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Chinas Präsident Xi diktiert das Geschehen und verbittet sich Kritik aus Europa.
© dpa

Wie man einen Rivalen zähmt: Neun Thesen von Grünen und FDP zum Umgang mit China

Peking exportiert Unterdrückung und Herrschaftsanspruch in andere Länder. Deutschland und die EU müssen ihre Chinapolitik korrigieren. Ein Gastbeitrag

China ist bei den internationalen Gipfeltreffen dieser Tage - G7, Nato, EU-USA, Biden-Putin - nicht präsent, aber der Elefant im Raum. Die Frage "Wie arbeitet man mit einem systemischen Rivalen zusammen?" treibt auch die deutsche Außenpolitik um - und führt zu überparteilichen Vorschlägen. Neun Thesen des grünen Europa-Abgeordneten Reinhard Bütikofer, der auch Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments ist, und des FDP-Bundestagsabgeordneten Olaf in der Beek.

Erstens. Deutschlands Haltung zählt: Wenn es um das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und China geht, scheiden sich die Geister. Die einen sehen China nach wie vor im Wesentlichen als Partner, andere vermehrt als Wettbewerber oder systemischen Rivalen. In Deutschland wird die Debatte über den Umgang mit der aufstrebenden Supermacht bisher eher vermieden als offen geführt. Dabei kommt es für Brüssel, Washington und Peking gerade auf Deutschlands Haltung an.

Zweitens. Falsches Wegducken: Insbesondere im Kanzleramt scheut man sich öffentlich auszusprechen, was seit 2019 gemeinsame EU-Position ist: China ist auch systemischer Rivale. Zu groß ist die Furcht vor vermeintlichen wirtschaftlichen Nachteilen. Diese Haltung des Wegduckens unterminiert nicht nur eine selbstbewusste gesamteuropäische China- und Asien-Strategie, sie schwächt auch Deutschlands Rolle in der Welt.

Drittens. Die Unterdrückung wird exportiert: Dabei steigt der Handlungsdruck. Längst hat China seine Rolle als „Werkbank der Welt“ abgelegt und strebt unverhohlen eine globale Expansion des eigenen repressiven Machtsystems an. Nicht nur nach Innen – man denke etwa an die brutale Unterdrückung der ethnischen Minderheiten in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei – sondern auch nach außen wird die Zunahme der Unterdrückung immer deutlicher.

Inländische Unterdrückungspraktiken enden nicht mehr an den Grenzen Chinas. Darunter zählt auch die Kontrolle von kritischen Diskursen über China. Unliebsame Journalisten und Aktivisten werden selbst in ihren Heimatländern bedroht. Wie sehr China internationale Vereinbarungen und den gemeinsamen Wertekanon von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat missachtet, zeigte sich zuletzt brutal in Hongkong. Doch wer glaubt, dass Chinas territoriale Ambitionen mit der nun endgültigen Einverleibung Hongkongs befriedigt seien, sollte sich der Bedrohungslage der de-facto von Festland-China unabhängigen Insel Taiwan bewusst werden.

Viertens. Schäden durch ökonomische Abhängigkeit: Das geopolitische Machtstreben Chinas beschränkt sich aber nicht allein auf den asiatischen Raum. Die Seidenstraßeninitiative Pekings dient als Vehikel seines globalen Machtstrebens. Entlang der alten Handelsrouten werden nicht nur lange verschüttete Wirtschaftsbeziehungen wiederbelebt, sondern neue Abhängigkeiten geschaffen.

Auf dem Westbalkan und in Afrika zeigt sich überdeutlich, wie gravierend die Folgen sind. Landauf, landab investiert China Milliarden in Infrastrukturvorhaben, Häfen, Flughäfen, Bahnlinien, Energie- und Telekommunikationsversorgung. Insbesondere rohstoffreiche und strategisch bedeutsame Länder Subsahara-Afrikas stehen dabei im Fokus. Ergänzt werden diese Mittel der „Entwicklungszusammenarbeit“ um weitere Milliarden an undurchsichtigen Krediten staatseigener chinesischer Banken, die nach Schätzungen bereits heute rund 40 Prozent der weltweit an Entwicklungs- und Schwellenländer vergebenen Kredite ausmachen.

