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Russlands Präsident Wladimir Putin hat dem Westen vorgeworfen, sein Land und dessen Wirtschaft unter dem Deckmantel der Ukraine-Krise vernichten zu wollen.
© Reuters

Rede von Wladimir Putin: Ohne Rücksicht auf Verluste

Russlands Präsident Wladimir Putin wirft den USA eine "Unterwerfungspolitik vor. Alle Hoffnungen richten sich jetzt darauf, dass es im Rahmen einer internationalen Konferenz gelingen möge, Russland in den Kreis der Nationen mit zivilen Umgangsformen zurückzuholen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Ukrainekrise ist ein Konflikt, bei dem Täter und Opfer eindeutig auszumachen sind. Ja, die USA haben den russischen Präsidenten arrogant und ziemlich dumm provoziert, als Barack Obama Russland eine Regional- oder Mittelmacht nannte. Ja, die Europäische Union hat vor einem Jahr in ihrem Bemühen, die Ukraine an sich zu binden, auf russische Empfindlichkeiten keine Rücksicht genommen, obwohl das möglich gewesen wäre, ohne über den Kopf der Regierung in Kiew hinweg zu handeln. Aber nichts davon rechtfertigt die Besetzung der Krim und die anhaltende Destabilisierung der Ostukraine durch russische Infiltration und Waffenlieferungen.

Dass Russland von diesem Weg der Gewalt nicht abweichen will, hat jetzt die Rede Wladimir Putins an die Nation bewiesen. Indem er die Krim in ihrer Bedeutung für Russland religiös überhöht und mit der Wichtigkeit des Tempelbergs in Jerusalem für Juden und Muslime gleichsetzt, hat er die Unumkehrbarkeit der russischen Machtergreifung auf der Schwarzmeer-Halbinsel festgeschrieben. Hinter diese Sätze kann er durch kein internationales Abkommen ohne völligen Gesichtsverlust zurück.

Putin verkennt, wie tief seine Politik die EU verstört hat

Gab es in der Botschaft an die Russen irgendein Indiz dafür, dass diese Politik ohne Rücksicht auf Verluste abgemildert wird? Kaum. Putin verkennt, bewusst oder in falscher Einschätzung der Realität, dass er mit seiner Ukrainepolitik vor allem die Staaten der Europäischen Union tief verstört hat. Für ihn sind die Vereinigten Staaten die Initiatoren einer angeblichen Unterwerfungspolitik des Westens gegenüber Russland. Als ein Beweis dafür dienen die von Obama längst nicht mehr verfolgten, mehr als zehn Jahre alten Pläne George W. Bushs zur Installation einer Raketenabwehr in Osteuropa.

Die sollte zwar vor einem Angriff des Iran schützen, aber Bush hatte tatsächlich damals die Chance vertan, Russland einzubinden. Putin übersieht, dass die USA nicht nur geografisch weit weg von der Ukrainekrise sind, diese aber für die EU vor der eigenen Haustür liegt und sich die Europäische Union schon alleine deshalb mit der politische Unsicherheit an ihrer Ostgrenze nicht abfinden wird. Wir können keinen „failed state“ in der Nachbarschaft akzeptieren, sagen nicht nur deutsche Außenpolitiker unisono.

Der Wirtschaftsboykott und die Sanktionen gegen Russland werden also eher zu- als abnehmen. In ihrer Folge wird sich die wirtschaftliche Krise in Russland verschärfen. Der Wert des Rubel gegenüber dem Dollar ist um 60 Prozent gefallen, der Ölpreis weit unter jener Grenze, mit der Russland zum Ausgleich seines Staatshaushaltes kalkuliert hat. Wenn Putin dennoch die Bezüge der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes erhöhen und den Verteidigungshaushalt auf dem bisherigen hohen Niveau halten will, muss er bei den langfristigen Investitionen etwa in die Verkehrssysteme kürzen oder die Gelddruckmaschine schneller laufen lassen.

Alle Hoffnungen richten sich jetzt darauf, dass es im Rahmen einer internationalen Konferenz, etwa auf OSZE- Ebene, gelingen möge, Russland in den Kreis der Nationen mit zivilen Umgangsformen zurückzuholen. Das Ausmaß an gefährlicher Unsicherheit in Europa irritiert ja nicht nur Diplomaten wie Wolfgang Ischinger. Der stellte gerade fest, er hätte sich in dem durch so viele wechselseitige Abkommen miteinander verwobenen Europa eine solche krisenhafte Zuspitzung nicht vorstellen können.

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