Suche nach einem Atommüll-Endlager: Neuer Streit um Gorleben
Die Reaktionen auf den ersten Endlager-Zwischenbericht zeigen, wie viel Sprengkraft die Atomkraft noch immer hat. Die Flanken der Endlagersuche sind zahlreich.
Wie heikel die Phase ist, in der sich die Endlagersuche derzeit befindet, lässt sich erneut an Gorleben beobachten – und ebenso, wie streitträchtig das Verfahren bleibt. Erst vor wenigen Wochen, als die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren ersten Zwischenbericht vorlegte, fiel der Standort aus dem Verfahren.
Die Erleichterung bei Umweltverbänden und Anti-Atomkraft-Initiativen war groß. Aber wohl nicht bei Wolfram König, dem Präsidenten des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base). In der „Süddeutschen Zeitung“ hatte er gesagt, es sei problematisch, dass Gorleben schon im ersten Schritt aus dem Verfahren gefallen sei, noch vor einer Beteiligung der Öffentlichkeit.
Die Erwiderung von den Grünen kam prompt. „Ich hoffe nicht, dass der Präsident des Base das Verfahren nicht verstanden hat, für das er die Aufsicht trägt. Die Endlagersuche folgt wissenschaftlichen Kriterien und nicht der Leitlinie ‚Was belastet und was entlastet das Verfahren‘“, sagte die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl. Nach der Anwendung erster geologischer Abwägungskriterien habe sich der Salzstock Gorleben als schlechter geeignet als andere erwiesen und sei korrekterweise aus der weiteren Standortsuche ausgeschlossen worden, so die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag.
Die BGE wollte die Aussagen des Bundesamtsleiters am Donnerstag nicht kommentieren. Sie setzt wohl auf ihre Belege für das Aus von Gorleben, die sie am Samstag erläutern wird.
Aus dem Bundesumweltministerium (BMU) hieß es: „Das gesamte Standortauswahlverfahren verläuft nach strengen Regeln und Kriterien – wie sie in einem breiten parteiübergreifenden Konsens gesetzlich festgelegt wurden. Daran sind alle gebunden.“ Die im ersten Schritt von der BGE vorgelegten Teilgebiete, die für die weitere Suche in Betracht kommen, enthalten auch die Feststellung, dass Gorleben für diese weitere Suche nicht geeignet sei, so ein Sprecher des BMU. Die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Rahmen für die Teilgebietekonferenz organisiere das Base. „Es muss dabei einen neutralen Rahmen garantieren, in dem alle Meinungen und kritischen Hinweise zu Wort kommen.“
Eine andere Flanke der Endlagersuche: Bayern
Dabei hat die Endlagersuche neben Gorleben bereits einige Flanken. Eine liegt in Bayern. Wie sehr die Haltung der Basis zur Atomkraft die Regierenden beeinflusst, ließ sich vergangene Woche in Niederbayern beobachten. Der Ministerpräsident, Markus Söder war gekommen. Eigentlich sollte es um das 50-jährige Bestehen des Nationalparks Bayerischer Wald und einen grenzübergreifenden Nationalpark gehen.
Doch dort, wo selbst Landräte aus der eigenen Partei und Bürgermeister ein Atommüll-Endlager in der Region ablehnen, kommt Söder an dem Thema nicht vorbei. „Das ist eines der Top-Themen und deswegen sollten wir in der ganzen Region und auch auf tschechischer Seite die Frage diskutieren: ist das der richtige Platz für ein Endlager“, sagte der CSU-Chef in Neuschönau. Lieber wolle er einen der größten Waldnationalparks in ganz Europa schaffen.
Wie breit der Widerstand in den Regionen ist, muss sich aber erst noch zeigen. Die BGE hatte Ende September ihren ersten Zwischenbericht über die Suche nach einem Standort für die hochradioaktiven Abfälle vorgelegt. 1900 Castor-Behälter sollen unter die Erde. Nach geologischen Gesichtspunkten kommt derzeit mehr als die Hälfte des Bundesgebiets in Betracht. Am Wochenende sollen die Ergebnisse des Berichts auf der Fachkonferenz Teilgebiete erstmals mit einer breiteren Öffentlichkeit, Vertretern aus Politik und Wissenschaft, der Kommunen und gesellschaftlichen Gruppen diskutiert werden. Dass es auch dort kritische Wortmeldungen geben wird, liegt nicht fern.