Die EU wirkt oft wie "lost in translation" und reagiert nur langsam auf Konflikte. Chinas Präsident Xi (oben links) und weiter im Uhrzeigersinn Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die EU wirkt oft wie "lost in translation" und reagiert nur langsam auf Konflikte. Chinas Präsident Xi (oben links) und weiter im Uhrzeigersinn Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
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Diese Milliarden-Investitionen haben einen hohen Preis: die Zinskonditionen treiben immer mehr Länder in finanzielle Abhängigkeiten, während die entstandene Infrastruktur und der Zugang zu Ressourcen die wirtschaftliche und geopolitische Vormachtstellung Chinas zementieren. Nicht selten stützt Peking mit hohen Krediten und Infrastrukturmaßnahmen auch korrupte und autokratische Herrscher und sorgt so auch für eigene Mehrheiten in den Gremien internationaler Organisationen.

Fünftens. Die Lehre aus dem Investitionsabkommen: Dies sollte Anlass zur Sorge sein und in entschiedenes, gemeinsames Handeln der EU münden. Doch noch immer scheint sich die EU selbst im Weg zu stehen. Teilweise blockiert auch eine Haltung geopolitischer Resignation aus Berlin eine gemeinsame europäische Antwort auf Chinas Politik und überlässt Peking kraftlos das Feld. Weiterhin darauf zu hoffen, dass einseitige wirtschaftliche Öffnung und Annäherung zu politischen Veränderungen in China und zu einer Besänftigung des chinesischen Nationalismus oder sogar zu einer Demokratisierung des Landes führen würden, erscheint angesichts der Verstetigung der chinesischen Autokratie in der letzten Dekade mehr als naiv.

Ein Beispiel, warum das reine Primat der Wirtschaftsbeziehungen zu China unter dem Eindruck systemischer Rivalität nicht länger haltbar ist, wenn sich der Westen nicht selbst beschädigen will, bietet das kürzlich abgeschlossene Investitionsabkommen zwischen der EU und China, dessen Ratifizierung aufgrund chinesischer Sanktionen gegen europäische Parlamentarier vom Europäischen Parlament blockiert wird. Zwar macht China in dem Abkommen minimale Zugeständnisse in den Bereichen Marktöffnung, Wettbewerbsgleichheit und nachhaltiger Entwicklung. Von elementare Arbeitsrechtsstandards, Organisationsfreiheit, Tarifvertragsrecht oder einer Abschaffung von Zwangsarbeit will China aber nichts wissen.

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Zudem bleiben wichtige Anliegen unserer Wirtschaft ungelöst: Wettbewerbsneutralität oder ein einheitlicher Investitionsschutz, der faire Zugang zu Beschaffungsmärkten oder der Schutz gegen Willkürmaßnahmen, wie H&M oder Adidas sie vor Kurzem erlebten, finden sich im Abkommen nicht wieder. Wichtiger als das Investitionsabkommen sind daher eigenständige Schritte der EU gegen unfaire Subventionen, die auf unseren Märkten den Wettbewerb verzerren, zur Herbeiführung von Reziprozität bei öffentlichen Ausschreibungen oder zur Verhinderung des Imports von Produkten aus Zwangsarbeit.

Sechstens. Klima und Menschenrechte lassen sich nicht abkoppeln: Die EU muss in den Beziehungen mit China die eigene Analyse vom "Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ gemeinsam realisieren. Wenn wir im wirtschaftlichen Bereich nur auf "win-win" setzen, gewinnt China doppelt. Selbst in der Klimapolitik gibt es Konkurrenz, wie man an der scharfen Kritik Chinas am von der EU geplanten CO2-Grenzausgleichsmechanismus sehen kann. Und schließlich gilt: Handelsbeziehungen und Menschenrechte sind nicht voneinander zu trennen. Baumwolle aus Xinjiang, die in Zwangsarbeit, durch Ausbeutung und Unterdrückung der Uighurinnen hergestellt wird, sollte bei uns keinen Markt haben.

