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Olaf Scholz muss mehr führen und überzeugen.
© John MACDOUGALL / AFP

Die Ampel ringt um ihren Ukraine-Kurs: Olaf Scholz wirkt wie ein Getriebener

Der Kanzler rief die Zeitenwende aus. Dann nahmen die Risse in der Koalition zu. Nun muss Olaf Scholz seine Position zu Panzerexporten räumen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Die wichtigste Haltelinie für Olaf Scholz hält noch. Christian Lindner, Robert Habeck und Annalena Baerbock stützen den Kurs des Kanzlers.

Aber im Bundestag, bei den Fraktionen, sieht das anders aus. Es wäre ein schwerer Fehler, die Kritik eines Toni Hofreiter und einer Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Einzelmeinungen abzutun, emotionalisiert von einer Reise in die Ukraine. Beide sind aktuell die energischsten Fürsprecher einer Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine.

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Vom Aufbruch und mehr Fortschritt wagen, ist wenig geblieben. Natürlich musste noch nie eine neue Koalition gleich zum Start mit einem solchen Krieg fertig werden. Aber das darf nicht den Blick darauf verstellen, dass von Anfang an vieles nicht rund läuft, ein Bild von Kakofonie und Überforderung entsteht.

Die stabilste Phase hatte die Koalition vor dem Amtseid: Nichts drang nach draußen, alle hielten zusammen und schmiedeten überraschend schnell und geräuschlos einen Koalitionsvertrag.

Der ist aber längst überholt. Russlands Krieg treibt die Inflation. Rasant steigende Lebensmittelpreise sowie die FDP-Forderung, die Schuldenbremse 2023 dennoch wieder einzuhalten – all das sind zusätzliche Fliehkräfte. Der Bundeskanzler hat sicher eine historische Wende eingeleitet, wenn jetzt Milliarden für die Bundeswehr investiert und Waffen an eine Kriegspartei geliefert werden. Die hohe Kunst, das treibt Scholz an, besteht darin, nicht selbst Kriegspartei zu werden.

Führen, aber wohin? Olaf Scholz und die Spitzen der Ampel bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.
Führen, aber wohin? Olaf Scholz und die Spitzen der Ampel bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.
© Michael Kappeler/dpa

Aber es zehrt gefährlich an seiner Autorität, wenn ständig gerufen wird, das sei alles nicht genug, er führe und erkläre zu wenig, sitze im falschen Moment am falschen Platz, wie Strack-Zimmermann beklagt. Bei drei sehr unterschiedlichen Partnern kommt Scholz mit seinem Politik- und vor allem seinem Kommunikationsstil an Grenzen.

Überzeugt von seinem Kurs, kanzelt er die „Jungs und Mädels“ ab, die die Komplexität des Ganzen nicht verstehen. So macht man sich, auch bei Kritikern seines Kurses in der Koalition, keine Freunde. Hinzu kommen Personalentscheidungen, etwa für eine der Aufgabe selten gewachsene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, für die der Kanzler die Verantwortung trägt.

Mützenich preist die Diplomatie - da sickert eine brisante Regierungsinformation durch

Und die Dinge wirken für die Bürger zunehmend unübersichtlich und verwirrend. So legen die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP am Dienstagmorgen einen Antrag vor, der das Kanzler-Konzept eines Ringtausches und diplomatische Bemühungen zur Beendigung des russischen Kriegs in der Ukraine unterstützt.

"Ich finde, die Diskussion der letzten Tage hat eine massive, militaristische Schlagseite", betont SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im ARD-Morgenmagazin.

Direkte Panzerlieferungen aus Deutschland tauchen in dem Antrag nicht auf - dieser soll den Unions-Antrag, der dafür ist, kontern. Am Donnerstag stehen die Anträge zur Abstimmung im Bundestag.

Aber es passt fast ins Bild der letzten Tage: Während Mützenich den Antrag preist, sickern Informationen aus Regierungskreisen durch, die ganz auf der Linie des Union-Antrags liegen.

So will die Bundesregierung erstmals eine Panzer-Lieferung aus Beständen der deutschen Industrie an die Ukraine erlauben. Der Rüstungshersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bekommt grünes Licht, um technisch aufgearbeitete „Gepard“-Flugabwehrpanzer an Kiew verkaufen zu können. Laut "Tagesspiegel"-Informationen geht es um die Lieferung von über 30 "Gepard" - KMW hat noch 50 der alten Flak-Panzer auf Halde, aber längst nicht alle scheinen schnell einsatztauglich gemacht werden zu können. In Regierungskreisen wird betont, es gehe ja hier nicht um Kampf-, sondern um Panzer zur Flugabwehr. Und die Panzer sind teils 50 Jahre alt.

Merkel griff zum Telefon und umwarb Kritiker

Sicher, noch nie musste ein Kanzler so schnell Grundsätze der Außen- und Sicherheitspolitik neu justieren - 16 Jahre Russlandpolitik der Kanzlerin Angela Merkel sind in sich zusammengefallen.

Aber bei allen Fehlern gerade von Union und SPD: Angela Merkels taktisches Erfolgsrezept war es, dass sie immer wieder zum Handy griff, Kritiker anrief oder eine SMS schrieb, mithin Entscheidungen umfassend vorbereitete und erklärte. Bei Scholz hingegen war es zum Beispiel so, dass selbst sein Fraktionschef Mützenich nicht genau wusste, dass der Kanzler 100 Milliarden Euro für ein Bundeswehr-Sondermögen im Bundestag ankündigen will. Auch bei den Grünen waren sie sehr überrascht.

