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Eine gigantische Trümmerlandschaft, so sieht es in weiten Teilen Ost-Aleppos aus.
© Omar Sanadiki/Reuters

Krieg in Syrien: Aleppo - ein Jahr nach der Schlacht

Im Dezember 2016 konnte Syriens Regime die Stadt unter seine Kontrolle bringen. Die Folgen der Schlacht sind bis heute sicht- und spürbar. Vor allem im Ostteil.

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Der Machthaber hat Wort gehalten. Über seinen Außenminister ließ Baschar al Assad im November 2016 die Welt wissen, was er mit dem wohl prominentesten Ort des Widerstands vorhat. „Wir werden Aleppo von den Terroristen befreien und die Einheit der Stadt wiederherstellen.“

Wenige Wochen später war Syriens einst größte Wirtschaftsmetropole wieder vollständig unter Kontrolle des Regimes. Genau vor einem Jahr, am 21. und 22. Dezember, zogen die letzten Kämpfer und Zivilisten mit ihren Familien aus dem östlichen Vierteln ab. Busse brachten sie fort, in die nähere Umgebung oder in die weit entfernte Provinz Idlib.

Vier Jahre hatte der Osten der Stadt dem Herrscher getrotzt, war zu einem Symbol des Aufstands geworden. Doch monatelang schossen vor allem russische Kampfjets diese Festung sturmreif, die Eingeschlossenen wurden ausgehungert. Tausende sind dieser Schlacht zum Opfer gefallen. Abertausende haben ihre Heimat verloren. Am Ende hatte Assad den Kampf gewonnen und damit auch die militärische Wende im Syrienkrieg geschafft.

„Am meisten leiden die ehemals von oppositionellen Kräften kontrollierten östlichen Stadtteile unter der Vernachlässigung. Dies ist Assads Methode, uns zu bestrafen. West-Aleppo ist nicht weit weg von uns; die Menschen dort haben genug Essen und Dinge des täglichen Lebens. Sogar Diskos gibt es. Sie leben dort komfortabel, gleichzeitig kämpfen wir ums Überleben.“ Abo Omar (55)

Um an sein erklärtes Ziel zu gelangen, scheute Syriens Präsident weder Mittel noch Wege. Der Herrscher bot in der Schlacht um Aleppo alles auf, was er selbst und seine iranischen wie russischen Verbündeten im Arsenal hatten. Raketen, Bunkerbrecher, Streubomben, Giftgas – jede noch so schreckliche Waffe war recht, um den Willen der Gegner zu brechen.

Zu dieser Taktik des Mürbemachens gehörte auch, immer wieder zivile Ziele wie Schulen und Krankenhäuser anzugreifen. Schließlich, am Ende der Gefechte, glich der Osten Aleppos einer ruinenhaften Geisterstadt, in der kaum Stein mehr auf dem anderen stand.

Dann war da noch die Blockade. Einige Monate vor der Eroberung konnten Assads Truppen den Belagerungsring um den Ostteil der Stadt schließen. Schätzungsweise zwischen 250.000 und 300.000 Menschen mussten von diesem Zeitpunkt an ohne nennenswerte Hilfe von außen ausharren.

Inmitten eines zerstörten Hauses in der Altstadt verkauft ein älterer Mann Tischdecken und Schürzen.
Inmitten eines zerstörten Hauses in der Altstadt verkauft ein älterer Mann Tischdecken und Schürzen.
© George Ourflian/AFP

Es dauerte nicht lange, da fehlte alles, was zum Leben notwendig ist: Medikamente, ärztliche Versorgung, sauberes Trinkwasser und Nahrung. Zur Schule zu gehen, das war lebensgefährlich. Wenn überhaupt noch unterrichtet wurde.

Das Leid der verbliebenen Einwohner – unter ihnen befanden sich einige Tausend auch dschihadistisch gesinnte, fanatische Aufständische – nahm über die Monate dramatische Ausmaße an. Stephen O’Brien nannte als Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen Ost-Aleppo eine gigantische "Todeszone".

