Wohin mit dem Atommüll?: Es wird unruhig in der Endlagersuche
Kurz bevor bei der Endlagersuche Namen geeigneter Regionen benannt werden, fällt der Blick auf Bayern. Doch es gärt auch andererorts. Ein Überblick.
Wie fragil der Konsens um die Atommüll-Endlager-Suche ist, zeigt ein Blick nach Bayern. Erst vor wenigen Tagen stellte der Umweltminister des Freistaats, Thorsten Glauber (Freie Wähler), das Verfahren infrage. „Dieser Prozess wird über Jahrzehnte in Deutschland für Unruhe sorgen und Milliarden kosten“, sagte er. Dabei gebe es mit Gorleben einen gut erkundeten Standort für ein sicheres und fast schlüsselfertiges Endlager. Man habe „nur aus politischen Gründen den Schlüssel abgezogen“. Ausgerechnet Gorleben also, der Standort, der mehrere Jahrzehnte einen breiten Widerstand erfuhr.
Der Zeitpunkt der Aussagen war heikel. Wenn die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) an diesem Montag ihren ersten Zwischenbericht vorlegt, werden erstmals wieder Regionen genannt, die sich für ein Endlager eignen. Salz-, Ton- und Granitgestein kommen als geologische Formationen in Betracht. Seit die Politik die Suche neu startete, gilt zudem die sogenannte „weiße Landkarte“ – kein Standort in Deutschland ist ausgenommen. Dutzende Regionen, vielleicht knapp 100, werden wohl weiter betrachtet, wenn die BGE im ersten Schritt zunächst ungeeignete Gebiete ausschließt. Zahlreiche Bundesländer werden betroffen sein – scheren sie aus, droht die Suche zu scheitern.
Starke Kritik an Bayern aus dem Norden
Wie sich Bayern zum ersten Zwischenbericht positioniert, war in der Politik lange mit Sorge betrachtet worden. Immerhin hatten sich CSU und Freie Wähler 2018 in den Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus. Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“
Die Kritik daran war gewaltig. Und auch nun folgte prompt Widerspruch auf die Worte aus Bayern. Die Umweltminister in Niedersachsen, Olaf Lies (SPD), und in Schleswig-Holstein, Jan Philipp Albrecht (Grüne), die beide mit potenziellen Standorten in ihren Bundesländern rechnen, mahnten die Einhaltung des Verfahrens an.
Zu seiner öffentlichen Positionierung teilte Glauber auf Anfrage wenig später mit: „Die Sicherheit steht an erster Stelle. Hier dürfen aus politischen Gründen keine Abstriche gemacht werden. Sicherheit heißt, dass das Gestein selbst die notwendige Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren bietet.“ In seinen Augen wäre es sinnvoller gewesen, den Standort Gorleben weiter zu untersuchen. „Hier sind bereits rund 1,6 Milliarden Euro investiert worden“, sagte Glauber.
Die Grünen stehen zum Verfahren - beinhaltend Gorleben
Es gärt allerdings auch anderenorts. Bürgerinitiativen und Vereine wie „Ausgestrahlt“ stehen dem Verfahren ohnehin äußerst kritisch gegenüber. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnte gerade erst vor einem Scheitern der Suche und forderte mehr Transparenz. Kritische Wissenschaftler und Umweltverbände würden nicht ausreichend einbezogen, die Öffentlichkeitsbeteiligung komme zu kurz. „Betroffenheit wird zu einer Politisierung der Regionen und zu Widerständen führen. Wenn das weitere Verfahren hier keine gleichberechtigte, sachliche und ausgewogene Debatte zulässt, dann besteht die Gefahr einer Zersetzung des weiteren Prozesses“, sagte BUND-Vorsitzender Olaf Bandt am vergangenen Mittwoch.
Der BUND stellte sich stets gegen einen Verbleib von Gorleben im Verfahren. Die Grünen sehen das anders, auch wenn ihr Augenmerk vor allem Abweichlern wie Bayern zufällt. Denn sie stehen zum Verfahren: Das Prinzip der „weißen Landkarte“ habe den Suchprozess erst ermöglicht, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann am vergangenen Mittwoch in einem Pressegespräch. Er habe zugestimmt, obwohl seine Partei Gorleben als Standort strikt ablehne.
Kretschmanns Positionierung ist keine leichte in einem Land, das im März 2021 einen neuen Landtag wählt. Sollte auch Baden-Württemberg mögliche Standortregionen aufweisen, könnte diese Haltung noch einer Belastungsprobe ausgesetzt werden. Angesprochen auf seinen Kollegen Söder sagte er, dass ein Gespräch zu zweit vielleicht keine schlechte Idee sei.
Ein Manko könnte die öffentliche Datengrundlage werden
Zugeschaltet im Pressegespräch war auch Robert Habeck, Chef der Grünen: „Wenn der sicherste Standort am Ende in Schleswig-Holstein ist, dann ist er halt in Schleswig-Holstein“, sagte der ehemalige Umweltminister des Landes. Er kritisierte, dass Bayern sich „aus der Verantwortung stehle“. Das sei ein schwer erträgliches Ausmaß an „nationaler Verantwortungslosigkeit“ – ein Eindruck, den Markus Söder (CSU) derzeit wohl nur schwer erwecken möchte. Der bayerische Ministerpräsident kann sich ein Ausscheren bei der Endlagersuche derzeit nicht leisten. Das Verfahren wurde im Konsens aller 16 Bundesländer beschlossen.
Wenn er Kanzlerkandidat der Union werden möchte, was derzeit allerdings noch nicht absehbar ist, wird er sich nicht hinter einen Alleingang des Freistaats stellen können.
Ein Manko des Berichts könnte seine öffentliche Datengrundlage sein. Nicht alle Daten, die zu Entscheidungen führen, können veröffentlicht werden. Das Geologiedatengesetz, das ihre Veröffentlichung regelt, ist erst wenige Monate in Kraft, viele Daten konnten bislang nicht kategorisiert werden.
Ein weiterer Grund: Trotz Inkrafttretens des Gesetzes werden jüngere und qualitativ wertvolle Daten privater Eigentümer geschützt. Darunter fallen etwa komplexe 3-D-Modelle des Untergrunds, die von Bergbaufirmen erstellt wurden. Sie können nur mit Einwilligung des Eigentümers veröffentlicht werden. Daten, die nicht veröffentlicht werden können, werden im Bericht wohl geschwärzt sein – ein Mangel an Transparenz und ein Einfallstor für Abweichler.
Die Opposition im Bundestag baut nun bereits für den Fall vor, dass Bayern sich ungeachtet des wissenschaftlichen Verfahrens gegen das Ergebnis des Zwischenberichts stellt. „Bayern hat das Standortauswahlgesetz genauso wie alle anderen Länder unterschrieben und sich zu dieser ergebnisoffenen Endlagersuche verpflichtet“, sagte Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl dem Tagesspiegel. „Als ein großer Produzent von Atomkraft darf sich Bayern nicht bei der Verantwortung aus dem Staub machen“, sagte die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag.