Union unterstützt Steinmeier als Bundespräsident: Niederlage aus Verantwortlichkeit
Die Unionsparteien CDU und CSU unterstützen bei der Wahl zum Bundespräsidenten den SPD-Kandidaten Frank-Walter Steinmeier. Wie kam es dazu?
- Antje Sirleschtov
- Rainer Woratschka
„Vernunft“ und „Stabilität“ sind zwei Worte, die Sicherheit und Vertrauen ausstrahlen – Angela Merkel hat sie beide am Montag benutzt, um eine Niederlage zu kaschieren – eine Niederlage im Poker um das Amt des nächsten Bundespräsidenten. Als die CDU-Vorsitzende am frühen Morgen die Mitglieder ihres Parteipräsidiums anrief, vernahmen diese eine sachliche und kurze Darstellung der Situation: CDU und CSU hätten keine eigene Mehrheit in der Bundesversammlung, einen eigenen Kandidaten der Union, dessen Wahl auch mit den Stimmen der SPD hätte vorstellbar sein können, habe man wegen zahlreicher Absagen nicht benennen können und einen grünen Kandidaten habe die CSU nicht tragen wollen. Weshalb es nun angeraten sei, den Kandidaten der SPD, Frank-Walter Steinmeier, zu unterstützen.
Von einer „Entscheidung der Vernunft“ habe die Parteichefin gesprochen, erinnern sich später Teilnehmer. Und auch daran, dass die Runde – bis auf zwei Ausnahmen – dieser Lageeinschätzung ihrer Chefin zustimmten. Kein Wahlkampf um das höchste Staatsamt und vor allem: Keine Gefahr, bei der ersten Abstimmung des an Abstimmungen reichen Wahljahres 2017 gleich baden zu gehen.
Genau genommen hatten es die CDU-Oberen bereits erwartet. Armin Laschet aus Düsseldorf und auch der Hesse Volker Bouffier hatten sogar schon bei der Präsidiumssitzung am vergangenen Montag darauf hingewiesen, dass die CDU den Kampf um das Schloss Bellevue nicht wird gewinnen können, weshalb man wenigstens kein unnötiges Risiko einer Niederlage eingehen solle. Noch nicht mal 30 Minuten dauerte das Gespräch der CDU-Führung an diesem Montag, die Telefonrunde danach mit dem gesamten CDU-Vorstand war sogar schon nach 20 Minuten vorbei. Lediglich zwei Präsidiumsmitglieder mochten wohl nicht gleich in das allgemeine Mantra von der „staatspolitischen Verantwortung, die wichtiger ist als parteipolitische Taktik“ einstimmen: Jens Spahn und Wolfgang Schäuble, der Finanzminister. Er ließ sich später mit dem Begriff der „Niederlage“ zitieren, die man in diesem Verfahren habe einstecken müssen. Allerdings wurden Schäubles Worte weniger als Schelte an die Kanzlerin verstanden, denn als Hinweis auf den schlimmen Zustand der Zusammenarbeit von CDU und CSU. Ein Seitenhieb auf Horst Seehofer.
CSU-Chef Horst Seehofer lobte den SPD-Politiker ausdrücklich
Der CSU-Vorsitzende mochte den Namen Steinmeier am Montagmorgen noch nicht in den Mund nehmen. Nach der Vorstandssitzung seiner Partei aber lobte er dann den SPD-Politiker ausdrücklich als „fachlich und persönlich für dieses Amt gut geeignet“. Er sei froh, den Prozess der Kandidatenfindung abgeschlossen zu haben, fügte Seehofer hinzu. Man habe „Verantwortung für das Amt und Land“ – auch wenn das Ergebnis nicht allen parteipolitischen Vorstellungen entspreche. Zudem habe er sich „vorgenommen, dass CDU und CSU hier zusammenbleiben und das nicht zu einem neuen Feld der Auseinandersetzung wird“.
Bis vor Kurzem klang das noch anders. Es könne nicht sein, hatte es bei den Christsozialen geheißen, dass die größte Gruppierung im Bundestag nicht mit einem eigenen Kandidaten antrete. In ihrer Not hatten sie in der Landesgruppe dann sogar wieder den Sozialdemokraten Richard Schröder und die langjährige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth aus dem linken Unionsflügel hervorgekramt. Gleichzeitig war allen das Problem klar. Gegen den beliebten Außenminister bräuchte es, um das Gesicht zu wahren, nicht nur einen Zählkandidaten aus der zweiten Reihe. Da müsste man schon richtig was auffahren – und würde damit dann womöglich trotzdem unterliegen. Deshalb wollten sie in der CSU am Ende selbst ihre Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nicht vorschicken.
Ausschlaggebend für den Ruck, den sich die CSU am Ende gab, war aber etwas anderes: die Angst vor einem schwarz-grünen Signal für die nächste Bundestagswahl. Selbst ein bürgerlicher Grüner wie Baden-Württembergs Regierender Winfried Kretschmann musste aus christsozialer Sicht im höchsten Staatsamt verhindert werden. Man hätte der Bevölkerung nicht begründen können, ein Bündnis mit einer Partei zu schmieden, mit der man „inhaltlich totalen Dissens“ habe, fasste es Seehofer zusammen.
Den Weg zum Ja der Christsozialen geebnet hatte auch eine persönliche Begegnung zwischen Seehofer und Steinmeier am Samstagabend in München. Am Montagmittag gab es dann bei den Bayern kaum noch Gegrummel. Der Vorschlag des CSU-Landrats und Landesvorsitzenden der Kommunalpolitischen Vereinigung, Stefan Rößle, dass Seehofer selber als Kandidat antreten könne, wurde nicht wirklich ernst genommen. Mit der Entscheidung für Steinmeier seien nun „alle grünen Flirts beendet“, sagte CSU-General Andreas Scheuer offenbar erleichtert. Die allgemeine Stimmungslage der CSU-Oberen traf die Bemerkung des früheren Innenministers Hans-Peter Friedrich: „Fern von Euphorie: Aber gut, dann ist wenigstens der schwarz-grüne Albtraum vom Tisch.“