Scottish National Party gibt nicht auf: Neue Regierungschefin Sturgeon: „Schottland wird unabhängig“
Die neue schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon setzt trotz des gescheiterten Referendums vom September weiter auf die Unabhängigkeit der Region. Bundestagsabgeordnete, die derzeit auf Großbritannien-Besuch sind, schließen eine Wiederholung des Unabhängigkeits-Referendums nicht aus.
An seinem letzten offiziellen Termin im Amt des schottischen Ministerpräsidenten dürfte Alex Salmond nicht viel Freude gehabt haben. Am Dienstagabend besuchte der 59-Jährige im Glasgower "Celtic Park" das Fußball-Testspiel zwischen Schottland und England. Salmond musste zusehen, wie Wayne Rooney und und Alex Oxlade-Chamberlain den Schotten eine 1:3-Niederlage bereiteten.
Allerdings ist Salmond noch viel größeren Kummer gewöhnt: Die größte politische Niederlage seines Lebens erlitt er am 18. September, als sich die Schotten gegen seinen Willen per Referendum für einen Verbleib beim Vereinigten Königreich aussprachen. Doch dies ist möglicherweise noch nicht das letzte Wort in der Saga der schottischen Unabhängigkeitsbestrebung - das ist zumindest der Eindruck einer deutschen Bundestagsdelegation, die in diesen Tagen Großbritannien besucht.
Bundestagsabgeordnete auf Erkundungs-Tour in Großbritannien
Die Parlamentarier um den CDU-Mann Gunther Krichbaum, der den EU-Ausschuss des Bundestages leitet, statten ihren Besuch auf der Insel während einer politisch aufgeheizten Phase ab. In England herrscht Wahlkampfstimmung, weil am Donnerstag eine wichtige Nachwahl stattfindet. Dabei könnte die EU-feindliche Partei Ukip ihren zweiten Sitz im Londoner Unterhaus erobern. Gleichzeitig wurde am Mittwochnachmittag die 44-jährige Nicola Sturgeon vom Regionalparlament in Edinburgh zur Nachfolgerin von Alex Salmond und damit zur neuen schottischen Ministerpräsidentin gewählt. Beide Vorgänge - die wachsende Europhobie in England und die geplatzten Unabhängigkeitsträume in Schottland - hängen unmittelbar zusammen. Sie könnten sogar in eine Neuauflage des Schottland-Referendums münden.
Seit Sonntag führen Kirchbaum und seine Kollegen von Union, SPD und Grünen Gespräche mit Parlamentariern des Unterhauses in London und des schottischen Regionalparlaments in Edinburgh. Zu Beginn des Besuches ging es in London noch einmal in einer intensiven Diskussion um den Streit über die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, den der britische Regierungschef David Cameron beim letzten EU-Gipfel vom Zaun gebrochen hatte. Krichbaum berichtete am Ende seiner Gespräche im Königreich, er habe den britischen Abgeordneten in London mit „deutlichen Worten“ klargemacht, dass er nichts von Camerons Überlegung hält, die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU einzuschränken. Der britische Regierungschef hatte die Idee ins Spiel gebracht, die Zuwanderung von gering qualifizierten Immigranten aus anderen EU-Ländern zu begrenzen und damit Widerspruch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geerntet.
Ukip-Kandidat droht mit Ausweisung von EU-Ausländern
Die harte Linie Camerons dient offenkundig dem Ziel, den Vormarsch der Ukip zu stoppen. Deren Kandidat für die am Donnerstag bevorstehende Nachwahl in Rochester, der von den Konservativen übergelaufene Mark Reckless, verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass einige Einwanderer aus EU-Staaten das Land wieder verlassen müssten, wenn die Ukip in London an die Macht käme – worauf Reckless von der Ukip-Führung wieder zurückgepfiffen wurde.