Siebtens. Vergemeinschaftung der Entwicklungspolitik: Im Zuge der nötigen Neuausrichtung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik können EU und Mitgliedstaaten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit werteorientierte Lösungen bieten. Mit der Beschränkung auf das Kleinklein der 27 Mitgliedsstaaten wird die EU weder den Herausforderungen der Entwicklungspolitik gerecht, noch bietet sie eine ernstzunehmende Antwort auf Chinas geopolitisches Machtstreben. Entwicklungszusammenarbeit ist eben kein Elfenbeinturm jenseits der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sie ist das dritte Bein des Schemels.

Indem wir mit Partnerländern weltweit gut zusammenarbeiten und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umsetzen, tragen wir dazu bei, die Basis für ein multilaterales internationales Gefüge gegen hegemoniale Großmachtansprüche zu verteidigen und zu stärken. Das ist in Europas gemeinsamem Interesse. Hierfür braucht es den klaren Willen zu einer stärkeren Vergemeinschaftung der Entwicklungszusammenarbeit.

Achtens. Grenzen aufzeigen, auch wenn es kostet: Die EU muss der Realität ins Auge blicken und China Grenzen aufzeigen, deren Überschreitung mit Kosten verbunden ist. Duckmäuser zu spielen und die eigenen Werte für kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinn zu opfern, ist nur eine illusorische Option. Denn Chinas Perspektive setzt nicht auf Partnerschaft, sondern auf langfristige Dominanz.

Das gilt auch für den großen Bereich der Wirtschaft. Wenn China seine Nachbarn bedroht oder Falschinformationen in Europa verbreitet, muss es Konsequenzen geben, die sich nicht nur auf Stellungnahmen des Hohen Repräsentanten beschränken. Die Anwendung des neuen Menschenrechts-Sanktionsmechanismus der EU gegen hochrangige kommunistische Kader ist ein Schritt in diese Richtung.

Neuntens. Einig sein, Vorbild sein, Kooperation anbieten: Nur eine geeinte Europäische Union wird gegenüber den demokratischen Partnern in der Welt glaubwürdig sein und dem geostrategischen Machtstreben Chinas, das auch auf den weltweiten Export von Autokratie und Unfreiheit abzielt, etwas entgegensetzen können. Neben der Einheit im Inneren der EU braucht es auch ein gemeinsames Auftreten der demokratischen Staaten. Die wiedererwachende transatlantische Partnerschaft ist hierfür zentral.

Um die notwendige Solidarität der Demokratien von Nordamerika bis in den pazifischen Raum mit Leben zu füllen und um unseren Partnern in Asien, Afrika und weltweit ein freiheitliches und menschenwürdiges Gegenmodell zum chinesischen Autokratie-Expansionismus zu bieten, müssen wir aber auch ihnen gegenüber mehr tun. Durch Kooperation mit gleichgesinnten Partnern in Bereichen wie Handel, Technologie und Konnektivität können wir glaubhafte, auf unseren Werten basierende Alternativen schaffen, die für Länder attraktiv sind, die sich durch Chinas Präsenz in die Enge gedrängt fühlen.

Nur so kann der Systemrivale China davon überzeugt werden, dass er seine Ambitionen nicht unbeschränkt ausleben kann. Nur so bieten wir mit Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Freiheit und der regelbasierten internationalen Ordnung eine Alternative zu Unfreiheit und Unterdrückung. Die Instrumente dafür haben wir in der Hand, wir müssen sie nutzen.

Reinhard Bütikofer, Olaf in der Beek

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