Orden für ihn und auch den Berliner Jazzgitarristen Ferenc Snétberger, 1957 geboren als jüngster Spross einer Roma-Musikerfamilie in Nordungarn. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte mittags Orbán vor der Presse geschont – knapp teilte sie nur mit, sie habe mit dem Premier ein „offenes Gespräch“ zur Lage in Ungarn geführt, um, „die Dinge besser zu verstehen“.
Im Sommer war eine blonde junge Polizistin im südungarischen Pécs vergewaltigt und ermordet worden. Nachdem ein Roma als mutmaßlicher Täter verhaftet worden war, schürten Nationalisten wieder eine antiziganistische Stimmung. Die rechtsextreme Jobbik-Partei („Die Besseren“) startete eine Kampagne für die Todesstrafe, auch Politiker der Regierungspartei Bund Junger Demokraten (Fidesz) schlossen sich der Forderung an. Die verbotene paramilitärische „Ungarische Garde“ marschierte wieder auf.

Wer schützt wen? Polizeieinsatz in Budapest bei einer Demonstration von Roma gegen die rechtsextreme Jobbik-Partei.
Wer schützt wen? Polizeieinsatz in Budapest bei einer Demonstration von Roma gegen die rechtsextreme Jobbik-Partei.
© AFP

Antiziganismus ist unter großen Teilen der Bevölkerung Konsens, legitimiert von Politikern und Machthabern“, schrieb der Ungarn-Experte Keno Verseck im Journal von Amnesty International – beispielhaft zitierte er Orbán, der die Gewalt gegen Roma mit deren mangelndem Integrationswillen begründet habe. „Besonders die Roma eignen sich hervorragend als Sündenböcke“, analysierte Verseck. „Für die komplexen Fehlentwicklungen in postkommunistischen Gesellschaften“ böten sie sich „als einfache Erklärung der Misere“ an. Der ARD-Hörfunkjournalist Stephan Ozsváth warf Orbán in der Zeitschrift „Ost-West“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vor, bewusst an die autoritäre Herrschaft des Reichsverwesers und Hitler-Verbündeten Miklós Horthy anzuknüpfen. Unter der Orbán-Regierung erfahre Horthy neue Ehren, schrieb er: „Parks, Statuen und Plätze werden nach ihm benannt.“

Roses Konzept: Er kritisiert zwar Demokratiedefizite in Ungarn, will das Land aber nicht isoliert am Pranger sehen. Ungarn, so lobt er im Beisein von Orbán, habe unter seiner EU-Ratspräsidentschaft viel getan für die Gleichstellung der Sinti und Roma als größter Minderheit in Europa – anders als etwa Spanien und Finnland, die zuvor die Präsidentschaft hatten. „Vorreiter“ sei Budapest in diesem Sinne gewesen; „positive Dinge in Bezug auf die Sinti und Roma darf man nicht ignorieren.“ Für sogar großartig hält Rose die Rolle des Budapester Ministers für Humanressourcen, Zoltán Balog. Der bisweilen aufmüpfige Politiker ist zwar ein loyaler Weggefährte von Orbán, setzt sich aber seit Jahren für die Rechte der Roma und die Verbesserung ihrer sozialen Situation ein. Balog hält auch die Laudatio auf den Zentralratschef, dem er bescheinigt, einen „Baustein der neuen Roma-Politik“ in Ungarn geliefert zu haben. Zugleich kündigt der Minister ein Rechercheprojekt zur Rolle von Roma beim Aufstand 1956 an – Rose hat Hinweise, dass sie damals „genauso patriotisch hinter ihrem Land gestanden haben" wie alle anderen Ungarn.

Matthias Meisner

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