Scholz muss, angesichts wackliger Mehrheiten, auch die Opposition mehr und aktiver einbinden. Ein Friedrich Merz hatte zum Beispiel einen engeren Draht zu einem Kanzler Gerhard Schröder in seiner ersten Zeit als Oppositionsführer als nun zu Olaf Scholz. Das half damals.

Nun treibt Merz den Kanzler und die Koalition, Krieg hin oder her. Statt der Union fehlende staatspolitische Verantwortung vorzuwerfen, sollte gerade die SPD dafür sorgen, dass der eigene Koalitionsladen wieder in die Spur und zu einer gemeinsamen Linie findet.

Und statt eine Wagenburg im Kanzleramt zu bilden, wird Scholz sich wieder viel stärker um das Werben nach innen, auch in den Fraktionen, kümmern müssen, auch um die Union. Und im Gegenzug wären einige Koalitionäre gut beraten, das eigene Ego hinten anzustellen – statt ein Zerrbild zu zeichnen.

Deutschland tut viel - Scholz kann nicht über alles reden

Deutschland tut mehr als öffentlich bekannt und bei schweren Waffen liegt man mit dem Kurs, vor allem anderen Ländern, die rasch einsatzfähiges und in der Ukraine bekanntes Material aus Sowjetzeiten liefern können, ihre Bestände entsprechend zu ersetzen, auf der Linie der Nato-Partner. Scholz kann nur nicht über alles reden. Dass nun viele Bürger vom Nebenberuf der Hobby-Virologen in das Fach der Militärexperten übergewechselt sind, macht es nicht leichter.

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Der Kanzler hat den kühlen Kopf, den es in solchen Zeiten braucht, aber er sollte die Grenzen seiner Politik auch im Bundestag noch mehr erklären. Diese Woche – mit Debatten zum Bundeswehr-Sondervermögen und zur Lieferung schwerer Waffen – wäre eine gute Gelegenheit für eine Regierungserklärung; aber von Mittwoch bis Freitag wird er in Japan sein.

Das SPD-Argument mit dem Atomkrieg fällt in sich zusammen

Bis zum Bekanntwerden der geplanten Gepard-Lieferung hat die SPD seine Linie übernommen und das Bremsen bei der direkten Lieferung von deutschen Panzern mit der Warnung vor dem Dritten Welt- oder einem Atomkrieg begründet (obwohl zuerst der Mangel der Bundeswehr das zentrale Argument war). Mit der neuesten Wendung, die zeigt wie groß der Druck auf Scholz seitens FDP und Grünen ist und wie sehr er um die Mehrheiten fürchten muss, bringt er seine eigene Partei in Erklärungsnöte.

Wirtschaftsminister Robert Habeck macht Druck bei den Waffenlieferungen auf Kanzler Olaf Scholz.
Wirtschaftsminister Robert Habeck macht Druck bei den Waffenlieferungen auf Kanzler Olaf Scholz.
© IMAGO/photothek

Aber ohnehin ist die Atomkrieg-Warnung eine fragwürdige Argumentation, zumal Deutschland ja im Rahmen des Ringtausches mit osteuropäischen Nato-Staaten Panzerlieferungen an die Ukraine ermöglicht.

Und nun eben sogar der Industrie die Gepard-Lieferung erlauben will.

[Lesen Sie auch: Die bange Frage nach deutschen Panzern: Können Waffenlieferungen Kriege entscheiden? (T+)]

Im Ringen, widerstreitende Interessen bei SPD, Grünen und FDP unter einen Hut zu bringen, tut sich Scholz schwer. Das war bei der Aufhebung der Corona-Maßnahmen so und gipfelte im kläglichen Scheitern der von ihm gewünschten Impfpflicht im Bundestag.

Dass dabei sogar Geschäftsordnungsdebatten gegen die Opposition verloren wurden, zeigt das wacklige Fundament dieser Koalition. Wenn dafür das Kanzleramt den Fraktionsführungen suboptimales Management attestiert, offenbart dies wachsende Nervosität.

Lieber lange nicht regeln, als Streit riskieren

Scholz lässt bislang die Dinge zu oft laufen - sieht so Führung aus? So wurde schon im Koalitionsvertrag, um Ärger zu vermeiden, darauf verzichtet eine Priorisierung, wann welche Vorhaben umzusetzen sind, festzulegen. Das wird sich noch rächen, wenn allen dämmert, dass kräftig gespart werden muss. Er setzte auch bei der Impfpflicht auf das Laufenlassen und das Prinzip Hoffnung.

Auch bei den "schweren Waffen" droht Scholz neues Ungemach, denn er und seine Minister müssen im Bundessicherheitsrat als nächstes entscheiden, ob Forderungen der Industrie doch deutsche Marder- und Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, stattgegeben wird. Er wirkt in der Frage, auch wegen des Drucks von Grünen, FDP und Union, wie ein Getriebener.

Der wegen des Waffenstreits für diesen Dienstag geplante Koalitionsgipfel muss wohl wegen Lindners Corona-Erkrankung verschoben werden. Eigentlich aber müsste sich die Koalition Zeit nehmen, gemeinsam in Ruhe zu beraten und grundlegende Fragen zu klären – weniger öffentlich.

Der Kanzler kann sich längst auch nicht sicher sein, dass die Koalition komplett steht bei der Abstimmung über das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro.

Es ist sein bisher größtes Projekt. Merkel hat in 16 Jahren nicht ein Mal die Vertrauensfrage gestellt, bei Scholz schwebt jetzt schon über allem die Frage, ob er das nötige Vertrauen noch hat.

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