Asyl-Streit in der Union: Oettinger fordert von CSU mehr Zeit für Merkel
Beim EU-Gipfel werde es Fortschritte geben, prognostiziert Kommissar Oettinger - aber keinen Durchbruch. Norbert Röttgen bezeichnet Seehofer-Pläne als "Fiktion".
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat wenig Hoffnung auf eine schnelle Einigung beim anstehenden EU-Gipfel. Er forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Zeit für eine europäische Lösung zu geben. „Ich glaube, es wird bis zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag Fortschritte geben. Aber es wird nicht eine Einigung in der Dimension herauskommen, wie es einige in der CSU erwarten“, sagte Oettinger dem „Reutlinger General-Anzeiger“.
Der CDU-Politiker forderte die Schwesterpartei CSU auf, der Kanzlerin weitere Zeit einzuräumen für Beratungen auf europäischer Ebene. „Ich glaube, dass die Kanzlerin gute Argumente hat, um eine weitere Beratung auf europäischer Ebene durchzubringen“, sagte Oettinger.
Trotz des großen innenpolitischen Drucks hat Merkel nach einem EU-Sondertreffen in Brüssel noch keine kurzfristige Lösung im europäischen Asylstreit skizziert. Es gebe aber viel guten Willen, sagte die CDU-Chefin. Man werde bis zum EU-Gipfel, „aber natürlich auch danach“, an Lösungen arbeiten. Ob sie schnelle Absprachen mit den EU-Partnern erreichen kann, blieb offen.
Die CSU verlangt bis 1. Juli einen europäischen Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu unterbinden. Anderenfalls droht Seehofer mit einem Alleingang: Dann will er in der EU registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen lassen. Dies könnte die Zukunft der großen Koalition, aber auch den Zusammenhalt in der EU gefährden.
Auch Röttgen warnt die CSU
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), bezeichnete die Pläne Seehofers zur Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze als "Fiktion". "Es gibt diesen Ort an der Grenze nicht, an dem Flüchtlinge zurückgewiesen werden könnten", sagte Röttgen der "Passauer Neuen Presse".
Flüchtlinge, die nach Deutschland kämen, befänden sich in aller Regel auf deutschem Hoheitsgebiet, und die Rechtslage sei klar: Jedes Asylbegehren müsse geprüft werden wie in jedem europäischen Land auch, sagte Röttgen. "Es gibt ein klares rechtliches Verbot der Zurückweisung ohne Prüfung." Für die Ermittlung eines bereits laufenden Asylverfahrens ebenso wie für die Überstellung seien die Behörden auf die Kooperation des zuständigen Landes angewiesen.
"Die prüfungslose Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze gibt es weder rechtlich noch tatsächlich", sagte Röttgen der Zeitung. "Es gibt bis heute keinen denkbaren Plan für eine nationale Lösung. Wir reden über eine Fiktion", fügte der CDU-Politiker hinzu.
Röttgen warnte die CSU eindringlich davor, im Asylstreit mit der CDU Regierung und Unions-Fraktionsgemeinschaft aufs Spiel zu setzen. Diese Taktik habe schon Großbritannien in den Brexit getrieben. "Hier geht es um die Zukunft Deutschlands und Europas in einer international fragilen Zeit", warnte Röttgen.
Röttgen sprach sich in der Flüchtlingspolitik für eine europäische Lösung aus. Vor allem Italien müsse Teil dieser Lösung sein. "Jeder Plan, der darauf hinausliefe, das europäische Flüchtlingsproblem zu einem italienischen zu machen, würde Europa sprengen", warnte er.
Bütikofer: "Extremistisches Denken in der CSU-Führung"
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber wertete das Sondertreffen vom Sonntag positiv. Er verwies im Bayerischen Rundfunk am Montag auf Fortschritte mit Blick auf den Schutz der EU-Außengrenzen und dem Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Weber forderte insbesondere die osteuropäischen Staaten, die dem Treffen überwiegend ferngeblieben waren, auf, sich einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik nicht zu verweigern.
Der Vorsitzende der europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, äußerte sich empört über das Auftreten Seehofers und anderer führender CSU-Politiker. "Die CSU ist sich, von Ausnahmen wie Manfred Weber abgesehen, ihrer Verantwortung für Europa offenbar nicht mehr bewusst", sagte er "Focus Online". Vielmehr habe sich "in der CSU-Führung zum Teil extremistisches Denken durchgesetzt".
Die CSU setzt Bundeskanzlerin Merkel derweil weiter unter Druck. Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier sagte am Montag dem Portal "Focus Online": "Wir wollen uns nicht mehr vertrösten lassen, und die Bürger wollen das auch nicht". Sie bezog sich dabei auf das Bemühen Merkels um europäische Lösungen im Umgang mit dem Zuzug von Flüchtlingen. (dpa, AFP)
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.