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Bezeugen und vermitteln. OSZE-Mitarbeiter am zerstörten Flughafen in Donezk.
© dpa

Die stille Diplomatie der OSZE: Mehr internationale Gruppentherapie, bitte!

Überall gibt es in der internationalen Politik gerade schrille Töne und Konflikte – da kann die OSZE als Beziehungsstärker helfen, findet unser Kolumnist.

Eine Bewegung löst oft eine Gegenbewegung aus. Und wenn das auch in der Außenpolitik stimmt, müssten diese schrillen und schnellen Zeiten vor allem nach der OSZE rufen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Überall Konflikte, Autokraten stellen Bündnisse infrage und zerstören Vertrauen, die EU stemmt sich gegen ihren Zerfall – was kann da Sinnvolleres passieren als ein großes Comeback der OSZE? Sie ist ein Beziehungsstärker. Die Gruppentherapie unter den internationalen Organisationen.

Wir können über alles reden. Das ist das angenehme Angebot der OSZE. So ist sie entstanden, als Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE. 1975 unterzeichneten fast alle europäischen Staaten sowie die USA und Kanada die Schlussakte von Helsinki und verpflichten sich darin zu Prinzipien wie dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, der friedlichen Konfliktlösung, der Unverletzlichkeit der Grenzen. Auf dieser Grundlage wurde weiterverhandelt – und mehr Vertrauen aufgebaut. Die KSZE hat sich ihren Platz in den Geschichtsbüchern gesichert mit ihrem Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges. Nach ihrem Wandel zur OSZE 1995 ist sie in der öffentlichen Wahrnehmung zum Reiseveranstalter für Wahlbeobachter geworden. Aber diese scheinbare Schwäche ist auch eine Stärke. Was sie anstößt, aufstellt, unternimmt, knallt nicht als Breaking News herein, hier wirkt die stille Diplomatie.

Ihre große Stärke: Convening Power

Das geringe öffentliche Interesse macht es den Mitgliedstaaten oft leichter. Einmal wollte Kanada austreten, um sich die Beiträge zu sparen. Es kamen jedoch ein Anruf der Bundesregierung und einer von US-Außenminister Kerry, doch bitte im Klub zu bleiben. Die Anrufe überzeugten, und weil es noch keine mediale Berichterstattung gab, konnte Kanadas Regierung gesichtsverlustfrei von ihrem Vorhaben zurücktreten.

Die OSZE braucht keine Schutzmacht. Aber Länder, die sich für sie einsetzen. Gutgetan hat ihr auf jeden Fall, dass der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr als Amtierender Vorsitzender der OSZE viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dabei wollten seine Mitarbeiter das anders, die OSZE koste den Minister zu viel Zeit.

Dank Deutschlands Engagement bekam die OSZE auch das Mandat, im Bürgerkrieg in der Ukraine zu vermitteln. Das hat sie sicher besser geschafft, als es anderen gelungen wäre. Die OSZE hielt und hält die Gespräche zwischen Russland und der Ukraine am Laufen und hilft, die Ergebnisse in der Ostukraine umzusetzen. Das ist schon eine Menge für eine Organisation, die gerade einmal über ein Jahresbudget von gut 140 Millionen Euro verfügt. Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Rüstungskontrolle, zivilgesellschaftlicher Dialog sind ihre Kernkompetenzen. Was sie vielleicht am besten kann, beschreibt ein englischer Begriff besonders gut: „Convening Power“, die Kraft, alle zu versammeln. Sie ist die einzige politische Organisation, der alle Länder Europas angehören.

"Hart ist nicht nur das, was schießt"

Es kann kein Zufall sein, dass ihre Generalsekretäre ranghohe Diplomaten sind und nicht wie bei der Nato ehemalige Regierungschefs oder Außenminister. Diplomaten wissen besonders gut, wie viel Anstrengung es kostet, die Scherben wieder zusammenzufügen, wenn bei Konflikten etwas zu Bruch gegangen ist.

Im Vergleich zur Nato hat die OSZE ohnehin etwas sehr Organisches. Wolfgang Zellner, der Kodirektor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg nennt die OSZE „die flexibelste und informellste Organisation, die wir haben“. Wenn er an der Führungsakademie der Bundeswehr über die OSZE spreche, würden zwei Drittel ihren Wert sofort verstehen. Diejenigen, denen es ums Operative gehe, würden hingegen fragen, was sie denn mit diesem Ding anfangen sollen. Aber: „Hart ist in der Politik nicht nur das, was schießt“, sagt Zellner.

So wie bedeutende Zeitungen in den USA gerade Fake News und alternative Fakten zum Anlass nehmen, ihre Rechercheteams zu vergrößern, so müsste die Politik gerade in die Diplomatie investieren. Es gibt einfach zu viel zu tun. In der Ukraine müsste die OSZE neben dem Waffenstillstand auch Rüstungskontrolle aushandeln und durchsetzen helfen. In anderen Regionen, die auf den ersten Blick friedlich erscheinen, rumort es unter der Oberfläche, etwa auf dem Balkan. Putin hat mit seiner Politik europäische Gewissheiten angegriffen, Erdogan verunsichert mit seinem Machtanspruch ebenfalls. Da ist viel aufzubauen, es gibt viel zu klären, und das Gute an der OSZE ist auch, dass man das erst einmal ganz offen tun kann. Die OSZE ist der zur Institution gewordene Versuch, der es immer wert ist.

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