Schwere Fehler in vergangenen 20 Jahren: Merz sieht „deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vor Scherbenhaufen“
CDU-Chef Merz will Versäumnisse der Union aufarbeiten. Kanzler Scholz wirft er „Vertuschung“ vor und droht mit Widerstand beim Bundeswehr-Sonderfonds.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat schwere Versäumnisse der Union bei der Ausstattung der Bundeswehr eingeräumt und eine Aufarbeitung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der vergangenen beiden Jahrzehnte angemahnt.
„Im Rückblick müssen wir leider feststellen: Alle Verteidigungsminister der letzten 20 Jahre haben bei Ausrüstung und Zustand der Truppe falsche Entscheidungen getroffen“, sagte der CDU-Chef der „Bild am Sonntag“. „Das waren schwere Versäumnisse, auch innerhalb der Union.“
Von Ende 2005 bis Ende 2021 besetzten CDU und CSU durchgehend das Verteidigungsministerium. Davor hatte ab Mitte 2002 der SPD-Politiker Peter Struck den Posten inne.
Merz hielt mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zudem fest: „Die gesamte deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre steht vor einem Scherbenhaufen. Wenn dieser Krieg vorüber ist, müssen wir sorgfältig analysieren, wie es dazu kommen konnte.“
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Aus Sicht des CDU-Chefs hätte es spätestens 2014 nach der Besetzung der Krim „eine massive Sanktionierung und Isolierung Russlands gebraucht“.
In der Debatte um Waffenlieferungen für die Ukraine kritisierte Merz den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf. Dieser werfe „eine Nebelkerze nach der anderen“. sagte Merz. „Er vertuscht, er verschweigt, er sagt nur die halbe Wahrheit“. Deutschland sei deshalb international zunehmend isoliert.
Merz warnte vor einer Ausweitung des Krieges, sollte die Ukraine nicht ausreichend militärisch unterstützt werden: „Gerade die Verweigerung von schweren Waffen macht die Eskalation und Ausweitung dieses Krieges immer wahrscheinlicher“, sagte der CDU-Chef. „Die letzten Jahre haben gezeigt: (Russlands Präsident Wladimir) Putin macht immer weiter, wenn er nicht gestoppt wird.“
Blockade von Bundeswehr-Sondervermögen angedroht
Zudem drohte Merz mit Blick auf die Verteidigungspolitik der Bundesregierung, dem geplanten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht zuzustimmen. Die Union werde sich nicht fertige Ergebnisse vorlegen lassen, „denen wir dann einfach nur noch zustimmen sollen“, sagte Merz.
„Wenn der Kanzler uns für eine Änderung des Grundgesetzes und für 100 Milliarden Euro neuer Schulden gewinnen möchte, dann muss er mit uns reden.“ Merz forderte von Kanzler Scholz, dass die 100 Milliarden Euro „ausschließlich der Aufrüstung der Bundeswehr zugutekommen“.
Außerdem müsse es darauf hinauslaufen, dass dauerhaft mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben werden. „Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und für die neuen Schulden auch ein Tilgungsplan vorgelegt wird, dann können wir zustimmen“, sagte Merz.
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Laut der „Bild am Sonntag“ sorgt ein Vorschlag aus dem Kanzleramt derzeit für Ärger: Der Bundeswehr-Sonderfonds könnte dem Parlament ohne einen angehängten Wirtschaftsplan zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Union sieht sich dadurch in ihrem Mitspracherecht über einzelne Rüstungsprojekte eingeschränkt, wie die Zeitung berichtete. Auch aus den Reihen der Regierungsparteien kommt demnach Kritik an einem solchen Vorgehen.
CDU-Chef spricht vom „roten Sumpf an der Küste“
Mit Blick auf die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 und die Politik der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern unter Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte Merz, der „rote Sumpf an der Küste“ müsse ausgetrocknet werden.
„Wenn die Berichte stimmen, dass russische Unternehmen mehr oder weniger ungehindert Zugang zur Staatskanzlei hatten und mit ihrer Hilfe dem Staat auch noch Steuern vorenthalten wurden, dann wird sich Frau Schwesig nicht halten können“, so Merz.
Es habe offenkundig „massive Einflussnahmen dieses bundesweiten SPD-Russland-Netzwerkes unter maßgeblicher Beteiligung des Altbundeskanzlers (Gerhard) Schröder bis hin zu einer äußerst fragwürdigen Stiftungskonstruktion gegeben“.
Der Staatskanzlei von Schwesig sei „augenscheinlich die Feder geführt worden von russischen Unternehmen, die dann auch noch 20 Millionen Euro an der Steuer vorbei gespendet haben. Auch für dieses Geld hat man in Schwerin offenbar Umgehungsmöglichkeiten gefunden.“ (dpa, AFP)