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Parteifreunde: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und der Parteivorsitzende Martin Schulz haben unterschiedliche Konzepte für die SPD.
© Kay Nietfeld/dpa

Zukunft der SPD: Olaf Scholz und die Folgen

SPD-Vize Olaf Scholz beschreibt Probleme der Partei, nennt Fehler des Wahlkampfs und warnt vor Ausflüchten - richtet sich das gegen Martin Schulz?

Er ist keiner, der die offene Auseinandersetzung sucht, solange der Ausgang schwer kalkulierbar ist. Doch nun hat der Hamburger Bürgermeister und SPD-Vize Olaf Scholz Thesen zur Zukunft der gebeutelten Sozialdemokratie vorgelegt, die viele in der Partei als Kampfansage verstehen – und zwar an den Vorsitzenden Martin Schulz. Titel des Scholz-Papiers: „Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze!“

Inwiefern richtet sich das Papier gegen Martin Schulz?

Die Scholz-Thesen sind eine Gegenrede zu gängigen Erklärungen für die Wahlniederlage vom 24. September in der SPD. In der Partei heißt es oft, es habe an mangelnder Mobilisierung gelegen. Für den Hamburger sind das „Ausflüchte“ – genau wie die These, die fehlende Machtoption sei schuld gewesen oder die wachsende Konkurrenz von Grünen, Linken und AfD. Die Probleme der SPD seien grundsätzlicher, schreibt Scholz. Auch von der Behauptung, die SPD habe sich im Wahlkampf nicht klar genug für mehr soziale Gerechtigkeit eingesetzt, hält er wenig. Sein Einwand: Der Wahlkampf habe doch „ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit“ gestanden.

Zwar findet sich in dem Papier keine direkte Kritik am angeschlagenen Parteichef. Doch er veröffentlicht seine Thesen direkt vor der ersten Regionalkonferenz der SPD zur Aufarbeitung des schlechtesten Nachkriegsergebnisses bei einer Bundestagswahl, die an diesem Sonnabend ausgerechnet in Hamburg stattfindet. Und in der SPD ist ohnehin vielen klar, dass sich Scholz’ wichtigste Forderung gegen Schulz richtet. Der hatte sich nach der Wahl für einen Linksschwenk ausgesprochen, die „Systemfrage“ ausgerufen und „Mut zur Kapitalismuskritik“ verlangt. Dagegen fordert Scholz nun, auch in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung „Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik“ zu verbinden. Dabei sei wirtschaftliches Wachstum „eine zentrale Voraussetzung, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen“.

Kapitalismuskritisch und wirtschaftsfreundlich - geht das zusammen?

Pragmatisch und wirtschaftsfreundlich – im Grunde propagiert Scholz für seine Bundespartei den Kurs, den er selbst in Hamburg fährt. Seit 2011 regiert der 59-Jährige die zweitgrößte deutsche Stadt. Sozialdemokratische Politik à la Scholz – das heißt die Probleme der hart arbeitenden Bevölkerung durch Regierungshandeln zu lösen. Kompetenz beweisen steht für Scholz ganz oben. Und genau das empfiehlt er nun der Bundespartei. Man könnte es den „Hamburger Weg“ nennen. Die SPD, schreibt Scholz, müsse von den Bürgern als „im höchsten Maße kompetent“ wahrgenommen werden, wenn sie wieder Wahlen gewinnen wolle.

An dieser Stelle setzt er noch einen Nadelstich gegen Schulz. Dessen anfänglich hervorragende Umfragewerte von mehr als 30 Prozent im Wahlkampf seien eine „hoffnungsvolle Projektion“ gewesen. Die Hoffnungen der Wähler könnten sich wieder in gleichem Maße auf die SPD richten, wenn die Partei „diese Erwartungen erfüllt“. Übersetzt heißt das: Unter Kanzlerkandidat Schulz wurde die SPD nach kurzem Höhenflug nicht mehr als ausreichend kompetent wahrgenommen.

Wie ist das Echo in der SPD?

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist voll des Lobes: „Das ist ein sehr kluges, richtungsweisendes Papier, das wir beraten müssen.“ Auch Martin Rabanus, Sprecher des pragmatischen „Netzwerker“- Flügels, sagt, wirtschaftliche Stärke und sozialer Fortschritt seien „zwei Seiten derselben Medaille“. Der „Seeheimer Kreis“ warnt indes vor einer Personaldebatte: „Es ist richtig, wenn wir nach der schweren Wahlniederlage kontrovers über Richtung und Kurs diskutieren“, sagt der Sprecher der SPD-Rechten, Johannes Kahrs. „Ich warne aber davor, aus der inhaltlichen Diskussion eine grundsätzliche Personaldebatte zu machen.“ Martin Schulz sei „als Parteichef schon deshalb unangefochten, weil es keinen anderen Bewerber gibt“.

