Ungarn: Orban sichert sich mehr Macht
Der Regierungschef drängt die Opposition in Budapest immer weiter an den Rand - er denkt jetzt sogar laut über die Abschaffung der Demokratie nach. Dem wirtschaftlichen Aufschwung zuliebe. Die Opposition läuft Sturm. Und das Volk? Dem ist es irgendwie erschreckend egal.
Ungarns umstrittener Premierminister Viktor Orban zündelt wieder. Das Land sei womöglich bald dazu gezwungen, dem wirtschaftlichen Aufschwung zuliebe ein anderes System als die Demokratie einzuführen, sagte Orban kürzlich als Gastredner während einer Sitzung des ungarischen Arbeitgeberverbandes. „Gott hilft uns dabei, dass wir uns nicht anstelle der Demokratie andere politische Systeme ausdenken müssen“, hoffte Orban. Gleichzeitig deutete er an, dass die Ungarn eine „zentrale Kraft“ brauchten, die sie zur Einheit zwinge.
Die Opposition, die schon jetzt im Parlament an den Rand gedrängt ist, läuft seitdem gegen den Regierungschef Sturm. Die neugegründete Oppositionspartei „4K“ sieht in den umstrittenen Äußerungen Orbans einen ersten Schritt zur vollkommenen Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit. Auch die Sozialisten und Grünen sind nach zwei Regierungsjahren von Orbans rechtskonservativer Fidesz-Partei der Auffassung, dass der Rechtsstaat inzwischen teilweise ausgehebelt ist. Sogar die EU hatte damit gedroht, dass die Zuweisungen aus den Brüsseler Strukturhilfefonds eingefroren werden, wenn Ungarn nicht eine Reihe von Gesetzen ändert. Orban ordnete anschließend einige Anpassungen ans gültige EU-Recht an und geriet damit aus der Schusslinie der Kritik. „Ungarn hat gesiegt“, lautete schließlich seine Bilanz der Auseinandersetzung mit der EU-Kommission. Sein Land gehe eben einen anderen Weg als Europa – und dieser sei auch erfolgreicher, lobte der EU-Skeptiker Orban seine umstrittene Politik.
Unbeirrt kündigte Orban im Juli neue umstrittene Gesetzesinitiativen an, die seine Fidesz-Partei dank einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beliebig absegnen kann. Ein neuer Aktionsplan zum Schutz ungarischer Arbeitsplätze sieht die Einführung einer Bankentransaktionssteuer sowie verminderte Einzahlungen der Arbeitgeber in die Rentenkasse vor. Vor den nächsten Parlamentswahlen soll zudem das Wahlgesetz erneut angepasst werden. Gemäß dem wohl nach der Sommerpause verabschiedeten Gesetz müssen sich alle Wähler neu registrieren lassen. Die Opposition vermutet darin den Versuch, die von der Regierungspartei enttäuschten Protestwähler von der Wahl fernzuhalten. Hatten 2010 weit über die Hälfte der Ungarn für Orbans Fidesz gestimmt, will dies laut Umfragen heute nur noch jeder Dritte tun. Nach wie vor kommt aber keine Oppositionspartei an den Fidesz heran. Vielmehr hat sich eine besorgniserregende Politikverdrossenheit breitgemacht. Nur noch jeder dritte Wahlberechtigte will sich 2014 erneut in die Wahllokale bequemen.
Beobachter in Budapest sehen in Orbans neuen umstrittenen Gesetzesvorlagen und kraftmeierischen Äußerungen den Versuch, vom heraufziehenden Fiasko der endlich wiederaufgenommen Kreditverhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Hilfskredit von 20 Milliarden Euro abzulenken. Dieser hat Anfang der Woche erneut die Fiskalpolitik der Regierung Orban als nicht nachhaltig kritisiert. Eine Sanierung der Staatsfinanzen durch „Ad-hoc-Steuern“ wie der geplanten Bankentransaktionssteuer sei wenig sinnvoll, monierte der IWF. Eine erste Gesprächsrunde für einen neuen Kredit endete ergebnislos.
Will Orban 2014 wiedergewählt werden, muss seine Regierung die ungarische Wirtschaft wieder ankurbeln. Dafür reicht das für das laufende Jahr erwartete Wachstum in Höhe von 0,5 Prozent nicht. Nicht wenige Wähler dürften sich daran erinnern, dass die Fidesz-Partei vor zwei Jahren vollmundig den Aufschwung versprochen hatte.
Paul Flückiger