Zeitweise gab es deshalb sogar Überlegungen, eine Luftbrücke einzurichten, um das Leid der Menschen etwas zu lindern. Wie viele Menschen durch die Kampfhandlungen und diversen Kriegsverbrechen umgekommen sind, weiß niemand genau. Das humanitäre Völkerrecht – es hatte keinerlei Bedeutung. Beide Seiten, Assads Gegner wie dessen Getreue, scherten sich keinen Deut um das Elend der Elenden.

"Meine Familie berichtet immer wieder, dass so wenige junge Männer auf den Straßen zu sehen sind. Nur Frauen und Alte. Offenbar sind die jungen Leute zum Militär eingezogen worden – oder sie sind abgetaucht, um nicht zur Armee zu müssen. Dafür gibt es plötzlich so viele Afghanen, Iraker, Iraner, ja, sogar Tschetschenen. Und meine Familie klagt, dass alles so teuer geworden sei. Kaum jemand kann sich Lebensmittel oder Öl für die Heizung leisten." Mohammad (26)

Und heute? Fallen keine Bomben vom Himmel, gibt es keine Heckenschützen. Der Krieg ist vorbei. Doch seine Folgen sind übereinstimmenden Schilderungen zufolge nach wie vor sichtbar, spürbar und damit allgegenwärtig. So ist die Stadt zweigeteilt.

Im regimenahen Westen scheint mittlerweile ein annähernd normales Leben möglich zu sein. Geschäftsleute bieten ihre Waren an, die Leute schlendern durch die Straßen, die Infrastruktur ist wieder weitgehend intakt. Die verbliebenen Christen, die in Assad ihren Beschützer sehen, fühlen sich befreit. Sie fürchteten den Terror des Islamisten.

Präsident Assad hat Aleppos historischen Bazar wiederherrichten lassen.
Präsident Assad hat Aleppos historischen Bazar wiederherrichten lassen.
© George Ourfalian/AFP

Ganz anders sieht es in Ost-Aleppo aus. Die dortigen Bezirke gleichen immer noch einer riesenhaften Trümmerlandschaft. Christian Schneider von Unicef Deutschland berichtete jüngst, er habe noch nie ein solches Ausmaß an Zerstörung gesehen. Es gebe nur ganz wenige Häuser, die noch intakt seien. Von Wiederaufbau könne kaum die Rede sein. Offenbar sind bisher auch nur wenige Menschen in ihre Heimat zurückgekehrt.

"Durchschnittlich haben wir nur zwei Stunden am Tag Strom. Und der Winter kommt. Viele Einwohner machen sich große Sorgen, dass wir nicht genug Öl und Brennholz auftreiben können, um unsere Häuser warm zu halten." Om Ahmad (48)

Zumeist sind es wohl die Ärmsten, die ohnehin nichts mehr haben. Und jene, die jetzt wieder dort leben, inmitten der zerbombten Häuser und Straßen, brauchen weiterhin umfassend Unterstützung, um irgendwie über die Runden zu kommen. Denn viele klagen, ihnen würden staatliche Dienste wie Wasser- und Stromversorgung vorenthalten, weil sie als Parteigänger der Rebellen gelten. Sie fühlen sich bestraft, bis heute. Und: Immer wieder, so heißt es, verschwinden Menschen spurlos.

"Ich wünschte mir, dass Aleppo wieder so wird, wie es vor der Krise war. Und ich wünsche mir, dass alle Kinder in Sicherheit sind." Wahida (11)

Noch etwas fällt den überwiegend sunnitisch-syrischen Einwohnern Aleppos auf und beunruhigt sie: Immer mehr Fremde sind dauerhaft in der Stadt. Assads schiitische Kämpfer aus dem Libanon, Afghanistan und Irak lassen sich mit ihren Familien nieder.

Anscheinend will das Regime auch ethnisch-demografisch seinen Sieg vor einem Jahr zementieren. Und mit Aleppo ein Zeichen des Machtanspruchs setzen. Ein Zeichen fürs ganze Land.

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