BGE erhält viele Anfragen aus betroffenen Regionen
Neben Bürgermeistern und Landräten aus Bayern, stieß eine mögliche Endlagerung auch bei Politikern in Sachsen auf Ablehnung. So etwa bei den Landräten aus Bautzen, Görlitz und Nordsachsen, allesamt CDU-Politiker, die ein Endlager in der Region schon allein wegen des Strukturwandels und des Kohleausstiegs nicht für geeignet halten. „Das kann man nicht nur geologisch betrachten“, sagte Bautzens Landrat Michael Harig. Es sind Regionen, in denen sich gewachsene Volksparteien auch erstarkter Populisten erwehren müssen. Einige Landräte in Sachsen rechnen damit, dass sich die Bevölkerung gegen die Endlagersuche breit organisieren könnte.
Für die BGE dienten die vergangenen Wochen der Auswertung. Jeweils rund 200 bis 250 schriftliche und telefonische Anfragen aus den Regionen seien seit Veröffentlichung des Zwischenberichts vor zwei Wochen eingegangen, überwiegend von Vertretern von Städten und Gemeinden. Warum derart viele Gebiete mit Formationen aus Tongestein auf den Karten der BGE berücksichtigt seien, warum Gorleben als Salzstock aus dem Verfahren genommen wurde, sei gefragt worden. Einige Akteure reagierten überrascht, dass sich ihre Region geologisch für ein Endlager eigne. Fragen zur Beteiligung stehen für viele nun auf der Tagesordnung.
Fachkonferenz diskutiert Ergebnisse erstmals umfangreich
Der Auftakt zur Fachkonferenz Teilgebiete am 17. und 18. Oktober ist vom Atombundesamt organisiert. Bedingt durch die Pandemie findet die Veranstaltung in Kassel als digitale Konferenz statt, lediglich einige Akteure der Endlagersuche sind vor Ort. Bei drei nachfolgenden Terminen bis Ende Juni des kommenden Jahres soll über die Ergebnisse des Zwischenberichts diskutiert werden. An dieser Form gab es auch Kritik.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnte vor kurzem vor einem Scheitern der Suche und forderte mehr Transparenz und Mitbestimmung für die Menschen. Die Suche nach einem Atommülllager für mindestens eine Million Jahre könne nicht innerhalb eines halben Jahres auf dem Wege weniger Fachkonferenzen durchgepaukt werden, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt.
Rund 650 Menschen hatten sich bis Dienstag angemeldet, wie das Base am Dienstag mitteilte. Knapp die Hälfte davon seien Bürger, 22 Prozent gehörten Gebietskörperschaften an, der Rest entfalle auf Vertreter gesellschaftlicher Organisationen und Wissenschaftler. Jeder Teilnehmer habe die Gelegenheit, über ein Online-Instrument Fragen zu stellen, Anmerkungen zu notieren oder Feedback zu geben. Diese könnten sich auch an Abstimmungen oder Meinungsbildern beteiligen. „Es sind auch Live-Zuschaltungen geplant. Durch die Veranstaltung führt ein Moderator“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.
Für die Art der Beteiligung gab es wenige Tage vor der Fachkonferenz Kritik, etwa von Bürgerinitiativen und der Linken im Bundestag. „Die zuständigen Bundesbehörden riskieren das Scheitern der neuen Atommüllendlagersuche, bevor es überhaupt losgegangen ist", kommentierte der Linken-Abgeordnete Hubertus Zdebel am Donnerstag per Pressemitteilung. „Die Öffentlichkeitsbeteiligung jetzt ausschließlich als Videositzung trotz aller Corona-Einschränkungen und weiterer Mängel zu starten, ist falsch“, so Zdebel.