„Mit der Wurzel ausrotten“: Neuer Machthaber im Sudan kündigt Bruch mit altem Apparat an
Nach dem Putsch im Sudan gibt es einen weiteren Wechsel an der Staatsspitze. Allerdings folgt ein Militär auf den anderen. Die Sudanesen protestieren weiter.
Zwei Tage nach dem Sturz des langjährigen Staatschefs Omar al Baschir hat der neue Militärführer im Sudan Zugeständnisse an die Demonstranten gemacht und einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Herrschaftssystem angekündigt. General Abdel Abdel Fattah al Burhan Abdulrahman versprach in seiner ersten Fernsehansprache die Freilassung politischer Gefangener sowie den Machtapparat des gestürzten Baschir „mit der Wurzel auszurotten“. Die Anführer der Massenproteste, die zum Sturz des langjährigen Staatschefs geführt hatten, forderten indes eine schnelle Machtübergabe an eine zivile Regierung.
Die Verantwortlichen für den Tod von Demonstranten bei den Protesten sollten vor Gericht gestellt werden, kündigte Burhan an. Die nächtliche Ausgangssperre werde aufgehoben, bekräftigte er. Burhan hatte erst am Freitag die Führung des Militärrats übernommen, nachdem der ehemalige Verteidigungsminister und Vizepräsident Awad Ibn Auf nach nur 24 Stunden von dem Posten zurückgetreten war.
„Dies ist zum Wohle unserer Nation“, sagte Ibn Auf am Freitagabend in einer kurzen Fernsehansprache. Der ehemalige Verteidigungsminister ernannte Burhan zu seinem Nachfolger. Der Generalinspekteur war bislang die Nummer drei der sudanesischen Streitkräfte nach dem Verteidigungsminister und dem Armeechef.
Die neuen Machthaber versicherten bereits am Freitag, die Macht bald an eine zivile Regierung abzugeben. Burhan erklärte bei einer Pressekonferenz zudem, dass die Ausgangssperre wieder aufgehoben sei. Sein Vorgänger hatte eine Ausgangssperre für einen Monat von 22 bis 4 Uhr verhängt.
Auf den Straßen der Hauptstadt Khartum wurden die Ankündigungen gefeiert. Ein wichtiges Oppositionsbündnis kündigte jedoch weitere Demonstrationen an. An der Sitzblockade vor der Zentrale der Streitkräfte in der Hauptstadt Khartum und Aktionen in anderen Städten werde festgehalten, bis die Macht komplett an eine zivile Übergangsregierung übergeben worden sei, erklärte das gewerkschaftliche Bündnis SPA in der Nacht zum Samstag.
Die neue Führung sei nicht bereit, etwas zu verändern, hatte die SPA bereits am Freitag erklärt. Den Machthabern seien die friedlichen Forderungen nach einer sofortigen Übergabe der Macht an eine zivile Übergangsregierung egal. Aus Oppositionskreisen verlautete, al Burhan, werde sich noch am Samstag mit Anführern der Protestbewegung treffen.
Ibn Auf war erst am Donnerstagabend als Präsident des Übergangsrates vereidigt worden und damit faktisch auf Omar al Baschir gefolgt, der nach fast 30 Jahren als Präsident des Landes am Donnerstagmorgen für abgesetzt erklärt und festgenommen worden war. Ibn Auf war vor dem Putsch Vizepräsident und Verteidigungsminister und hatte jahrelang an Al Baschirs Seite gearbeitet.
Am Samstag trat auch der Leiter des gefürchteten sudanesischen Geheimdienstes zurück. Al Burhan, habe die Abdankung von Salih Ghosch angenommen, erklärte die neue Führung des Landes. Ghosch hatte in den vergangenen Monaten das brutale Vorgehen des Nationalen Geheim- und Sicherheitsdienstes (Niss) gegen die Proteste in dem ostafrikanischen Land beaufsichtigt. Dutzende Demonstranten wurden getötet, tausende Aktivisten, Oppositionelle und Journalisten wurden festgenommen.
