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Es bleibt bei der seit 1707 bestehenden Vereinigung zwischen England und Schottland.
© dpa

Schottland-Referendum: Ein Sieg der schweigenden Mehrheit

Der Ausgang des Referendums in Schottland zeigt, dass eine Mehrheit der Menschen im Norden der Insel das Zusammenleben mit den Engländern doch nicht als so schlimm empfindet - auch wenn die "Scottish National Party" das anders sieht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Die schweigende Mehrheit in Schottland hat gesprochen. Die Gegner der Unabhängigkeit erschienen bis zum Freitagmorgen wie eine verschreckte Minderheit: In den sozialen Netzwerken waren sie leiser als die „Ja“-Sager. Auf den Straßen von Glasgow und Edinburgh blieben sie in der historischen Wahlnacht, anders als die Abspaltungsfreunde mit den weißen Andreaskreuz-Fahnen auf hellblauem Grund, eher eine Randerscheinung. Auch ihre „better together“-Kampagne hatte oft etwas Verdruckstes, blieb ohne Strahlkraft. Und doch hat sich eine überraschend deutliche Mehrheit der Menschen in Schottland dafür ausgesprochen, dass sie lieber weiter im Vereinigten Königreich bleiben wollen als sich auf die ungewisse Reise in die Unabhängigkeit zu begeben.
Der Ausgang des Referendums zeigt, dass es in Schottland eine Mehrheit gibt, die von der Aussicht, bis auf weiteres von den Konservativen im Unterhaus regiert zu werden, weniger abgeschreckt wird als von den Unwägbarkeiten der Eigenstaatlichkeit: So schlimm ist die vermeintliche Unterdrückung durch die Engländer in den Augen der schweigenden Mehrheit offenbar doch nicht.

Schotten sind mit ihren politischen Rechten ganz zufrieden

Das Ergebnis der Volksabstimmung offenbart auch, dass viele Schotten mit der Dezentralisierung der politischen Macht in Großbritannien gar nicht so unzufrieden sind. Der Prozess der „devolution“ war in den Neunzigerjahre vom damaligen Premierminister Tony Blair angestoßen worden und hat den Schotten Rechte beschert, von denen andere Regionen in Europa nur träumen können. Wenn das schottische Regionalparlament wollte, könnte es sogar andere Sätze bei der Einkommensteuer beschließen als im Rest des Vereinigten Königreichs.

Cameron, Clegg und Miliband in der Dezentralisierungs-Falle

Und dabei wird es wohl nicht bleiben: Die Ankündigung des britischen Regierungschefs David Cameron, mit den Schotten über eine Ausweitung ihrer Machtbefugnisse zu verhandeln, zeigt, dass sich das politische Establishment in London in der Dezentralisierungs-Falle befindet. Cameron, Labour-Parteichef Ed Miliband und der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Nick Clegg, hatten auf dem Höhepunkt der Referendumskampagne mit ihrem Besuch in Schottland signalisiert, dass die Dezentralisierung im Vereinigten Königreich noch nicht an ihr Ende gekommen ist. Nun werden die drei möglicherweise versuchen, die Geister, die sie gerufen haben, irgendwie wieder in die Flasche zu bekommen. Unvermeidlich wird nun auch in England die Frage aufkommen: Wenn Schotten, Nordiren und Waliser sich selbst verwalten können, warum dürfen wir das dann nicht auch?

Salmond stehen harte Zeiten bevor

Noch viel größer ist hingegen das Problem, das seit Freitagmorgen Alex Salmond hat. Für den Chef der „Scottish National Party“ ist die Unabhängigkeit Schottlands ein politisches Lebensziel – es ist nun auf absehbare Zeit unerreichbar. Salmonds Partei ist seit den ersten Wahlen zum schottischen Regionalparlament 1999 beständig stärker geworden. Zudem hat es der Ministerpräsident aus Edinburgh geschafft, die SNP vom Geruch der rückwärtsgewandten Nostalgie zu befreien und in eine moderne Partei zu verwandeln. Die SNP-Anhänger werden sich nach dem verlorenen Referendum nun fragen, worin die Daseinsberechtigung ihrer Partei jetzt noch bestehen soll. Salmond stehen schwierige Tage bevor, auch wenn er sich nach dem Referendum kämpferisch zeigte. Er hat erklärt, trotz des „Nein“ werde es nun kein „Business as Usual“ im Miteinander zwischen Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreiches geben. Aber auch ihm selbst dürften unruhige Tage bevorstehen.

Die EU bleibt von Verwerfungen im Inneren verschont

Aber die Auswirkungen des Referendums reichen weit über Schottland hinaus. Während die politische Landschaft in Großbritannien sich weiter verändern wird, bleibt die gesamte EU bis auf Weiteres von größeren Verwerfungen im Inneren verschont. Mit dem Negativ-Szenario eines Referendums über die Europäische Union in einem von der EU-feindlichen Ukip-Partei stark beeinflussten „Rumpf-Britannien“ im Jahr 2017 müssen sich die Strategen in Brüssel nun nicht mehr befassen. Aber auch so hat die EU schon Probleme genug: Das Dauerthema der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit im Weltmaßstab, neue Bedrohungen von außen wie der „Islamische Staat“ und die neue Eiszeit mit Russland. Die Aussicht auf einen möglichen Ausstieg „Rumpf-Britanniens“ aus der EU hätte da gerade noch gefehlt. Nicht zuletzt in der Außenpolitik hat Großbritannien als Mitglied im UN-Sicherheitsrat der EU viel zu bieten. Es ist gut, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

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