Russland: Moskau geht das Geld aus
Präsident Putin verkündet am Donnerstag die Jahresbotschaft im Parlament, die nicht so rosig wie die Jahre zuvor ausfallen wird. Denn die Wirtschaftslage ist schlecht wie nie.
Bereits zum elften Mal tritt Wladimir Putin an diesem Donnerstag im Großen Kremlpalast in Moskau vor die Mikrofone, um die Jahresbotschaft des Präsidenten an das russische Parlament zu verkünden. Bisher bestand die gut einstündige Rede vor allem aus Erfolgsbilanz und optimistischem Ausblick mit kostspieligen Langzeitprogrammen. Nun ist erstmals Kleckern statt Klotzen angesagt: Die Wirtschaftsdaten Russlands sind so schlecht wie nie, seit Putin im März 2000 zum ersten Mal gewählt wurde.
Der Rubel fällt
Am Dienstag hatte das Wirtschaftsministerium den Offenbarungseid geleistet: Nach zwei Jahren der Stagnation beginne nun die Rezession. Für das erste Halbjahr 2015 erwarte man ein negatives Wirtschaftswachstum von minus 0,8 Prozent. Auch der schwächelnde Rubel, der im letzten Halbjahr rund 30 Prozent an Wert verlor, habe die Talsohle noch nicht erreicht. Das könnte zwar langfristig der einheimischen Industrie auf die Füße helfen. Voraussetzung wären massive Investitionen. Die Prognose indes geht davon aus, dass sich der Kapitalabfluss – allein 2014 könnten es rekordverdächtige 90 Milliarden US-Dollar sein – 2015 fortsetzt. Ebenso der Abwärtstrend bei den Energiepreisen. Staatliche Öl- und Gasförderer, aus deren Abgaben sich der russische Haushalt zu knapp 50 Prozent finanziert, müssen sich vom Staat bereits Geld leihen, um Liquiditätsengpässe zu beseitigen. Denn in Europa können sie sich kurzfristig nichts mehr borgen. Der Grund sind westliche Sanktionen, die, wie das Wirtschaftsministerium fürchtet, auch 2015 greifen werden.
Verzicht auf South Stream bringt politischen Langzeitschaden
Vor allem mit Geldknappheit erklären russische Leitartikler auch den überraschenden Verzicht auf South Stream, den Putin bei seinem Türkei-Besuch bekannt gab. Die nun frei gewordenen Mittel könnten das Liquiditätsdefizit im Inland kompensieren und helfen, die heimische Wirtschaft zu modernisieren, glaubt die „Nesawissimaja Gaseta“. Doch die Anschubfinanzierung wäre teuer und mit sozialen Grausamkeiten verbunden, Kreml und Regierung schreckten deshalb schon in den fetten Jahren davor zurück.
Unterschätzt hat Putin mit seinem Verzicht auf South Stream womöglich den politischen Langzeitschaden. Vor allem um Europas Abhängigkeit von russischem Gas zu verfestigen, glaubt die Wirtschaftszeitung „Kommersant“, habe er das für Russland eigentlich unrentable Projekt unter allen Umständen durchziehen wollen. Dass Ebbe in der Kriegskasse ihn nun zum Rückzug zwingt, sei eine herbe außenpolitische Niederlage.
Die Zustimmung für Putin sinkt
Die aber verzeiht die Nation ihrem Herrscher nicht. Vor allem außenpolitische Erfolge erklären Putins nach wie vor rekordverdächtige Zustimmungsraten. Für Rückkehr zu alter imperialer Größe wollten 73 Prozent auf dem Höhepunkt der Krim-Krise sogar Abstriche am Lebensniveau hinnehmen – allerdings nur kurzzeitige. Mit Licht am Ende des Tunnels aber rechnen Wirtschafts- und Finanzministerium frühestens Mitte 2015. Bis dahin werde das Realeinkommen der Bevölkerung um mindestens vier Prozent sinken. Zwar wollen jüngsten Umfragen zufolge 58 Prozent Putin auch bei den nächsten turnusmäßigen Präsidentenwahlen 2018 ihre Stimme geben. Aber immerhin 34 Prozent halten eine neue Führung für wahrscheinlich.
Der Politologe Jewgeni Mintschenko sieht das System Putin bereits als Risikofaktor. Wie einst das kommunistische Politbüro würde Putins persönliche Umgebung alle Grundsatzentscheidungen treffen. Weil geheim und deshalb nicht nachvollziehbar ist, wie sie entstehen, werde Russland als Partner zunehmend unberechenbarer.