Wie sicher sitzt Martin Schulz im Sattel?

Seit dem Wahlabend kämpft der Parteichef um Amt und Autorität. Er weiß: Nicht nur Olaf Scholz, auch andere in der SPD-Spitze zweifeln an seiner Führungskraft. Sie trauen ihm nicht mehr zu, dem Erneuerungsprozess der Partei Richtung und Tiefe zu geben. Schulz hat selbst dazu beigetragen, die Zweifel wachsen zu lassen. Bei der Besetzung wichtiger Posten unterliefen ihm Fehler. Dass die Parteigremien Schulz’ Entscheidung für Lars Klingbeil als neuen Generalsekretär aus den Medien erfuhren, wird dem Parteichef ebenso vorgeworfen wie ein stilloser Umgang mit Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert. Die las in der Zeitung, dass Schulz ihren Posten der Juso-Chefin Johanna Uekermann andiente. Seifert verabschiedete sich deshalb just an dem Tag aus dem Willy-Brandt-Haus, als Schulz mit der Personalie Klingbeil ein Signal des Aufbruchs setzen wollte.

Auch deswegen fällt die Kritik mancher SPD- Bundestagsabgeordneter verheerend aus. Der Parteichef richte „Chaos“ an, sagen manche. Andere sprechen von „Phrasen“, wenn es darum geht, was Schulz bislang inhaltlich zur Erneuerung der Partei beigetragen hat. Die Schulz-Kritiker sehen sich bestätigt: Der Vorsitzende habe schlicht „keine Idee“, wohin er die SPD führen wolle.

Trotzdem lässt Schulz keinen Zweifel daran, dass er auf dem Parteitag Anfang Dezember wieder antritt und sich auch nicht bloß als einen Übergangsvorsitzenden versteht. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Etliche erfahrene SPD-Politiker mögen ihn schon abgeschrieben haben. An der Basis aber ist der frühere Bürgermeister von Würselen nach wie vor beliebt. Wo er auftritt, wird er gefeiert. Eine Entwicklung muss den Parteichef allerdings beunruhigen: Nach der Bundestagswahl ist seine Beliebtheit bei den eigenen Anhängern seit Mitte September kontinuierlich gefallen.

Will Scholz anstelle von Schulz Parteichef werden?

Er traut sich die Aufgabe der Erneuerung der Partei auf jeden Fall zu. Aber er würde am liebsten gerufen werden. Mit dem Papier unterbreitet der Hamburger der SPD jetzt ein Angebot. Die Botschaft lautet: Ich habe einen Plan, um die SPD zu retten. Eine Kampfkandidatur gegen Schulz auf dem Parteitag Anfang Dezember gilt in der SPD als unwahrscheinlich. Scholz sei keiner, der „springt“, heißt es. Tatsächlich würde der stellvertretende Parteichef riskieren, als Verlierer vom Platz zu gehen. Denn seine Gegner planen im Falle seiner Kandidatur bereits einen Mitgliederentscheid, bei dem Schulz aller Wahrscheinlichkeit nach besser abschneiden würde.

Woher rührt der Widerstand gegen Scholz?

Der Hamburger ist keiner, dem die Herzen zufliegen. Im Gegensatz zu Schulz wirkt er kühl, hanseatisch reserviert, auf manche auch arrogant. Das ist ein Manko in der SPD, Deutschlands sentimentalster Partei. Ohne Scholz beim Namen zu nennen, warnte dessen Parteivize-Kollege Ralf Stegner jetzt im Deutschlandfunk: Die Erneuerung der SPD sei nicht zu leisten mit einem „technokratischen Ansatz und nur mit Analysen, sondern auch mit Leidenschaft und Begeisterung“. Stegner, der Schulz behalten will, ist einer der Wortführer der SPD-Linken. Für ihn und seine Mitstreiter muss die SPD weiter nach links rücken, wenn sie sich behaupten will. Außerdem weiß der linke Parteiflügel, dass er unter einem Parteichef Scholz weniger Freiheiten hätte. Dessen Motto lautet: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“

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