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Belarus: Aktivistinnen der Opposition bei einem Protest gegen staatliche Gewalt in Minsk.
© Sergei Grits/ dpa

Das Regime in Belarus bleibt unnachgiebig: Nur die OSZE kann Lukaschenko an den Runden Tisch bringen

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit müsste zunächst Sicherheit aushandeln. Damit ergänzte sie die Rolle der EU. Ein Gastbeitrag.

Miriam Kosmehl ist Senior Expert Eastern Europe and European Neighbourhood der Bertelsmann Stiftung. Stefanie Schiffer ist Mitbegründerin des Vereins Menschenrechte in Belarus e.V.

Widerstandsfähigkeit (resilience) zu stärken ist eines der erklärten Ziele der aktuellen EU-Außenpolitik. Gesellschaften sollen befähigt werden, sich im Fall einer Störung nicht nur zu erholen, sondern auch gestärkt aus einer Krise hervorzugehen.

Widerstandsfähigkeit haben die Belarusen in den vergangen Jahren auch deshalb entwickelt, weil sie in den EU-Ländern, in die sie ausreisen dürfen – Belarus ist nicht die DDR – Alltagsbeispiele eines Lebens in Würde erfuhren.

Manche verdienen ihren Lebensunterhalt in regelmäßigen Etappen in einem EU-Land, um so in ihrer Heimat gesellschaftlich und politisch unabhängig zu sein. So kam auch die Soft Power der EU ins Land.

Was aber sind die nächsten Schritte, wenn das Volk so erfolgreich geworden ist in seiner Widerstandsfähigkeit und die Störungen aus dem Staatsapparat kommen, der seine Macht nur noch mit brutaler Gewalt verteidigen kann?

Was tun, wenn Sanktionen nichts bewirken?

Europa hat zügig reagiert, klar und einvernehmlich, zunächst in einem Treffen aller EU-Außenminister, dann auf einem Sondergipfel. Die gefälschte Präsidentschaftswahl vom 9. August – Auslöser für die Proteste der Gesellschaft– wird nicht anerkannt, ein inklusiver nationaler Dialog verlangt.

Über bilaterale Gesprächskanäle wird versucht, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, neben dem Minsker Staatsapparat der entscheidende Machtfaktor, in die Verantwortung zu nehmen.

Aber was tun, wenn die Forderungen an Minsk ins Leere laufen? Wenn die beschlossenen Sanktionen gegen jene, die für Wahlfälschung und Gewalt verantwortlich sind, allein nichts bewirken? Wenn Russland seine Propaganda-Maschine anwirft und für „Unruhe“ sorgt, um sich etwa unter dem Vorwand ausländischer Einmischung selbst einzumischen?

Die OSZE müsste zunächst Sicherheit aushandeln

Eine Chance besteht dann, wenn zusätzlich zu bilateraler Diplomatie und Brüssel auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) handelt, der Belarus und Russland angehören. Genau zu dem Zweck wurde sie 1991 gegründet: Um in schweren Krisen politische Lösungen zu befördern und Kriegsgefahr abzuwenden.

In Belarus müsste sie zwischen dem Staatsapparat und dem neu gegründeten nationalen Rat für Koordinierung vermitteln, der sich als Bindeglied zur gesamten belarusischen Gesellschaft sieht. Vor allem müsste sie Sicherheit aushandeln und gewährleisten.

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Problematisch ist, dass die OSZE aktuell gelähmt ist. Wegen eines Vetos des autoritär regierten Aserbaidschans gegen den designierten Medienbeauftragten (Harlem Désir) sind aktuell gleich vier Chefposten unbesetzt, weil sie im Paket und nach Einstimmigkeitsprinzip verhandelt werden. Das betrifft die Positionen des Generalsekretärs, des Direktors des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte und des Minderheitenbeauftragten.

Umso wichtiger ist der jüngste Vorschlag des aktuellen OSZE-Vorsitzes, des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama und der schwedischen Außenministerin Ann Linde, Gespräche mit Regierung und Opposition in Minsk zu führen.

Dass die OSZE derzeit kein Büro in Minsk unterhält, könnte durch Vermittlungstätigkeit der Botschafter in Minsk – etwa des schwedischen – ersetzt werden. Schweden übernimmt 2021 den OSZE-Vorsitz und unterhält traditionell enge Beziehungen zu Belarus.

