Was Deutschland gegen resistente Keime unternimmt: Ohne wirksame Antibiotika wird es gefährlich
Deutschland hat den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen zur Chefsache gemacht. Nun versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch andere Länder ins Boot zu holen.
Nach den Worten der Bundeskanzlerin ist es ein Thema „von ausschlaggebender Bedeutung“ für die Menschheit. Eindringlich hat Angela Merkel die Weltgemeinschaft zum Kampf gegen den Missbrauch von Antibiotika aufgerufen. Es gehe darum, deren Wirksamkeit zu sichern und sie auf medizinisch notwendige Anwendungen zu beschränken, sagte sie bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf – und forderte Gesundheitspolitiker und Wissenschaftler aus aller Welt auf, einem entsprechenden WHO-Plan zuzustimmen. Die WHO hatte bereits im April vor einer „post-antibiotischen Ära“ gewarnt. Wenn nicht umgehend gehandelt werde, könnten selbst Krankheiten, die sich bisher gut behandeln ließen, wieder tödlich verlaufen.
Welche Gefahr geht von multiresistenten Keimen aus?
Kaum etwas hat das Vertrauen der Bürger in die Institution Krankenhaus so un- terminiert wie Schlagzeilen über gefährliche „Killer“-Keime, die man sich dort einfangen kann – und gegen die alle gängigen Antibiotika wirkungslos sind. Bekanntestes Beispiel: der gegen Methicillin resistente Staphylococcus aureus, kurz MRSA. Besonderes Kennzeichen des Bakteriums, das meist unbemerkt die Nase gesunder Menschen besiedelt, ist seine Unempfindlichkeit gegen Antibiotika, darunter auch Reservemittel, die sonst oft die letzte Rettung sind. Andere multiresistente Erreger wie Klebsiella pneumoniae, ein Bewohner des Magen-Darm-Trakts, der schwere Lungenentzündungen hervorrufen kann, machen den Kliniken inzwischen aber fast noch mehr Kopfzerbrechen. Jede zehnte Klinikinfektion wird heute durch solche Keime hervorgerufen. Und selbst wenn es wirksame Mittel gibt, geht oft wertvolle Zeit verloren, bis genaue Laborergeb- nisse vorliegen. Werden auf Verdacht zu oft Breitbandantibiotika eingesetzt, helfen sie später auch anderen nicht mehr. Antibiotika sind aber oft billiger als genaue Tests. Und das Problem ver- schärft sich dadurch, dass nur noch wenige Antibiotika-Innovationen in der Pipeline sind.
Warum hat sich die Lage so zugespitzt?
In den Kliniken werden immer mehr Schwerkranke behandelt, chirurgische Eingriffe werden komplexer, Patienten erhalten öfter Katheter, es werden mehr Zugänge in die Venen gelegt: Das alles sind potenzielle Eintrittspforten für Bakterien, die sich auf der Haut oder im Darm des Betroffenen oder anderer Patienten befinden. Erst wenn sie in gewöhnlich keimfreie Regionen, in Lunge, Harnblase oder offene Wunden gelangen, machen sie Probleme. Hinzu kommt, dass immer mehr Patienten ein geschwächtes Immunsystem haben. Und dass es an Hygienekräften mangelt. Dennoch ist es möglich, dem Entstehen neuer Resistenzen gegenzuwirken – durch zurückhaltenden Einsatz der verfügbaren Mittel und sorgsamen Umgang mit Kathetern und anderem Klinikmaterial. Zuerst aber muss alles getan werden, um die Ausbreitung von Erregern zu verhindern, etwa durch konsequente Desinfektion, wie sie die Aktion „Saubere Hände“ propagiert.
Wie sieht die Strategie der Bundesregierung aus?
Deutschland will bei der Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen eine Vorreiterrolle übernehmen. Es hat das Thema auf die Agenda seiner G-7-Präsidentschaft gehievt – und national entsprechend vorgelegt. Vorige Woche beschloss das Kabinett eine neue Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020), die ein bestehendes Programm von 2008 fortsetzen und intensivieren soll. Formuliert wird darin auf knapp 50 Seiten ein ganzes Bündel von Zielen. Human- und Veterinärmedizin sollen enger zusammenarbeiten. Überwachungssysteme sollen ausgebaut werden, die Meldepflicht soll auf weitere Erreger ausgedehnt wer- den. Für Ärzte und Angehörige anderer Gesund- heitsberufe soll es gezielte Schulungen geben, um das Bewusstsein für Hygiene und falschen Antibiotika-Einsatz zu schärfen, denn Studien zufolge sind bis zu 50 Prozent aller Antibiotika-Therapien „inadäquat“. Und die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika soll ebenso gefördert werden wie der Einsatz von schnelleren und verlässlicheren Testverfahren. Der „erhebliche Forschungsbe- darf“ werde durch Forschungs-, Agrar- und Ge- sundheitsministerium „berücksichtigt“, heißt es in dem Programm. Das scheint dringend nötig, denn weil die Gewinnaussichten in keinem Verhältnis zu den Entwicklungskosten stehen, hat sich die Pharmaindustrie immer weniger um neue Antibiotika gekümmert. Helfen könne aber auch die Erforschung von Impfstoffen, alternativen Behandlungsmöglichkeiten – und von antimikro- biellem Material wie etwa Kupfertürklinken, die das Anhaften von Keimen verhindern.
Reichen die geplanten Maßnahmen ?
Vielen gehen sie nicht weit genug. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter lobt zwar, dass die Regierung die Gefahren erkannt habe. Doch insbesondere gegen Antibiotika-Missbrauch in der Massentierhaltung werde nach wie vor zu wenig getan. Reserve-Antibiotika hätten im Stall nichts zu suchen. Das geltende Recht schaffe mit Rabatten „aberwitzige Anreize, so viel Antibiotika wie möglich zu verkaufen“. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert ein verpflichtendes Screening von Klinikpatienten auf Resistenzen. Anders als etwa in den Niederlanden gibt es hierzulande keine routinemäßigen Tests – und bisher sind sie auch nicht vorgesehen. Gescreent wird nur risiko- bezogen, also etwa bei Mitarbeitern landwirtschaftlicher Betriebe. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft würde für solche Tests vor geplanten Eingriffen gerne auch niedergelassene Mediziner in die Pflicht nehmen. Und die Ärzte betonen, dass es mit mehr Wissensvermittlung nicht getan sei. „Wer die Hygiene in den Kliniken verbessern will, sollte dafür sorgen, dass die Personalschlüssel aufgestockt und klar geregelt werden“, heißt es in einer Entschließung des jüngsten Ärztetages. Selbst in Intensivstationen werde „die von den Fachgesellschaften empfohlene Personalbesetzung in der Pflege in der Regel deutlich unterschritten“. Dabei zeigten Studien, dass eine hohe Arbeitsdichte „das größte Risiko für nosokomiale Infektionen“ darstelle.
Adelheid Müller-Lissner, Rainer Woratschka
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