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Ein Freund der arabischen Minderheit? Damit wirbt Netanjahu für sich.
© Amir Cohen/Reuters

Wahlen in Israel: Netanjahu spielt die arabische Karte

Am Dienstag wird in Israel gewählt - und Premier Netanjahu versucht, bei der arabischen Minderheit zu punkten. Kann das gelingen?

Israels Wahlkampf hat eine neue Hauptperson: Abu Yair. „Wir alle sind mit dir, Abu Yair“, versprechen Wahlplakate für die rechte Likudpartei in arabischen Schriftzeichen. Darüber schaut ein überlebensgroßer Benjamin Netanjahu mit entschlossenem Blick in die Ferne.

„Abu Yair“ bedeutet „Vater Yairs“, nach der arabischen Sitte, Männer als Vater ihres ältesten Sohnes anzusprechen. Yair ist der Sohn des israelischen Ministerpräsidenten. Die Plakate, in etlichen arabischen Städten zu finden, sind Teil einer ungewöhnlichen Kampagne, mit der Netanjahu um arabische Wähler wirbt.

Morgen stehen in Israel Parlamentswahlen an, die vierten innerhalb von zwei Jahren. Wie schon nach den vergangenen drei Wahlgängen dürfte die Koalitionsbildung schwierig werden: Keiner der beiden Parteienblöcke kommt Umfragen zufolge auf eine Mehrheit.

Zwar bleibt Netanjahus Likud mit 30 prognostizierten Mandaten stärkste Kraft. Doch ihre traditionellen Koalitionspartner aus dem rechts-religiösen Spektrum stehen zu schwach da, um ihm die nötige Mehrheit von 61 Sitzen zu beschaffen.

Auch deshalb wirbt der Premier um die Gunst der arabischen Minderheit, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht – ebenjener Netanjahu, der in früheren Wahlkämpfen gewarnt hatte, arabische Wähler würden „in Scharen“ zu den Urnen strömen. Nun tourt er durch arabische Städte, trifft ihre Bürgermeister und lässt sich in Beduinenzelten beim Kaffeetrinken mit Stammesältesten ablichten.

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Die arabische Minderheit will politischen Einfluss nehmen

Viele beobachten die Kampagne mit Spott, andere mit Empörung. „Die arabische Öffentlichkeit lässt sich von Benjamin Netanjahus plötzlichem Interesse an unserer Gemeinde nicht täuschen“, sagt Yousef Jabareen, Abgeordneter des arabischen Parteienbündnisses „Gemeinsame Liste“.

Das Erstaunliche an der Kampagne ist jedoch weniger, dass es sie gibt – Netanjahu ist für seine politische Wendigkeit bekannt, zumal zu Wahlkampfzeiten –, sondern vielmehr, dass sie zu funktionieren scheint: Zwei Mandate könnten arabische Wähler dem Likud verschaffen, mehr als je zuvor, sagt der arabische Politologe Thabet Abu Rass, Co-Geschäftsführer der Abraham Initiatives, einer Nichtregierungsorganisation.

„Mehr und mehr Araber aus der Mittelschicht wollen am politischen Prozess teilhaben“, erklärt er. Und der kürzeste Weg zu Macht und Einfluss führt nun mal über die größte Partei.

Am Wochenende protestierten wieder Tausende gegen Premier Netanjahu. Sie fordern seinen Rücktritt.
Am Wochenende protestierten wieder Tausende gegen Premier Netanjahu. Sie fordern seinen Rücktritt.
© Ammar Awad/Reuters

Selbst wenn es Netanjahu gelingen sollte, eine Rekordzahl arabischer Wähler zu überzeugen, bleibt der Weg zur Macht jedoch steinig. In jedem Fall müsste er die rechte Yamina-Partei als Partner gewinnen, deren Vorsitzender Naftali Bennett eine harte Kampagne gegen den Premier fährt und sich eine Kooperation wohl teuer bezahlen lassen würfe. „Bennett wird sehen müssen, was er von Netanjahu bekommen kann“, sagt Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

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Einiges wird davon abhängen, wer den Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde schafft. Links der Mitte kämpfen gleich mehrere Parteien um ihr parlamentarisches Überleben.

Doch ohnehin entscheidet weniger die klassische Rechts-Links-Teilung über mögliche Bündnisse als vielmehr die Haltung zum Premier: Im Anti-Netanjahu-Lager finden sich rechte Kräfte wie Tikwa Chadasha (Neue Hoffnung) und Israel Beitenu (Unser Haus Israel), die in mancher Hinsicht weiter rechts stehen als der Likud, ebenso wie linke und arabische Parteien.

Tausende protestieren gegen Netanjahu

Wie umstritten der Langzeit-Premier ist, zeigte sich erneut am vergangenen Wochenende: Zehntausende versammelten sich in Jerusalem und anderen Städten, um seinen Rücktritt zu fordern. Seit Monaten schon protestieren Netanjahu-Gegner im Wochentakt gegen den Premier, der sich wegen Verdacht auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten muss.

Umfragen zufolge rechnen die meisten Israelis trotz allem damit, dass Netanjahu Regierungschef bleibt – auch wenn diese Aussicht längst nicht alle begeistert. „Um ehrlich zu sein“, sagt Aviv Bushinsky, ein früherer Berater des Premiers, “selbst in der Likudpartei warten viele auf den Tag nach Netanjahu“.

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