Polen und die baltischen Staaten haben die richtigen Erfahrung und Kontakte

Die ersten Vorschläge zu einer Verhandlungslösung unter internationaler Vermittlung kamen nicht zufällig aus den baltischen Staaten und Polen. Der Gedanke, gleich nach der Wahlniederlage Alexander Lukaschenkos, Vertreter der (alten) Regierungsstrukturen und der Zivilgesellschaft und Opposition an einem „Runden Tisch“ zu versammeln, basiert auf eigenen Erfahrungen. Der Runde Tisch Polens, an dem vor 30 Jahren die Gespräche zwischen Staatspartei und Opposition stattfanden, die den Anfang vom Ende des Kommunismus im Land einleiteten, ist hier die historische Referenz.

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Damit dies in Belarus ähnlich läuft, müsste die Willkür aufhören. Das werden die von der EU in Aussicht gestellten Kontensperrungen oder Einreisesperren für die dafür Verantwortlichen nicht bewirken.

Zudem ist es nicht einfach, in einer ohnehin hochkomplexen und sich rasend verändernden Übergangszeit die richtigen Adressaten für restriktive Einzelmaßnahmen auszuwählen – auch, weil sich die Positionen der Akteure noch klären. Und dass die Truppen etwa des Innenministeriums in die Organisierte Kriminalität wechseln, gilt es zu vermeiden.

Zudem ist Vorsicht ist geboten, denn wegen der Abschottung von Belarus sind die Detailkenntnisse der Strukturen im Land nicht die besten. Wenn das Regime inzwischen einige der teilweise schlicht von der Straße weggefangenen mehreren Tausend Menschen wieder freigelassen hat, dann vor allem deswegen, weil die Arbeiter und Arbeiterinnen der Staatsfabriken streiken.

Die im Oppositionstrio mitarbeitende Maria Kolesnikowa hat zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls mehrfach von Sanktionen abgeraten, die Streikenden unterstützt und Verhandlungslösungen angemahnt. Dafür wünscht sie sich Unterstützung von der EU und Russland gleichermaßen.

Litauens Premier, Saulius Skvernelis empfängt die ehemalige Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen in Belarus, Swetlana Tichanowskaja. Sie lebt seit kurzem in Litauen im Exil.
Litauens Premier, Saulius Skvernelis empfängt die ehemalige Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen in Belarus, Swetlana Tichanowskaja. Sie lebt seit kurzem in Litauen im Exil.
© dpa

Langjährige Partner der Zivilgesellschaft können die Herausforderungen einschätzen und haben Kontakte, auf die sie zurückgreifen können. In Litauen etwa leben viele Belarusen. Traditionell gingen Institutionen, die Minsk drangsalierte, ins Exil. Aber genauso spielten Wirtschaftsbeziehungen eine Rolle. Litauen ist es gelungen, sowohl Kontakte zum Regime zu unterhält als auch aktiv die belarussische Opposition, Aktivisten und unabhängige Medien zu unterstützen.

Die für die exzessive Gewalt Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen, wird elementar für den Rechtsfrieden sein. Dafür gibt es die internationalen Gerichte; Aktivisten sammeln Belege. Ein EU-Sondergesandter für Belarus könnte den Transformationsprozess begleiten, die europäische und belarusische Zivilgesellschaft fordert dies schon lange.

Besonders schwierig ist der Umgang mit Russland, das kein zuverlässiger Partner ist. Denn anstatt sich zu einem gemeinsamen Vorgehen mit der EU für eine friedliche Lösung zu bekennen, behauptet etwa Außenminister Sergei Lawrow fälschlicherweise, die EU stelle Belarus vor die Wahl zwischen Europa und Russland. Moskau wäre gut beraten, die bestehenden engen Verbindungen zu Belarus nicht durch Propaganda und hybride Einflussnahme zu gefährden.

Was braucht es also, damit die Verflechtung von bilateraler Diplomatie, der EU und der OSZE Wirkung entfalten kann? Zunächst den Willen und den Mut, gemeinsam Verantwortung für den friedvollen Machtwechsel zu übernehmen. Zweitens die Bereitschaft zu langfristigem Engagement im Land. Dann könnte das Beispiel Belarus im 21. Jahrhundert das Symbol für Europas politische Stärke werden.

Miriam Kosmehl, Stefanie Schiffer

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