Nach Attacke auf Golanhöhen: Netanjahu sieht durch iranischen Beschuss "rote Linie" überschritten
Iranische Eliteeinheiten haben aus Syrien Raketen auf die Golanhöhen abgefeuert. Israel reagiert mit Luftangriffen im Nachbarland. Es droht eine neue Eskalation.
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran ist in der Nacht zum Donnerstag gefährlich eskaliert. Iranische Streitkräfte griffen erstmals von Syrien aus israelische Militärposten an, wie der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus mitteilte. 20 Raketen hätten die Quds-Brigaden, die Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden, auf die Golanhöhen abgefeuert. Israels Luftwaffe habe daraufhin Dutzende iranische Militärziele in Syrien angegriffen.
Die Quds-Brigaden hätten Raketen des Typs Grad und Fadschr-5 eingesetzt, sagte der israelische Armeesprecher. „Wir sehen diese iranische Attacke auf Israel als sehr schwerwiegend an.“ Keine der auf die Golanhöhen abgefeuerten Raketen habe ihr Ziel getroffen. Mehrere seien von der israelischen Raketenabwehr abgefangen worden. Es habe auch keine israelischen Opfer gegeben.
Die israelischen Luftangriffe in Syrien gehörten zu den „größten, die Israels Armee gegen iranische Ziele unternommen hat“. Man habe dem iranischen Militär schweren Schaden zugefügt. Es seien Einrichtungen des Geheimdienstes, der Logistik, Militärposten, Lagerräume und Spähposten getroffen worden. Man habe auch das Gefährt zerstört, von dem aus die Raketen auf die Golanhöhen abgefeuert wurden. Es habe sich in 30 bis 40 Kilometern Entfernung von Damaskus befunden.
Dem israelischen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman zufolge griff die Armee in Syrien "nahezu die gesamte iranische Infrastruktur" an. Er hoffe, dass die "Episode" nun vorbei sei und "jeder verstanden hat". Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf dem Iran vor, mit den Angriffen auf den Golan eine "rote Linie" überschritten zu haben. "Unsere Reaktion war die Konsequenz", sagte Netanjahu in einem am Donnerstag im Internet veröffentlichten Video. "Unsere Politik ist klar", sagte Israels Premier weiter. "Wir werden dem Iran nicht erlauben, sich militärisch in Syrien zu etablieren."
Syrien sieht in den jüngsten israelischen Angriffe auf sein Territorium eine "neue Phase" des Krieges. Das syrische Außenministerium erklärte am Donnerstag, Israel und seine Unterstützer hätten sich "direkt in die Konfrontation" eingeschaltet. Das sei ein Hinweis auf eine "neue Kriegsphase". Israel - in der Erklärung als "zionistisches Gebilde" bezeichnet - habe eine "kriegerische Haltung" angenommen, die dazu beitragen werde, die Spannungen in der Region weiter anzuheizen. Dadurch würden "Frieden und internationale Sicherheit bedroht".
Merkel: „Es geht wahrlich um Krieg und Frieden“
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich angesichts der Ereignisse besorgt. „Die Eskalationen der vergangenen Stunden zeigen uns, dass es wahrlich um Krieg und Frieden geht“, sagte Merkel am Donnerstag bei der Zeremonie zur Verleihung des Karlspreises an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Aachen. Sie bezeichnete die Lage als „extrem kompliziert“ und rief alle Beteiligten zur „Zurückhaltung“ auf.
Das Auswärtige Amt kritisierte die Attacken auf israelische Armeeposten. „Diese Angriffe sind eine schwere Provokation, die wir auf das Schärfste verurteilen“, hieß es in einer auf Twitter veröffentlichten Stellungnahme. Zugleich sei entscheidend, dass es jetzt nicht zu einer weiteren Eskalation komme. Man müsse alles unternehmen, „damit es endlich zu einer nachhaltigen politischen Lösung des Syrien-Konflikts kommt“.
Russland hat Israel und den Iran nach neuerlichem Raketenbeschuss zur Zurückhaltung und Deeskalation aufgerufen. „Das ist alles sehr beunruhigend“, sagte der russische Vizeaußenminister Michail Bogdanow am Donnerstag in Kasan der Agentur Tass zufolge. „Wir haben Kontakt mit beiden Seiten.“ Russland bemühe sich seit langem um eine Entspannung der Lage, sagte er. Auch Frankreichs Staatschef hat beide Seiten vor einer Eskalation des Konflikts gewarnt. Macron rufe zur "Deeskalation" auf, teilte das französische Präsidialbüro am Donnerstag in Aachen mit.
Die britische Regierung hat ebenfalls zur Besonnenheit aufgerufen. „Wir verurteilen die Attacke des Irans auf Israel“, sagte ein Regierungssprecher am Donnerstag in London. Der Iran müsse weitere Angriffe unterlassen. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. „Wir rufen Russland dazu auf, seinen Einfluss in Syrien zu nutzen, um weitere iranische Attacken zu verhindern.“
Israel droht mit „schwerwiegender Reaktion“
Die syrische Luftabwehr habe israelische Flugzeuge beschossen, aber nicht getroffen. „Wir haben die Syrer gewarnt, sich nicht einzumischen, aber sie haben es trotzdem getan.“ Israel sei „auf verschiedene Szenarien vorbereitet“, sagte Armeesprecher Conricus. „Wir sind nicht an einer Eskalation interessiert, aber weitere Versuche, Israel zu attackieren, werden eine schwerwiegende Reaktion zur Folge haben.“ Man habe Russland vor dem Angriff in Syrien informiert.
Die Angriffe erfolgten einen Tag nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte am Mittwoch auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin besucht. Dieser hatte angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Israel und dem Iran zu einer Lösung des Konflikts aufgerufen.
Mit Hinweis auf Warnungen vor einem iranischen Angriff von Syrien aus hatte Israels Armee schon am Dienstag Reservisten mobilisiert. Die Armee hatte zudem Ortschaften auf den Golanhöhen angewiesen, die Luftschutzbunker zu öffnen. Israel hatte die Golanhöhen 1967 erobert und später annektiert. Die Armee wies die Einwohner der Golanhöhen am Donnerstag an, ihrer normalen Routine nachzugehen. Schulen und Kindergärten blieben geöffnet.
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, bei den israelischen Angriffen seien unter anderem Einheiten der Luftverteidigung, eine Radarstation und ein Munitionslager getroffen worden. Syriens Luftabwehr schoss demnach Dutzende israelische Raketen ab. Die meisten hätten ihr Ziel nicht erreicht, berichtete Sana.
Auch in der Nacht zuvor wurde ein mutmaßlicher israelischer Raketenangriff auf Ziele in Syrien gemeldet. Dabei kamen nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mindestens 15 Menschen ums Leben. Der Angriff habe einem Waffenlager der iranischen Revolutionsgarden gegolten.
Teheran ist neben Russland und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah wichtigster Verbündeter des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad. Der Iran hat nach israelischen Angaben in den vergangenen Monaten seine militärische Präsenz im Land weiter ausgebaut. Israel wird für Luftangriffe in Syrien verantwortlich gemacht, bei der auch Iraner getötet wurden. Teheran drohte mit Vergeltung. (mit dpa, AFP)