In diesem Klima ist Camerons Plan entstanden, im Fall eines Wahlsieges bei den im Mai bevorstehenden Unterhauswahlen im Jahr 2017 ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU abzuhalten. Nach den Worten des Bundestagsabgeordneten Krichbaum deuteten Meinungsumfragen derzeit nicht darauf hin, dass sich die Briten 2017 tatsächlich mehrheitlich gegen die EU aussprechen würden.
Allerdings erreicht die politische Temperatur in Großbritannien den Siedepunkt, wann immer die Diskussion auf die gestiegenen Einwandererzahlen kommt. Das zeigt auch der jüngste Vorschlag der oppositionellen Labour-Partei, arbeitslosen EU-Ausländern erst nach zwei Jahren Arbeitslosenhilfe zu gewähren.
Angesichts der aufgeheizten Einwanderungsdebatte sind tragfähige Prognosen über den Ausgang eines EU-Referendums derzeit kaum möglich. Sollte bei einem EU-Referendum auf der Insel eine Mehrheit gegen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu Stande kommen, stünde die Regierung in London dann voraussichtlich mit einem zweifachen Problem da: Sie müsste den Abschied vom Europa-Club organisieren – und ginge gleichzeitig das Risiko eines Zerfalls des Vereinigten Königreiches ein. Für die mehrheitlich pro-europäischen Schotten würde ein „Nein“ zur EU den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ im Verhältnis zu Westminster bedeuten, sagte Krichbaum. Mit anderen Worten: Sollten die Engländer 2017 „Nein“ und die Schotten „Ja“ zur EU sagen, stünde damit unweigerlich eine Neuauflage eines schottischen Unabhängigkeitsreferendums auf der Tagesordnung. Langfristige könnte das dazu führen, dass England zwar nicht mehr der EU angehört, dafür aber ein unabhängiges Schottland. Allerdings schränkte Krichbaum ein: „Im Fall einer Abspaltung bliebe Schottland nicht automatisch Mitglied der EU, sondern müsste Neuverhandlungen führen.“
Das Zerfalls-Szenario: Ein unabhängiges Schottland bleibt EU-Mitglied, England scheidet aus
Dass das Szenario einer rein schottischen EU-Mitgliedschaft angesichts der Vehemenz, mit der Cameron seine Referendums-Pläne für 2017 vorantreibt, nicht mehr völlig auszuschließen ist, glaubt auch Manuel Sarrazin. Der Grünen-Abgeordnete gehört ebenfalls zu der Bundestagsdelegation, die sich gerade in Großbritannien umhört. Zahlreiche Gesprächspartner in Edinburgh hätten den Wunsch geäußert, dass das Vereinigte Königreich auch weiterhin in der EU bleibe, berichtete Sarrazin.
CDU-Mann Krichbaum: London und Edinburgh im konstruktiven Dialog über Zukunft des Landes
Nach der Einschätzung des CDU-Mannes Krichbaum führen die Schotten mit der Zentrale in London derzeit einen „sehr konstruktiven Dialog“ über die Konsequenzen aus dem Unabhängigkeitsreferendum vom 18. September. Anfang kommenden Jahres will eine vom ehemaligen BBC-Direktor Lord Smith of Kelvin geleitete Kommission Gesetzesvorschläge vorlegen, wie Schottland auch innerhalb des Vereinigten Königreiches noch größere Autonomie erlangen kann.
Die Scottish National Party (SNP), die bis vor kurzem noch von Alex Salmond geführt wurde, will sich allerdings nicht mit dem Ausgang des Unabhängigkeitsreferendums vom vergangenen September abfinden. Bei ihrer ersten Rede als SNP-Vorsitzende erklärte Salmonds Nachfolgerin Nicola Sturgeon am vergangenen Samstag in Perth, eines Tages werde ihre Partei den Kampf um die Unabhängigkeit der Region gewinnen. „Schottland wird ein unabhängiges Land sein“, sagte sie. Cameron könnte dabei ungewollt zum wichtigsten Verbündeten von Nicola Sturgeon und ihren Mitstreitern werden.
Albrecht Meier