Krieg in Syrien: Not und Tod in der Schutzzone
In der Provinz Idlib und in Ost-Ghouta bei Damaskus gelten Feuerpausen. Eigentlich. Doch Machthaber Assad will die dortige Opposition mit aller Gewalt brechen.
Helfer, die Menschen aus den Trümmern zerstörter Wohnhäuser bergen. Familien, die in Zelten oder Ruinen Schutz vor eisiger Kälte und Regen suchen. Kinder, die nicht zur Schule gehen können, weil der Weg dorthin lebensgefährlich ist. Bomber, die ohne Unterlass ihre todbringende Ladung abwerfen.
Es sind derartige Bilder, die auf verstörende Weise an den Sturm auf das nordsyrische Aleppo vor gut einem Jahr erinnern. Beobachter wie Betroffenene fürchten: Dieses Schreckensszenario könnte sich jetzt in der Provinz Idlib und in der Vorortregion Ost-Ghouta bei Damaskus wiederholen.
Beides sind die verbliebenen Gebiete, die noch zu großen Teilen von Aufständischen – zumeist islamistischen Milizen – kontrolliert werden. Das soll jetzt nach dem Willen des syrischen Regimes ein Ende haben.
Keine sicheren Orte
Seit Dezember 2017 lässt Baschar al Assad über Idlilb und Ost-Ghouta massive Luftangriffe fliegen. Dabei werden die Regierungseinheiten von russischen Kampfjets unterstützt. Moskau hilft Damaskus schon lange beim Vorgehen gegen Assads Gegner. Doch nachdem Islamisten mithilfe von Flugabwehrraketen eine Suchoi abschießen konnten, sprechen Beobachter von einer regelrechten Vergeltungsaktion.
Die Leidtragenden sind wieder einmal die Syrer, die nach sieben Jahren Krieg nichts mehr herbeisehnen als eine Waffenruhe. Doch die ist nicht in Sicht. Denn Assad scheint derzeit ungehindert alles daran zu setzen, die letzten Rebellenhochburgen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und das Vorgehen hat verheerende Folgen vor allem für Zivilisten.
Allein in Idlib sollen nach Schätzungen der UN und verschiedener Hilfsorganisationen in den vergangenen Wochen fast 300.000 Menschen vor der Gewalt geflohen sein. Doch sichere Orte gibt es nicht. Auch der Fluchtweg nach Norden, also Richtung Türkei, ist versperrt. Dort geht Ankara gegen syrische Kurden vor.
Völlig überfüllte Unterkünfte
Idlib gilt ohnehin als eine Art Mega- Flüchtlingslager. Bis zu drei Millionen Frauen, Kinder und Männer halten sich dort auf. Viele von ihnen sind mehrfach vertrieben worden. Mehrere Tausende kommen aus Aleppo. Nur: Offizielle wie provisorische Lager sind längst völlig überfüllt. Es fehlt an allem, insbesondere an medizinischer Versorgung.
Grund dafür ist der Krieg. Berichten von Menschenrechtlern zufolge setzt das Regime nicht nur Raketen, sondern auch Fassbomben, Bunkerbrecher, Napalm und Chemiewaffen ein, um den Widerstand zu brechen. Dabei werden offenbar immer wieder gezielt Kliniken und Gesundheitszentren attackiert.
„Tagtäglich werden Krankenhäuser angegriffen, manchmal sogar mehrfach“, sagt der Arzt Ayman al Sheikh im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das mache es so schwierig, den vielen Verletzten zu helfen. „Wir Mediziner sind viel zu oft selbst hilflos und verzweifelt, weil es keinen Schutz gibt.
Ganz abgesehen davon, dass Arzneien und Geräte wie Inkubatoren kaum noch aufzutreiben sind.“ Darüber hinaus mangele es an Treibstoff für Generatoren und simplen Dingen wie Decken. Es machen außerdem inzwischen Berichte die Runde, wonach Kliniken aus Angst vor dem Beschuss vorsorglich die Behandlung der Patienten eingestellt haben.
Ähnlich dramatisch ist die Lage in Ost-Ghouta. Die Vororte am Rande der Hauptstadt Damaskus sind bereits 2013 von der syrischen Armee abgeriegelt worden. Damals, zwei Jahre nach Beginn des Aufstands gegen Assad, hatten Oppositionskräfte die Macht übernommen. Heute leben in dem Gebiet noch 400.000 Eingeschlossene, das Sagen dort haben inzwischen Islamistenmilizen. Die feuern immer wieder auf das vom Regime beherrschte Territorium.
Bis vor einem Jahr gelangten immerhin ab und an Lebensmittel, Benzin und Medikamente nach Ost-Ghouta – über einen Kontrollposten der syrischen Armee und Schmugglertunnel. Aber mittlerweile sind die unterirdischen Gänge unpassierbar, der Checkpoint geschlossen. Lebensmittel wie Reis oder Heizmittel kann sich niemand mehr leisten – die Preise haben schwindelerregende Höhen erreicht. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen schätzt, dass viele Mädchen und Jungen in Ost-Ghouta mangelernährt sind.
Hunger und Bomben
„Überall herrscht großer Hunger“, sagt auch Mohamad Katoub, ein Arzt, der aus der Region stammt. Hilfslieferungen kämen so gut wie überhaupt nicht mehr bis in das dicht besiedelte Vorortgebiet. Tatsächlich durfte der letzte UN-Konvoi mit notwendigen Gütern im November nach Ost-Ghouta hinein.
Seitdem sind die Menschen auf sich gestellt. Und wer krank wird, kann nicht damit rechnen, dass er behandelt wird. „In den Kliniken, die ständig beschossen werden, ist einfach kein Platz mehr“, sagt Katoub.
Assad will offenkundig seine Gegner in Ost-Ghouta endgültig und mit aller Gewalt brechen. Gerade die vergangene Woche war für die Einwohner eine der schlimmsten in den vergangenen Jahren. Mehr als 800 Menschen sollen bei Bombardements ums Leben gekommen sein.
Bei so viel Gewalt wirkt der Aufruf des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres, „das schreckliche Leid der syrischen Bevölkerung zu beenden“, recht hilflos. Sowohl Idlib als auch Ost-Ghouta gehören zu Syriens sogenannten Deeskalationszonen – also Gebieten, in denen offiziell eine Feuerpause gilt. Nur: Es scheint keinen zu kümmern.