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Premier Netanjahu will sich mit allen Mitteln eine Anklage wegen Korruption verhindern.
© Ariel Schalit/Reuters

Machtpoker in Israel: Wie Netanjahu den Rechtsstaat aushöhlt

Immunität für Parlamentarier, ein Oberster Gerichtshof ohne Macht: Premier Netanjahu stellt die Grundfesten der israelischen Demokratie infrage. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Christian Böhme

Vor nicht einmal zwei Monaten ließ sich Benjamin Netanjahu so richtig feiern. Entgegen den Erwartungen vieler hatte er die Wahl in Israel für sich entscheiden können. Mehr noch. Unter seiner Führung erzielte die immer mehr nach rechts driftende Likudpartei das beste Ergebnis seit Jahren.

Unter diesen Vorzeichen schien die Regierungsbildung nur eine Formsache. Doch der vermeintliche Selbstläufer könnte nun zum Reinfall werden, der strahlende Sieger zum Verlierer. Denn einer der potenziellen Partner für die angestrebte nationalreligiöse Koalition will nicht so wie der Premier. Avigdor Lieberman, der sich schon mal als Verteidigungsminister mit Netanjahu überworfen hatte, leistet Widerstand. Er besteht darauf, dass es ein Gesetz gibt, das ultraorthodoxe Männer zum Wehrdienst verpflichtet.

Doch das stürzt „Bibi“, wie sie ihn alle in Israel nennen, in ein Dilemma: Er braucht die Strengreligiösen zum Regieren, will eigentlich keine Neuwahlen. Hat sich der große Trickser der israelischen Politik also verschätzt? Bleibt Netanjahus Traum von einer fünften Amtszeit mangels Mehrheit ein Traum?

Diese Fragen dürfte sich der Premier selbst wohl kaum stellen. Der 69-Jährige hält sich für unverzichtbar, Selbstzweifel kennt er nicht. Und Netanjahu ist ein Meister des Machtpokers. Das gilt fürs Politische wie fürs Persönliche. Nur hat er die Bodenhaftung offenkundig verloren. Das Autokratische kommt immer klarer zum Vorschein. Nach dem Motto: Der Staat bin ich. Oder er soll mir zumindest Untertan sein.

Diese selbstherrliche Attitude ist brandgefährlich für Israels Demokratie. Machterhalt um der politischen Einflussnahme willen mag das eine sein. Etwas völlig anderes ist es, wenn Eigeninteresse die Grundfesten einer freien Gesellschaft zu erschüttern droht, die auf Gewaltenteilung basiert. Netanjahu will Hand anlegen an den Rechtsstaat, ihn sich zumindest in Teilen zurechtbiegen.

Am Wochenende protestierten Tausende Israelis gegen die Pläne ihres Regierungschefs.
Am Wochenende protestierten Tausende Israelis gegen die Pläne ihres Regierungschefs.
© Amir Cohen/Reuters

Von zwei Seiten erfolgt der Angriff. Und immer geht es dem Regierungschef darum, Anklagen gegen ihn zu verhindern, also die eigene Haut zu retten. Zum einen sollen Abgeordnete der Knesset automatisch volle Immunität vor Strafverfolgung haben.

Geht es nach Netanjahus Wünschen wird zum anderen der Oberste Gerichtshof per Gesetz entmachtet. Die Beschlüsse der Richter sollten für Parlamentarier nicht mehr bindend sein. Käme es dazu, würde das Justizsystem schweren Schaden nehmen.

Das allerdings stört den Premier wenig. Er will mit allen Mitteln den Anklagen wegen Korruption entgehen. Es ist ein allzu durchsichtiges Manöver, das Zehntausende Israelis empört. Sie wollen die „Lex Netanjahu“ verhindern, fühlen sich bei dem Vorstoß an Recep Tayyip Erdogan erinnert.

Klar, in Israel verschwinden aufmüpfige Bürger nicht wie in der Türkei ohne Anklage im Knast. Jeder kann frei seine Meinung äußern. Doch „Bibis“ sultanhaftes Auftreten macht ihnen Angst. Verständlicherweise. Wird das Netanjahu im Fall von Neuwahlen Stimmen kosten? Wohl kaum.

Wer ihn wählt, weiß, was er tut. Und stört sich wenig daran, dass ihr „Bibi“ ohne nennenswerte Skrupel Errungenschaften wie Gewaltenteilung infrage stellt. Zeit, dass sich demokratische Kräfte dem entgegenstellen. Es gilt, „türkische Verhältnisse“ in Israel zu verhindern.

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