Übergangsrat will zwei Jahre im Amt bleiben
Der Übergangsrat soll dem Militär zufolge zwei Jahre im Amt bleiben und Wahlen vorbereiten. Die Opposition, die mit ihren Straßenprotesten zum Sturz Al Baschirs beigetragen hatte, drängt aber auf einen schnelleren Wandel. Oppositionsgruppen hatten den Putsch verurteilt und eine zivile Übergangsregierung gefordert.
Am Freitag hatten erneut Tausende Menschen mit einer Sitzblockade vor der Militärzentrale in Khartum protestiert, wie ein dpa-Reporter berichtete. Auch aus dem Ausland gab es etliche kritische Stimmen. „Ich rufe die Regierung auf, auf die Forderungen der Menschen einzugehen“, sagte UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet.
Vor der Rücktrittsankündigung Ibn Aufs hatte die Militärführung Kritik an ihrer Machtübernahme zurückgewiesen und versprochen, möglichst bald einer zivilen Regierung Platz zu machen. Die Streitkräfte hätten „überhaupt keine Ambitionen, an der Macht festzuhalten“, sagte Omar Sain al-Abdin, der Leiter des politischen Gremiums der Militärregierung.
Das Militär werde während der Übergangsphase lediglich für Sicherheit und Stabilität sorgen. „Ich schwöre, wir werden die Forderungen der Menschen unterstützen“, versprach er vor Journalisten. Die Lösungen der Probleme im Sudan müssten von den Menschen selber kommen, sagte Al Abdin. Die Sudanesen müssten die politische Zukunft des Landes gestalten. „Wir werden uns nicht einmischen.“ Das Militär habe „keine Ideologie“. Er bat die Menschen im Sudan, sich hinter die Streitkräfte zu stellen.
In New York beschäftigte sich am Freitag (Ortszeit) der UN-Sicherheitsrat bei einer Sitzung hinter verschlossenen Türen mit den Ereignissen in dem Land. Es müsse einen glaubhaften, inklusiven politischen Prozess hin zu einem demokratischen Übergang geben, sagte der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen, der derzeit turnusgemäß den Vorsitz im Rat innehat, nach der Sitzung. Ein weiteres Treffen des Rates zu dem Thema könne möglicherweise bereits am Montag stattfinden.
In den Monaten vor dem Putsch hatte es Massenproteste gegen die Politik des seit 30 Jahren regierenden Al Baschir gegeben. Das Militär führte diese als Rechtfertigung ihrer Machtergreifung an und stellte Al-Baschir als Machthaber dar, der kein Ohr mehr für die Probleme der Menschen gehabt habe. Die Staatsführung habe mit Gewalt reagieren wollen und jegliche politischen und wirtschaftlichen Probleme ignoriert, sagte Al Abdin. Deshalb habe man entschieden, dass „eine Veränderung stattfinden muss“.
Ibn Auf hatte für drei Monate den Ausnahmezustand verhängt und eine Ausgangssperre angeordnet. Zudem erklärte er das Parlament und andere staatlichen Institutionen für aufgelöst. Die Justiz soll aber weiterarbeiten. Al Baschir im Sudan der Prozess gemacht werden. Eine Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der ihn wegen Massakern im Westsudan während der Darfur-Kriege sucht, lehnt das Militär ab.
Die Denkfabrik International Crisis Group (ICG) warnte vor Instabilität im Land. „Sollte im Sudan Chaos ausbrechen, könnten sich die Unruhen auf andere Länder ausbreiten“, hieß es. Das Militär sollte Gewalt gegen Demonstranten vermeidenund den Plan einer zweijährigen, außerkonstitutionellen Militärherrschaft überdenken.
Auslöser der Massenproteste war im Dezember eine Erhöhung der Benzin- und Brotpreise gewesen. Der Sudan mit rund 41 Millionen Einwohnern gehört zu den 25 ärmsten Länder der Welt und befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Seit vorigem Samstag spitzten sich die Demonstrationen mit einer Sitzblockade Zehntausender vor der Militärzentrale und Residenz Al Baschirs in Khartum zu. Tausende wurden festgenommen. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros kamen bei den Protesten seit Dezember bis zu 70 Menschen ums Leben. (dpa, AFP)
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