Vorratsdatenspeicherung: Nicht länger als zehn Wochen
Die Bundesregierung unternimmt einen neuen Anlauf in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Was und wie lange soll künftig gespeichert werden? Und sind damit die Vorgaben der Gerichte erfüllt? Ein Überblick.
Es ist ein schwer lösbarer Konflikt. Sicherheitsbehörden und viele Innenpolitiker würden am liebsten alle elektronischen Daten speichern lassen, um sie im Verdachtsfall später auszuwerten und so Verbrechen zu verhindern oder Täter zu überführen. Seit dem Terroranschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris Anfang des Jahres war der Ruf nach einer Vorratsdatenspeicherung ohne konkreten Verdacht zur Terrorabwehr noch lauter geworden. Doch diese Praxis greift in Grundrechte ein. Nun hat Justizminister Heiko Maas (SPD) Leitlinien für eine Vorratsdatenspeicherung präsentiert.
Was plant die Bundesregierung?
Telekommunikationsanbieter sollen künftig Telefon- und Internetdaten zehn Wochen lang speichern. Dabei geht es nicht um die Inhalte, also die tatsächlichen Gespräche oder aufgerufene Internetseiten, sondern um die Rufnummern der Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, IP-Adressen sowie bei Mobilfunk auch die Standortdaten. Die Standortdaten dürfen nur vier Wochen gespeichert werden. Nach Ablauf der Frist müssen die Daten gelöscht werden.
Ob Strafverfolgungsbehörden auf die Daten zugreifen können, entscheidet ein Richter. Betroffene müssen zeitnah informiert werden, doch Ausnahmen von dieser Regel sind möglich. Einzelheiten der Speicherung werden im Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelt. Die Service-Anbieter können entschädigt werden, wenn ihnen durch das Vorhalten der Daten eine "unverhältnismäßige Kostenlast" entsteht.
Bei welchen Delikten sollen die Daten herausgegeben werden?
Der Abruf der Daten ist nur zur Verhinderung und Verfolgung schwerer Straftaten möglich. Darunter fallen keine Eigentums- oder Betrugsdelikte, sondern Terrorismus, Mord und Totschlag, organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Kinderpornografie, Völkermord, Kriegsverbrechen, aber auch Landesverrat. Der Zugriff auf die Daten wird in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Den Ländern soll es ermöglicht werden, den Abruf der Daten in ihren Polizeigesetzen zu regeln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für bestimmte konkrete schwerste Gefahren vorliegen.
Gibt es Ausnahmen?
E-Mails müssen grundsätzlich nicht gespeichert und können folglich auch nicht abgerufen werden. Gleichfalls sollen Berufsgeheimnisträger wie Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Journalisten und Abgeordnete geschützt werden. Auf ihre Daten dürfen die Ermittlungsbehörden nicht zugreifen. Die Daten von Beratungsstellen sind von der Speicherpflicht ausgenommen.
Warum scheiterten frühere Versuche, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen?
2008 wurde in Deutschland die Speicherung von Kommunikationsdaten im TKG eingeführt. Anlass war eine EU-Richtlinie, mit der die Erfassung im Sinne des gemeinsamen Wirtschaftsraums harmonisiert werden sollte. Das Vorhaben war schon damals umstritten. Obwohl die Richtlinie längere Speicherfristen zuließ, wurden sie in Deutschland auf sechs Monate beschränkt. 2010 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen im TKG für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Kritiker sahen sich dadurch in ihrer Meinung bestätigt, die Datenerfassung prinzipiell abzulehnen.
Hat das Verfassungsgericht die Speicherung verboten?
Nein. Es ging nur um die konkreten Regelungen. Eine Speicherung der Verbindungsdaten hielt das Gericht generell für möglich, jedenfalls bis zu einer Höchstfrist von sechs Monaten. Aufgrund der Möglichkeit, Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile zu schaffen, wertete es die Maßnahme jedoch als schweren Grundrechtseingriff. Es sprach auch von Einschüchterungseffekten, die ein derart großflächiges und wenig differenziertes Datenerfassen auslösen kann.
Wie lauteten die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich bereits 2009 aufgrund einer Klage Irlands mit der Richtlinie befasst, dabei jedoch eine mögliche Verletzung von Grundrechten nicht geprüft. Es ging allein um die Kompetenz zum Erlass der Vorschriften. Im April 2014 kippte der Gerichtshof die Richtlinie, nachdem der irische High Court die Frage nach deren Rechtsmäßigkeit erneut aufgeworfen hatte. Der EuGH meinte, die Maßnahmen seien geeignet, bei den Bürgern ein "Gefühl zu erzeugen, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist".
Die Richtlinie war nach Ansicht des Gerichts unverhältnismäßig und erfasse unterschiedslos Personen oder Kommunikationsmittel, ohne Raum für Einschränkungen oder Ausnahmen. Sie sehe zudem keinerlei Kriterien vor, mit denen der Zugriff der Strafverfolger begrenzt würde. Auch die Speicherdauer von sechs Monaten bis zu zwei Jahren sei zu unbestimmt, da im Hinblick auf konkrete Daten und ihre Nutzung Kategorien gefunden werden könnten, um Fristen auf das "absolut Notwendige" zu beschränken.
Gerügt wurde ferner mangelnder Schutz vor Missbrauch. Die Richtlinie führe auch nicht dazu, dass die Daten nach Ablauf der Frist vernichtet würden. Schließlich forderten die Richter, dass die Provider die Daten auf dem Gebiet der EU speichern müssten, da die Datennutzung nur dann wirksam kontrolliert werden könne.
Was sagen die Kritiker?
Die Oppositionsparteien sehen darin einen Verstoß gegen Grundrechte. Maas plane ein "grundgestzwidriges Gesetz, das alle unter Verdacht stellt", rügte Linken-Fraktionsvize Jan Korte. Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von "blinder Datensammelwut", die wahrscheinlich gegen Grundgesetz und Europarecht verstoße. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter begrüßte zwar den Vorschlag grundsätzlich, bemängelte aber, dass die vorgesehenen Speicherfristen von zehn Wochen für IP-Adressen und Telefon-Verbindungsdaten erheblich zu kurz seien. Nötig seien mindestens drei Monate.
Warum glaubt die Bundesregierung, dass ihr neuer Vorschlag nicht gegen Grundrechte verstößt?
Justizminister Maas argumentiert, dass die Daten nach seinem Entwurf für einen kürzeren Zeitraum gespeichert werden sollen als in dem vom Bundesverfassungsgericht verworfenen früheren Gesetz. Zudem seien die Hürden für den Abruf weit höher als in bisherigen Regelungen. Ob Maas damit richtig liegt, werden die Karlsruher Richter voraussichtlich selbst entscheiden: FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat bereits eine Klage gegen das geplante Gesetz angekündigt. Auch die Datenschutz-Bundesbeauftragte Andrea Voßhoff, früher eine Verfechterin des Projekts, wandte sich zuletzt gegen eine Neuauflage. Angesichts der vielen Einschränkungen sei es besser, es zu lassen.
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