Amerika und Europa: Danke, Wladimir!
Die Krim-Krise zeigt Amerikanern und Europäern, wie sehr sie einander brauchen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat das transatlantische Auseinanderdriften durch die Art, wie er den Konflikt um die Ukraine austrägt, gestoppt.
Das Gefühl potenzieller Gefahren schärft den Blick für das Wesentliche. Die USA hatten ihren europäischen Partnern den Umgang zuletzt nicht leicht gemacht. Die Abhörexzesse und Barack Obamas Zögern, die ausufernde Praxis zu unterbinden, haben seinem Ansehen und dem Amerikas geschadet – weit mehr, als viele professionelle Transatlantiker eingestehen wollen.
Doch Wladimir Putin hat dieses Auseinanderdriften durch die Art, wie er den Konflikt um die Ukraine austrägt, gestoppt. Wenn Grenzen plötzlich nicht mehr gelten, wenn Meinungsverschiedenheiten mit Militär statt am Verhandlungstisch ausgetragen werden, wenn durch Sanktionen und Gegensanktionen womöglich die Energieversorgung von EU-Ländern infrage steht, dann suchen Länder und ihre Bürger Rückversicherung. Barack Obamas überfällige Europareise – in seinem sechsten Amtsjahr besucht er zum ersten Mal die EU – wurde so zu einer Selbstvergewisserung für beide Seiten. Bei allem Ärger bleiben Amerikaner und Europäer unverzichtbare Partner füreinander.
Obama ist kein Kalter Krieger. Ihm ist das Kriegerische so fremd, dass manche seine Führungsfähigkeit infrage stellen. Jede Krise draußen in der Welt – erst Libyen und Syrien, jetzt die Ukraine – ist für ihn erst mal eine lästige Ablenkung von seinem Kernprojekt: Amerika wieder auf die Beine zu helfen und es zu modernisieren. Denn wirtschaftliche Stärke daheim betrachtet er als Voraussetzung für die Wahrnehmung internationaler Verantwortung.
Das zeigt sich auch jetzt wieder in seinem alles in allem moderaten Ton. Natürlich, er hat die Beistandsgarantie der Nato bekräftigt. Es hätte Unsicherheit und zweifelnde Fragen ausgelöst, wenn er es nicht getan hätte – ganz besonders in den Baltischen Staaten und in Rumänien, wo einige fürchten, dass die Krim nicht das Ende russischer Expansionswünsche war.
Obama bespöttelt Russland als "Regionalmacht"
Manche werden Obama vorhalten, es sei eine unnötige Provokation, Russland als „Regionalmacht“ zu bespötteln, die aus Schwäche so aggressiv handele. Aber ganz falsch ist diese Analyse nicht. Die russische Wirtschaft ist in der Krise. Die riesigen Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport haben Einzelne superreich gemacht, sind aber nicht zur Modernisierung des Landes genutzt worden. So wirkt sich der Reichtum an Bodenschätzen mindestens so sehr als Fluch wie als Segen aus.
Die Wiedereingliederung exsowjetischer Gebiete macht Russland nicht stärker, sondern kostet: Ob Weißrussland, Ossetien, Transnistrien oder jetzt die Krim, sie alle belasten das Staatsbudget, bis irgendwann die finanzielle Überdehnung droht. Was Putin versucht, ist so ziemlich das Gegenmodell zu Obamas Ansatz für die USA.
So bietet der Ukraine-Konflikt Europa und Amerika die Chance, ihre strategischen Ziele zu überdenken, zum Beispiel die Wende nach Asien. Oder die Bilanz des Versuchs, Russland durch Partnerschaftsangebote einzubinden. Und natürlich die Atlantische Wirtschaftspartnerschaft. Bisher haben die Regierungen und Wirtschaftseliten auf beiden Seiten des Atlantiks das Projekt routiniert, aber eher lieblos verfolgt. Dem wachsenden Chor der Kritiker haben sie wenig entgegengesetzt, um den Bürgern den Sinn zu verdeutlichen. Es illustriert das Ausmaß der Versäumnisse, wenn ausgerechnet Putin ihnen dabei hilft.