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Antonio Guterres, der neue Generalsekretär der UN.
© dpa

Vereinte Nationen: Die Macht der Zähigkeit

Kritiker der UN übersehen, dass die Welt ohne diese Organisation noch viel tiefer in Krieg und Chaos stecken würde. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Es war eine Entscheidung gegen alle Erwartungen. Denn eine Frau sollte – endlich – an die Spitze der Weltorganisation gewählt werden, so lautete die Forderung, eine Nachfolgerin des Koreaners Ban Ki Moon, der nach zehn Jahren das Amt des UN-Generalsekretärs abgibt. Und wenn schon keine Frau, dann aber gewiss ein Kandidat mit osteuropäischen Wurzeln. Und jetzt? Der Weltsicherheitsrat empfiehlt der Vollversammlung mit 13 von 15 Stimmen Antonio Guterres, den Portugiesen.

Was falsch klingt, ist aber eine Aussage von Wert. Guterres ist Migrationsexperte, er war vormals Chef des UN- Flüchtlingshilfswerks. Seine Wahl ist ein Bekenntnis der Vereinten Nationen, sich der größten Aufgabe zu stellen, die es wohl weltweit im Moment gibt: den Millionen von Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Hunger und Elend eine Perspektive zu geben. Guterres ist dabei kein Schönredner, er ist ein Mann der Tat. Den reichen Nationen, zu denen auch die Ölstaaten am Golf gehören, hat er gerade vorgerechnet, dass ein bitterarmes Land wie der Libanon prozentual mehr Entwurzelte aufnimmt als irgendein anderes Mitglied der UN.

Es ist nachgerade Mode geworden, die Machtlosigkeit der Vereinten Nationen zu beklagen. Die Kritiker übersehen, dass eine globale Institution nur so erfolgreich sein kann, wie es ihre Mitglieder zulassen. Vor allem die einflussreichsten unter ihnen gefallen sich aber immer wieder in Blockadehaltungen. Und das gilt nicht erst heute, da Russland als eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats mit Vetorecht die Wege zu einem möglichen Waffenstillstand in Syrien versperrt. Früher haben die USA das Gremium missbraucht, etwa, als sie den zweiten Irakkrieg mit Saddam Husseins Giftgasfabriken begründeten, wider besseres Wissen, weil es diese Fabriken tatsächlich nicht gab.

Langer Atem

Aber wohlfeile Kritik an der Unzulänglichkeit der UN und der internationalen Diplomatie übersieht, dass die Welt ohne beides vermutlich noch viel tiefer in Krieg und Chaos stecken würde. Durch ihre Zähigkeit bei der Suche nach Kompromissen ebnet sie eben doch immer wieder den Weg zu Lösungen, die die Welt voranbringen. Beispiele gibt es: Zehn Monate nach der Klimakonferenz ist jetzt das Abkommen zum Schutz des Atmosphäre in Kraft getreten; das Europäische Parlament hat das Vertragswerk für die 29 EU-Staaten ratifiziert. In Johannesburg verhandeln die 182 Staaten, die das Washingtoner Artenschutzabkommen unterzeichnet haben, darüber, wie die Zerstörung der Artenvielfalt zu stoppen ist. Und in Brüssel haben sich 75 Staaten auf einer Geberkonferenz darauf geeinigt, das vom Krieg geschundene Afghanistan mit 15,2 Milliarden Dollar in den nächsten vier Jahren zu stabilisieren.

Auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat ihren Nutzen, aber ja doch. Richtig, 19-mal haben Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ihre Positionen dargelegt, ohne sich bisher zu einigen. Aber hier trafen sich eben auch im Spätsommer des Jahres 1989 der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein sowjetischer Kollege Eduard Schewardnadse, und beide einigten sich auf einen Weg in die Freiheit für 4000 DDR-Bürger in der Prager Botschaft der Bundesrepublik. Für die UN braucht man langen Atem. Dann kann es der Atem der Geschichte werden.

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